ÄSTHETIK UND RECHTSWISSENSCHAFT.
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ben und Zergliedern der ästhetischen Gefühle werde niemals das Gegen-
ständliche, als welches das Schöne vor uns steht, erreicht. Die ästhe-
tischen Gebilde seien doch etwas völlig anderes als die Gefühle und Ge-
mütsbewegungen des ästhetisch Genießenden. Auf die ästhetischen Ge-
bilde, vor allem auf die Kunstwerke also habe sich der Ästhetiker mit
seinen grundlegenden Fragen zu beziehen"5). Aber nicht bloß die Wir-
kung — der Kunstgenuß —, auch die psychische Genesis muß aus dem
Gesichtsfelde der Ästhetik entfernt werden: „Die Aufgabe, das Genießen
und Schaffen, diese psychischen Vorgänge zu erforschen, besteht zu
Recht, bildet ein Teilproblem der Psychologie; aber von diesem Genießen
und Schaffen unterscheiden wir seinen Gegenstand, ... das Gefüge des
Kunstwerks, auf das schärfste; und wenn wir die eine Aufgabe willig
der Psychologie überlassen — so halten wir es mit der Frage, ... was
die Gegenstände des Genusses, die Resultate der Produktion seien,
keineswegs ebenso, und intendieren die Ästhetik als etwas anderes, denn
als „Psychologie des Schönen und der Kunst"6). Das „Lied ist etwas ganz
anderes als der Mensch, der es singt83) ... Nur das Wesen der Kunst
vermag uns zu leiten. Die Kunst hat ihre Gesetzlichkeit, die lediglich
durch sie und in ihr zu finden ist7)." Daß die Darstellung des psychi-
schen Ursprungs und der psychischen Wirkung des Rechtes nicht in die
Rechtstheorie fällt, die ausschließlich das pure Recht als solches begreift,
ahnte schon der Ästhetiker Hamann: „Was würde man wohl sagen,
wenn jemand zum Verständnis der Jurisdiktion und der Beurteilung der
Rechtsbegriffe uns eine Psychologie des Richters und des Verbrechers
vorsetzen würde und nur anhangsweise vom Wesen des Gesetzes, der
Schuld und Strafe, der Verantwortung des Urhebers ... handeln würde. Zu-
gegeben, daß man eine Erklärung des Schaffens und Genießens ästhetisch
wirksamer Werke überhaupt noch mit zu den Aufgaben einer Ästhetik
als Wissenschaft rechnen könnte, so wäre sievon allgemeiner Psychologie
doch nur durch Beziehung aller psychischen Prozesse auf das ästhetisch
Wesentliche zu unterscheiden, und das Wesentliche alles Ästhetischen
5) Johannes V o I k e 11, „Objektive Ästhetik", Zeitschr. für Ästhetik und
allgem. Kunstwiss. Bd. XII. S. 385. — Diese Abhandlung des tief schürfenden
V o 1 k e 11, eines der letzten Großmeister der Ästhetik, gehört zum Besten der
Literatur.
°) Aloys Fischer, Ästhetik und Kunstwissenschaft, Festschrift für Theodor
Lipps, 1911. S. 101. — Leider verläßt Fischer diesen richtigen Weg, wie wir
später sehen werden.
"•') Oder hört.
7) Emil Utitz, Grundlegung der allgem. Kunstwissenschaft, 1920. Bd. II
S. 16.
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ben und Zergliedern der ästhetischen Gefühle werde niemals das Gegen-
ständliche, als welches das Schöne vor uns steht, erreicht. Die ästhe-
tischen Gebilde seien doch etwas völlig anderes als die Gefühle und Ge-
mütsbewegungen des ästhetisch Genießenden. Auf die ästhetischen Ge-
bilde, vor allem auf die Kunstwerke also habe sich der Ästhetiker mit
seinen grundlegenden Fragen zu beziehen"5). Aber nicht bloß die Wir-
kung — der Kunstgenuß —, auch die psychische Genesis muß aus dem
Gesichtsfelde der Ästhetik entfernt werden: „Die Aufgabe, das Genießen
und Schaffen, diese psychischen Vorgänge zu erforschen, besteht zu
Recht, bildet ein Teilproblem der Psychologie; aber von diesem Genießen
und Schaffen unterscheiden wir seinen Gegenstand, ... das Gefüge des
Kunstwerks, auf das schärfste; und wenn wir die eine Aufgabe willig
der Psychologie überlassen — so halten wir es mit der Frage, ... was
die Gegenstände des Genusses, die Resultate der Produktion seien,
keineswegs ebenso, und intendieren die Ästhetik als etwas anderes, denn
als „Psychologie des Schönen und der Kunst"6). Das „Lied ist etwas ganz
anderes als der Mensch, der es singt83) ... Nur das Wesen der Kunst
vermag uns zu leiten. Die Kunst hat ihre Gesetzlichkeit, die lediglich
durch sie und in ihr zu finden ist7)." Daß die Darstellung des psychi-
schen Ursprungs und der psychischen Wirkung des Rechtes nicht in die
Rechtstheorie fällt, die ausschließlich das pure Recht als solches begreift,
ahnte schon der Ästhetiker Hamann: „Was würde man wohl sagen,
wenn jemand zum Verständnis der Jurisdiktion und der Beurteilung der
Rechtsbegriffe uns eine Psychologie des Richters und des Verbrechers
vorsetzen würde und nur anhangsweise vom Wesen des Gesetzes, der
Schuld und Strafe, der Verantwortung des Urhebers ... handeln würde. Zu-
gegeben, daß man eine Erklärung des Schaffens und Genießens ästhetisch
wirksamer Werke überhaupt noch mit zu den Aufgaben einer Ästhetik
als Wissenschaft rechnen könnte, so wäre sievon allgemeiner Psychologie
doch nur durch Beziehung aller psychischen Prozesse auf das ästhetisch
Wesentliche zu unterscheiden, und das Wesentliche alles Ästhetischen
5) Johannes V o I k e 11, „Objektive Ästhetik", Zeitschr. für Ästhetik und
allgem. Kunstwiss. Bd. XII. S. 385. — Diese Abhandlung des tief schürfenden
V o 1 k e 11, eines der letzten Großmeister der Ästhetik, gehört zum Besten der
Literatur.
°) Aloys Fischer, Ästhetik und Kunstwissenschaft, Festschrift für Theodor
Lipps, 1911. S. 101. — Leider verläßt Fischer diesen richtigen Weg, wie wir
später sehen werden.
"•') Oder hört.
7) Emil Utitz, Grundlegung der allgem. Kunstwissenschaft, 1920. Bd. II
S. 16.