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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Stockhammer, Moritz: Ästhetik und Rechtswissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0263
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ÄSTHETIK UND RECHTSWISSENSCHAFT.

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malerischen Phänomene bereits überschreitet88). Daß die Frage nach
der Naturnähe der Bildschönheit am Wesen des Malerischen vorbei-
geht, erhellt vielleicht hieraus am anschaulichsten, daß sie bei der Natur-
schönheit entfällt, weil sie in diesem Falle sogar sinnlos ist. Dieses
In-Beziehung-setzen von Natur und Bild ist ebensowenig malerei-
wie naturwissenschaftlich. Für die Theorie der Malerei existiert einzig
und allein das Bild, wie für die Rechtstheorie nur das Recht. —

Muß eine Sängerin schön sein? Dieselben Leute — und es werden
ihrer viele sein —, die eine bejahende Antwort erteilen, wissen, daß
man den Gesang (z. B. eine Oper)80) „hört" und nicht „sieht". Vor-
urteilsfreie Überlegung muß auch zugeben, daß — wie es die Sagen
schon erzählen — selbst ein mißgeborenes Scheusal mit der Gabe des
Gesanges begnadet sein kann.

Die meisten unter uns glauben an einen hohen Beruf des Richters:
„menschlich" zu urteilen. Doch erfüllt ein Richter vollkommen sein Amt,
wenn er die — milden oder grausamen und inhumansten — Gesetze nur
treu anwendet. Denn der Richter ist nur ein Werkzeug in der Hand des
Gesetzes. Ein „unmenschlicher" Richter ist — auch ein Richter. Jedes
humane, aber gesetzwidrige Richterurteil ist sogar eine Rechtsverletzung.

In beiden — alltäglich-unscheinbaren und doch das Problem in seiner
ganzen philosophischen Tiefe aufrollenden — Fällen äußert sich der
unkritische Hang des Menschen, zwischen disparaten und zufällig ver-
bundenen Elementen einen wesentlichen Zusammenhang herzustellen.
Erst scharfe, bohrende Analyse vermag aus dem Ephemeren die Quintes-
senz auszusondern, aus dem Willkürlichen das Wesentliche zu iso-
lieren"1').

89) Schon bei Zimmermann handelt die Ästhetik nicht von „Vor- und Abbil-
dern", sondern bloß von „Bildern" (Ästhetik S. 8 ff.), „... ohne zu fragen, ob diesen
als schönen oder häßlichen Bildern ein Gegenstand entspreche oder nicht" (Ebenda
S. 33), womit jede für das Bild als solches transzendente Relation vorzüglich aus-
geschaltet wird. — Leider ist noch heute das — ästhetisch ganz irrelevante — Mo-
ment der Naturnähe bzw. -ferne des Kunstwerks das Steckenpferd der Ästhetik.

80) Die märchenhafteste und berauschendste Dekoration ist für das Opernton-
stück unwesentlich. Die elendeste, ja fehlende Inszenierung wiegt weniger als ein fal-
scher Bogenstrich.

uo) Das fachwissenschaftliche Abstraktions- und Zergliederungsverfahren be-
schreibt Zimmermann wie folgt: „Mit der Aussonderung der vagen und der bloßen
Stoffgefühle beginnt, mit der Aussonderung der verschiedenen ästhetischen Formen
und Formenarten (in einem Gemälde Zeichnung, Kolorit und poetische Gedanken,
die zusammen nur eine verworrene Gesamtwirkung auslösen und erst einzeln rein
zur Geltung gelangen) schließt der ästhetische Prozeß. Nachdem jene ausgeschie-
den, was nicht, entscheidet diese, was gefalle oder mißfalle. Das Ganze ist einem
Gerichtsverfahren ähnlich, in welchem zuerst durch Entfernung der nicht dazu-
gehörigen Nebenumstände der Tatbestand hergestellt und über demselben jedem
der darin verwickelten sein Urteil gesprochen wird. Oder dem Verfahren des Che-
 
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