Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

DOI Artikel:
Groethuysen, Bernhard: Die "naturalistische" Ästhetik und die zeitgenössische Literatur in Frankreich
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0270
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
256

BERNHARD GROETHUYSEN.

auch gar nicht darum, das Schaffen eines einzelnen Malers auf Grund
eines kollektiv gefaßten Phänomens zu deuten, sondern darum, einen
synthetischen Ausdruck für eine ganze Richtung in der modernen fran-
zösischen Malerei zu finden. Dies scheint aber so kaum möglich. Es könnte
wenig helfen, wollte man aus dem einheitlichen Gesamtzusammen-
hang der modernen Malerei in Frankreich einzelne Gestalten oder Werke
herauslösen, um sie der „naturalistischen" Richtung zuzuzählen. Sollte
man etwa Degas als „Naturalisten" bezeichnen? Aber damit wäre doch
über sein künstlerisches Schaffen kaum etwas ausgesagt, selbst über das
Schaffen seiner ersten künstlerischen Epoche, an die man dabei wohl
vorwiegend denken mag. Schlimmer ist es noch, wenn man in diesem
Zusammenhang einfach Toulouse — Lautrec nennt, d. h. ihm eine be-
sondere Stelle zuweist, weil er ein bestimmtes Milieu in seiner Malerei
bevorzugt. Dies würde doch schließlich zu Einteilungen und Absonde-
rungen in der Kunstgeschichte führen, die kaum mehr etwas mit Kunst
zu tun haben.

So führt hier die realistisch-naturalistische Ästhetik nicht in die
eigentliche Problematik der modernen französischen Malerei ein. Diese
Problematik ist vielmehr durch ganz andere Gesichtspunkte bestimmt.
Nicht „Naturalismus", sondern Impressionismus ist hier zunächst das
ausschlaggebende Motiv. Impressionismus bedeutet in diesem Zusam-
menhang eine Rückwendung zu den eigentlichen künstlerischen Pro-
blemen gegenüber den naturalistischen Theorien, die von heterogenen
Gesichtspunkten und Wertungsweisen ausgehen. Der impressionistische
Maler stellt die Frage, wie er ein Bild malen soll, und nicht, welche
Gegenstände er auf Grund außerkünstlerischer Wertungen bevorzugen
soll. Und dies scheint mir hier ein wesentlicher Gesichtspunkt zu sein,
weil daraus ersichtlich wird, daß es sich bei Naturalismus und Impres-
sionismus nicht um zwei Betrachtungs- und Wertungsweisen handelt,
die man einander einfach anreihen könnte, sondern daß hier ein ganz
grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen einer immanenten ästhe-
tischen Wertentwicklung und Wertgesichtspunkten, die in Form von
wissenschaftlichen oder ethischen Sinngebungen dem künstlerischen
Schaffen Richtungen vorschreiben sollen, ohne daß doch damit in Er-
manglung eines Eingehens auf die spezifisch malerischen Probleme dem
Künstler ein neuer Weg aufgezeigt wird. Ja es scheint mir, daß der be-
sondere Charakter einer immanenten ästhetischen Problematik sich ge-
rade an der Verschiedenheit der impressionistischen und naturalistischen
Problemstellungen erläutern läßt.

Dabei soll nicht bestritten werden, daß die moderne französische
Malerei aus den zeitgenössischen realistisch-naturalistischen Tendenzen
Anregungen geschöpft hat. Nur muß man dann, wie schon oben aus-
 
Annotationen