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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0335
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BESPRECHUNGEN.

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mit Gestalt, das ist, sieht man etwa von der Verzeichnung von Anklängen ab, als
Gesamtfragestellung noch nicht behandelt worden. Doch ehe die Verfasserin sich
an die Beantwortung dieser Frage macht, setzt sie sich mit jenen modernen, oft von
der Psychoanalyse unmittelbar oder mittelbar beeinflußten Kleistdeutungen ausein-
ander, die in Kleist keine Einheit von Leben und Werk finden und in seinem dich-
terischen Werk das wahrhaft Schöpferische vermissen. Gundolf1) und Stefan Zweig-')
gelten ihr als die Haupt Vertreter solcher modischen Umdeutung. Gundolf etwa be-
handelt Kleist als artistischen Macher, als Dichter minderen Ranges und hält ihn
daher mit einer menschlich-künstlerischen Größe wie Shakespeare überhaupt für gar
nicht vergleichbar. So setzt C.s Fragestellung die Zurückweisung solcher neuzeit-
lichen Mißdeutungen Kleists voraus. Denn wäre Kleist mit Shakespeare in der Tat
gar nicht in einem Atem zu nennen, wäre er in der Tat nur der zerrissene, hin- und-
herschwankende, nur pathologisch zu deutende Mensch mit einer gewissen mäßigen
und künstlerisch ganz ungezügelten, in sich widerspruchsvollen Dicht-Fähigkeit, so
hätte freilich ein stilkritischer Vergleich Kleists mit Shakespeare keine Berechtigung
und keinen Sinn. Aber für die Verfasserin und gottlob auch für die Mehrzahl der
Fachleute steht es fest, daß Kleist und Shakespeare an Erlebnistiefe wie an Gestal-
tungskraft einander würdig und daher auch gestaltmäßig vergleichbar sind. C.
glaubt an den Sinn in Kleists Leben, an den einheitlichen Grund und Sinn seines
Werkes, aus dem dessen Gestalt mit innerer künstlerischer Notwendigkeit hervor-
ging, und an die Einheit dieses Lebens mit diesem Werk. Angesichts jener modernen
Verkennung und Mißdeutung, ja Mißachtung Kleists soll die vorliegende fachliche
Einzeluntersuchung also zugleich eine Ehrenrettung bedeuten. Schlimm genug für
unsere Literaturforschung, daß eine solche nötig ist!

Die Verfasserin beginnt mit einem, deutenden Überblick über Kleists Leben.
Gundolf etwa, so führt sie aus, habe sich solche Deutung zu leicht gemacht: wo der
erste Augenschein ein Schwanken zeige, setze er sogleich ein willkürliches Hin und
Her in Lebensgang und Wesen; und doch müsse man bei schärferem Zusehen eine
klare, sinnvolle Entwicklung feststellen. Seien heiliger Ernst, starker Wille, unver-
bogene, elementare Kraft seines Wesens dauernde Kennzeichen von Kleists Lebens-
gang, so finde in ihm auch eine geschlossene, in sich sinnvolle, verständlich not-
wendige Entwicklung statt, die man wohl durch die Begriffsfolge Erkennen — Schaf-
fen — Handeln, Wissenschaft (als Weg, den Sinn des Lebens zu erfassen) —
Dichterische Tat — Politische Tat umschreiben könne.

Bei C.s eigentlicher Fragestellung, dem stilkritischen Vergleich Kleists mit
Shakespeare, kann in der Fülle durchweg belangvoller Einzelbeobachtungen nur auf
ganz Weniges besonders aufmerksam gemacht werden. Fruchtlos wäre es nach den
Ausführungen der Verfasserin, etwa von unmittelbarem Einfluß Shakespeares auf
Kleist auszugehen, wenn auch Kleists Werk in Einzelzügen ganz offenbar von
Einzelzügen des Shakespeareschen Werkes beeinflußt ist:>). Überhaupt muß hier nicht
so sehr von unwillkürlicher Anlehnung oder gar bewußter Nachahmung als von
innerer Verwandtschaft gesprochen werden. Die Verfasserin geht daher so vor, daß
sie Querschnitte durch das dramatische Werk Kleists und Shakespeares legt und
dann in Vergleich zueinander setzt. Diese Querschnitte finden ihren Ausdruck in

*) Gundolf, Friedrich: Heinrich von Kleist. Berlin, Bondi 1922.

-) Zweig, Stefan: Der Kampf mit dem Dämon. Hölderlin. Kleist. Nietzsche.
Leipzig, Insel 1925. (Zweig: Die Baumeister der Welt. 2.)

3) Die Verfasserin betont besonders etwa die Wirkung von Shakespeares letz-
ten Werken (Cymbeline, Sturm, Wintermärchen) in ihrer ganzen Stimmung auf
Kleists „ernste Komödien" Amphitryon und Prinz Friedrich von Homburg.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXVI. o-i
 
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