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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0350
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336

BESPRECHUNGEN.

Gottes Namen Werke geschaffen hätte, die weniger terribili wären; oder daß der
bürgerlich so traurig gescheiterte Rembrandt, der in seiner Nachtwache rücksichts-
los über die Wünsche der zu porträtierenden „Gesellschaft" hinwegging, sich lieber
mit weniger tiefen Offenbarungen seines Genius begnügt und dafür einen korrekte-
ren Lebenswandel geführt hätte; oder daß der „tolle" Beethoven, der die schreckliche
Szene mit dem kaiserlichen Hof in Teplitz aufführte, nicht ganz so dämonisch in
Leben und Werken gewesen wäre. „Den Geist dämpfet nicht", hat der Apostel Pau-
lus gesagt, der freilich auch betrübend wenig Rücksicht auf die kultivierte und
höfische Gesellschaft seiner Zeit nahm. Gewiß, Goethe war anders als sie alle,
menschlich harmonischer, aber nicht größer. Korff kann darauf hinweisen, daß er
die naturhafte Genialität seiner Frühzeit preisgegeben hat, aber es gibt Leute, die
darüber klagen, daß er einen zu hohen Preis gezahlt habe. Korff hätte der Wahrheit
gemäß hinzufügen können, daß er auch philiströse Züge ursprünglich in seinem
Wesen hatte. Doch konnte er noch ziemlich spät Napoleon, der doch nichts von
jenem Ideal der Humanität hatte, als eine große Naturgewalt nicht bloß bewundern,
auch verehren. Und in seinem Tempo spürt man von den Grenzen seines Wesens
so wenig wie in seinen anderen größten Werken. Philiströse Züge da hineininter-
pretieren, heißt der deutschen Klassik keinen guten Dienst für Gegenwart und Zu-
kunft erweisen.

Genug nun auch vom Tasso. Es erschien mir wichtig, gerade diesen Fall aus-
führlich zu erörtern. Wenn ein Meister der Geistesgeschichte an dem größten
Künstlerdrama, das die deutsche Dichtung kennt, so versagt, dann ist das wohl
über den Einzelfall hinaus des Aufmerkens wert wie ein Menetekel für eine Methode,
die zu großen Fortschritten, aber auch zu erstaunlichen Rückschritten führen kann.
— Zum Schluß will ich nicht unterlassen, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die
Kunstheorie in diesem Buch zu ihrem vollen Rechte kommt. Im ersten Bande sind
ihr etwa 40, im zweiten etwa 100 Seiten gewidmet, die man künftig wird berück-
sichtigen müssen, wenn man Geschichte der Ästhetik oder Poetik treibt. Ich wäre
gerne darauf eingegangen, aber es erschien mir dringlicher, die Behandlung, die
den Kunstwerken selber in diesem Werk zuteil wird, zu charakterisieren.

Leipzig. Erich Everth.
 
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