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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Koch, Herbert: Goethe und die bildende Kunst des klassischen Altertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0352
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338

HERBERT KOCH.

Dinge: wenn man die Campagna di Roma anbauen und Rom zu einer
polizierten Stadt machen wollte, in der kein Mensch mehr Messer trüge.
Kommt je ein so ordentlicher Papst, was denn die zweiundsiebzig Kar-
dinäle verhüten mögen, so ziehe ich aus. Nur wenn in Rom eine so
göttliche Anarchie und um Rom eine so himmlische Wüstenei ist, bleibt
für die Schatten Platz, deren einer mehr wert ist als dies ganze Ge-
schlecht."

Was ich feststellen wollte, ist der Unterschied zwischen dem Zustande
Roms und Italiens 1786/88, den Jahren von Goethes Reise, und dem
Heute. Er ist mindestens so groß, wie der des heutigen Verhaltens unse-
rer abendländischen Welt zur Antike, verglichen mit jenem der Goethezeit.

Überlegen wir, was Goethe von antiker Kunst an sich erfahren hatte,
als er nach Italien aufbrach. Wenig und viel. Das wenige Greifbare,
was er im Vaterhause vor Augen hatte, waren Gesteinsproben, vielleicht
das eine oder andere Altertum, vor allem aber jene römischen Prospekte,
„mit welchen sich der Vater einen Vorsaal ausgeschmückt hatte, ge-
stochen von einigen geschickten Vorgängern des Piranese .... Hier sah
ich täglich die Piazza del Popolo, das Coliseo, den Petersplatz, die Pe-
terskirche von außen und innen, die Engelsburg und so manches An-
dere. Diese Gestalten drückten sich tief bei mir ein, und der sonst so
lakonische Vater hatte wohl manchmal die Gefälligkeit, eine Beschrei-
bung des Gegenstandes vernehmen zu lassen."

Das ist etwas ironisch und fast mit einer gewissen Bitterkeit gesagt.
Prüft man nach, was der Sohn sonst noch gelegentlich äußert, so wird
ganz klar, daß der alte Herr Rat doch viel mehr gegeben hat. Seine
große Zeit war ja die italienische Reise im Jahre 1740 gewesen; Italien
dauernd sein Wunschland geblieben. Wenn er aus der Verbitterung über
die allgemeinen und die eigenen Zeitläufte durch die Macht der Erinne-
rung einmal wieder auftauchte, dann übertrug er auf Wolfgang Goethe
das Tiefste: Sehnsucht. Daß die Mignonlieder vor der italienischen
Reise gedichtet werden konnten, ist nur so erklärlich.

Es folgt Leipzig und, was die bildende Kunst anlangt, Öser. Wieder
sind es nur wenige Tatsachen, die ihm der menschlich verehrte Akade-
mieleiter übermitteln kann. Goethe sah bei Öser Abgüsse des Satyrs mit
der Fußklapper und des Vaters Laokoon (nicht der ganzen Gruppe); er
beschäftigte sich natürlich mit den Fragen, die durch Winckelmann und
Lessing ein literarisches Diskussionsthema geworden waren; er hörte
Persönliches über Winckelmann. Aber er läßt doch später deutlich durch-
blicken, daß ihm die Kunsttheorien, die Öser so hoch hielt, recht unklar
blieben. „Sibyllinische Bücher" hat er sie im Alter genannt und zu
Eckermann sogar gesagt, daß man von Winckelmanns Werken nichts
lernen könne, Alles aber von seiner Person. Was in jener Zeit auf ihn
 
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