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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Koch, Herbert: Goethe und die bildende Kunst des klassischen Altertums
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0362
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348

HERBERT KOCH.

helfen. Nur ein Chorlied greife ich aus der grandiosen Phorkyas-Szene
heraus:

Welche von Phorkys

Töchtern nur bist du?

Denn ich vergleiche dich

Diesem Geschlechte.

Bist du vielleicht der graugebornen,

Eines Auges und eines Zahns

Wechselweis teilhaftigen

Graien eine gekommen?

Wagest du, Scheusal
Neben der Schönheit
Dich vor dem Kennerblick
Phöbus' zu zeigen?
Tritt du dennoch hervor nur immer!
Denn das Häßliche schaut er nicht,
Wie sein heiliges Auge noch
Nie erblickte den Schatten.

Hier ist Alles in Einem. Erfassen eines abgründigen Gedankens
griechischer Religion: Apollon, der kraft seiner Jugend und Schönheit,
von Zeus bestimmt, die menschlichen Geschicke an seiner Reinheit und
Schönheit mißt, unbekümmert um menschliches Recht und Gerechtigkeit;
Apollon, der Orest das Rächeramt übertragen hat, und als die Tat ge-
schehen ist, ihn wie ein Wild hetzen läßt, und der doch am Ende sein
göttliches Wort hält: „Ich will dich nicht verlassen." — Apollon, der
das grauenhafte Geschick des Oedipus vorausweiß und es sich dennoch
vollenden läßt, bis er den blinden Greis auf dem Kolonos erlöst.

Diese riesenhafte Mythen- und Götterschau der Tragiker steht hinter
den Versen. Aber sie bleibt nicht Gedanke, sondern wird völlig ge-
staltetes Bild. Dieses Bild konnte zu Goethes Zeit noch nicht der Gott
sein, der die Mitte des Olympischen Westgiebels beherrscht; es trägt
unverkennbar die Züge desjenigen Apollon, den das Jahrhundert
Winckelmanns als den gewaltigsten kannte: des Apollon von Belvedere.

Goethe bleibt der größte Deutsche, der größte Mensch, der größte
Dichter, in dessen Werk auch die bildende Kunst des Altertums leben-
zeugend eingegangen ist.
 
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