390 BERICHT ÜBER DIE VERANSTALTUNGEN 1931/32.
schlecht, dessen wichtigster Vertreter, Simone Martini, aus dem rückstandigeren
Siena stammt und mit der Kurie nach Avignon ins Exil gegangen ist. Die Figu-
ren auf Simones Bildern sind wieder von gotischer Weichheit und Andacht erfüllt,
sie stehen nicht fest, die Falten ihrer Gewänder sind wie ihre Gesten nervös, süß
und dünn. Erst wieder am Anfang des 15. Jahrhunderts treten mit einer nunmehr
ganz deutlich kapitalistischen und daher rationalen Bürgergeneration wieder Mei-
ster auf, wie Masaccio und Donatello, deren Energie, Kraft und Festigkeit das
Werk des Giotto fortsetzt, unter ständiger Vollendung der naturalistischen Ten-
denzen. Wieder antwortet diesem leidenschaftlichen Geschlecht lebenstüchtiger
Väter eine Generation rückwärts gewandter Söhne. Zuerst der bewußt reaktionäre
Dominikaner Fra Angelico da Fiesole, der, getreu der Aufgabe seines Ordens,
mit gotischer Frömmigkeit die verirrte Menschheit der Kirche wieder zufüh-
ren wollte, dann, als die junge kapitalistische Wirtschaft in Florenz, von der nie-
derländischer Städte überholt, bergab ging, die Generation um Savonarola, deren
genialster Botticelli gewesen ist. Aber Botticellis neues gotisches Grundgefühl ist
nicht mehr weich und süß, sondern hart und scharf. Seine Figuren stehen nicht
schwer, sondern schweben oder biegen sich; in allen Bewegungen bis in das Fal-
len der Falten hinein herrscht eine schmerzlich-schneidende Härte. Im Rom der
zu Fürsten und Päpsten gewordenen Großkaufleute vollendet sich, 200 Jahre nach
Giotto und 100 Jahre nach Masaccio, in Michelangelos gigantischer Energie die
Kunst dieses ersten selbstbewußten kapitalistischen Bürgertums in Italien. Wieder
dieses Stehen auf den ganzen Sohlen, wie wir es schon bei Giotto und Donatello
kennen gelernt haben, wieder diese aufrechten und unbedingten Gestalten mit ihren
schwer und unbeirrt nach unten fallenden Falten, wieder dieser Ausdruck höchster,
der eigenen Kraft bewußter, männlicher Leidenschaft, jetzt in der reifsten Form
zum Ausdruck gebracht. — Die Entwicklung in den Niederlanden und in Deutsch-
land beginnt um hundert Jahre später. Jetzt erst ist in diesen Handelsstädten des
Nordens das Bürgertum stark genug, die feudal-klerikalen Formen zu zerbrechen.
Besonders der flandrische Tuchhandel hat Städte wie Gent, Brügge, Ypern zu
ernsthaften Konkurrenten der italienischen Städte gemacht. Hier sind am Beginn
des 15. Jahrhunderts die Bahnbrecher die van Eyck. Auch bei ihnen, wie bei
Giotto und Masaccio, die kräftig diesseits gerichtete Energie ihrer Figuren und
Kompositionen, deren Elemente jedoch Licht und Farben sind. Die Reaktion wird
hier durch Roger van der Weyden vertreten, dessen Figuren, ähnlich wie bei
Botticelli, trotz allem sich ständig entwickelnden Naturalismus, von sich biegender,
dünner Härte und Heftigkeit sind. Viel später erst — denn in der Geschichte gibt
es keine mechanischen Parallelen — nimmt hier der bereits einer neuen gesell-
schaftlichen Schicht, dem mit dem revolutionär gestimmten Kleinbürgertum ver-
bündeten Bauerntum, entstammende Pieter Brueghel, die Linie der van Eyck wie-
der auf; erst er hat wieder das Kraftgefühl, das wir am Genter Altar kennen
gelernt haben. —■ Im wirtschaftlich und politisch weit rückständigeren Deutsch-
land sind in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Konrad Witz in Konstanz und
Basel und Hans Multscher in Ulm die den Giotto, beziehungsweise Masaccio und
van Eyck, entsprechenden Maler. Aber das deutsche Bürgertum jener Zeit ist
noch bäuerlicher, weniger großstädtisch, als in Florenz und Gent. Daher ist das
Kraftgefühl auf jenen Bildern meist brutaler, unbekümmerter, in seiner religiösen
Naivität wilder, als auf den Werken der hochkultivierten, rationaleren Niederlän-
der und Italiener. In Schongauers harten, dünnen, von einer neuen gotisch-gepfleg-
teren Religiosität erfüllten Kupferstichen finden wir die Parallele zu Botticelli
und Roger van der Weyden. Dann aber, mit dem Aufstieg des Kapitalismus auch
schlecht, dessen wichtigster Vertreter, Simone Martini, aus dem rückstandigeren
Siena stammt und mit der Kurie nach Avignon ins Exil gegangen ist. Die Figu-
ren auf Simones Bildern sind wieder von gotischer Weichheit und Andacht erfüllt,
sie stehen nicht fest, die Falten ihrer Gewänder sind wie ihre Gesten nervös, süß
und dünn. Erst wieder am Anfang des 15. Jahrhunderts treten mit einer nunmehr
ganz deutlich kapitalistischen und daher rationalen Bürgergeneration wieder Mei-
ster auf, wie Masaccio und Donatello, deren Energie, Kraft und Festigkeit das
Werk des Giotto fortsetzt, unter ständiger Vollendung der naturalistischen Ten-
denzen. Wieder antwortet diesem leidenschaftlichen Geschlecht lebenstüchtiger
Väter eine Generation rückwärts gewandter Söhne. Zuerst der bewußt reaktionäre
Dominikaner Fra Angelico da Fiesole, der, getreu der Aufgabe seines Ordens,
mit gotischer Frömmigkeit die verirrte Menschheit der Kirche wieder zufüh-
ren wollte, dann, als die junge kapitalistische Wirtschaft in Florenz, von der nie-
derländischer Städte überholt, bergab ging, die Generation um Savonarola, deren
genialster Botticelli gewesen ist. Aber Botticellis neues gotisches Grundgefühl ist
nicht mehr weich und süß, sondern hart und scharf. Seine Figuren stehen nicht
schwer, sondern schweben oder biegen sich; in allen Bewegungen bis in das Fal-
len der Falten hinein herrscht eine schmerzlich-schneidende Härte. Im Rom der
zu Fürsten und Päpsten gewordenen Großkaufleute vollendet sich, 200 Jahre nach
Giotto und 100 Jahre nach Masaccio, in Michelangelos gigantischer Energie die
Kunst dieses ersten selbstbewußten kapitalistischen Bürgertums in Italien. Wieder
dieses Stehen auf den ganzen Sohlen, wie wir es schon bei Giotto und Donatello
kennen gelernt haben, wieder diese aufrechten und unbedingten Gestalten mit ihren
schwer und unbeirrt nach unten fallenden Falten, wieder dieser Ausdruck höchster,
der eigenen Kraft bewußter, männlicher Leidenschaft, jetzt in der reifsten Form
zum Ausdruck gebracht. — Die Entwicklung in den Niederlanden und in Deutsch-
land beginnt um hundert Jahre später. Jetzt erst ist in diesen Handelsstädten des
Nordens das Bürgertum stark genug, die feudal-klerikalen Formen zu zerbrechen.
Besonders der flandrische Tuchhandel hat Städte wie Gent, Brügge, Ypern zu
ernsthaften Konkurrenten der italienischen Städte gemacht. Hier sind am Beginn
des 15. Jahrhunderts die Bahnbrecher die van Eyck. Auch bei ihnen, wie bei
Giotto und Masaccio, die kräftig diesseits gerichtete Energie ihrer Figuren und
Kompositionen, deren Elemente jedoch Licht und Farben sind. Die Reaktion wird
hier durch Roger van der Weyden vertreten, dessen Figuren, ähnlich wie bei
Botticelli, trotz allem sich ständig entwickelnden Naturalismus, von sich biegender,
dünner Härte und Heftigkeit sind. Viel später erst — denn in der Geschichte gibt
es keine mechanischen Parallelen — nimmt hier der bereits einer neuen gesell-
schaftlichen Schicht, dem mit dem revolutionär gestimmten Kleinbürgertum ver-
bündeten Bauerntum, entstammende Pieter Brueghel, die Linie der van Eyck wie-
der auf; erst er hat wieder das Kraftgefühl, das wir am Genter Altar kennen
gelernt haben. —■ Im wirtschaftlich und politisch weit rückständigeren Deutsch-
land sind in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Konrad Witz in Konstanz und
Basel und Hans Multscher in Ulm die den Giotto, beziehungsweise Masaccio und
van Eyck, entsprechenden Maler. Aber das deutsche Bürgertum jener Zeit ist
noch bäuerlicher, weniger großstädtisch, als in Florenz und Gent. Daher ist das
Kraftgefühl auf jenen Bildern meist brutaler, unbekümmerter, in seiner religiösen
Naivität wilder, als auf den Werken der hochkultivierten, rationaleren Niederlän-
der und Italiener. In Schongauers harten, dünnen, von einer neuen gotisch-gepfleg-
teren Religiosität erfüllten Kupferstichen finden wir die Parallele zu Botticelli
und Roger van der Weyden. Dann aber, mit dem Aufstieg des Kapitalismus auch