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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Hans von Marées und die Überlieferung: zu Leopold Zieglers neuesten Werken
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0016

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G. F. HARTLAUB

gnostische Tradition (im weitesten Sinne) wurde dadurch die verbotene,
die ketzerische — nicht anders wie man auch die heidnischen Kultgötter
und Halbgötter dämonisiert hat. So begann die kollektiv-psycho-
logische (immerhin mit den „Verdrängungen" in der Sexualsphäre ver-
gleichbare) Verdrängung, der eine tatsächliche christliche Ver-
folgung entsprach. Ob sich die Vorstellungen und Bräuche nicht nur
innerhalb der bekannten christlichen Sekten und außerkirchlichen Ge-
meinschaften fortgepflanzt haben — etwa bei den Albigensern, Katharern,
Templern, böhmischen Brüdern usw., wo zum Beispiel das mani-
c h ä i s c h e Element oft unschwer aufzuspüren ist —, sondern ob etwas
davon auch auf „harmlosere" Art erhalten blieb, etwa in den Über-
lieferungen der Bauleute (Bauhütten, späteren Zünfte): auch das ist
„esoterisch" immer wieder behauptet, exoterisch seit dem Abklingen der
romantischen Wissenschaft kaum noch als Fragestellung ernst genommen
worden. Unbefangen betrachtet hat die Behauptung nichts Unwahrschein-
liches, denn gerade die Reste von antiker Baumagie, Maßzahlen-Mystik,
kosmomorpher Symbolik dürften, ebenso wie die geheimbündlerische Seite
alles Gradwesens überhaupt sehr zäh im Generationsgedächtnis haften,
genau wie — zugestandenermaßen — alle Bilder der Astrologie, Alchemie
und des sog. Aberglaubens überhaupt. Je mehr die Erkenntnisse der
modernen Tiefenpsychologie des Unterbewußten, der Träume und ihrer
Symbolik auch für die geistesgeschichtliche Forschung Anwendung fin-
den werden, um so deutlicher wird man einsehen, daß doch etwas an dem
Gerede von den geheimen Brauchtümern der mittelalterlichen Bauhütten
gewesen sein könnte, — daß das Gegenteil vielmehr unwahrscheinlicher
wäre —, ebenso wie diejenigen, welche meinen, daß sich hinter der offi-
ziell-theologischen Symbolik des mittelalterlichen Kirchengebäudes noch
eine heidnisch-„gnostische" verberge, wohl nur in einzelnen Behauptungen
phantastische Dilettanten sind, keineswegs im ganzen. So hat man sich
auch längst von dem unabsehbaren Einfluß der orientalisch-spätantiken
Astrologie selbst im christlichen Mittelalter überzeugt, der Astro-
logie, die ja nur ein besonders systematisierter Teil jenes vorwissen-
schaftlichen Geistesgutes ist und in der, wie bekannt, viel Mythisches
und auch Magisches in „versetzter" Form sich weiter fristet.

Aber die Festlegung der Dogmen (und auch die Dämonisierung oder
der Ersatz mit christlichen Gehalten) bedeutete nur die erste Stufe des
Verdrängungsprozesses. Eine zweite haben wir in der kühlen, ob-
jektivierenden, historisch-philologischen Bearbeitung des
Überlieferten, die meist mit der rational-naturwissenschaftlichen Kritik
genau parallel geht. Diese Abtötung des noch Lebendigen durch den
„Geist" (etwa im Sinne von L. Klages) setzt schon mit der Renais-
sance und dem Humanismus ein, die gleichzeitig schon einen Teil der
 
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