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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Kalkschmidt, Till: Weltkrieg und Literaturwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0062

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T. KALKSCHMIDT

zeug, geschweige denn einen festen Maßstab zu liefern, und daß dieses
Maß augenscheinlich der politischen Realität und nicht dem objektiven
geistigen Urteil entnommen werden kann, muß den in der Sache Verant-
wortlichen nachdenklich machen und zur Selbstbesinnung aufrufen. Frei-
lich kann sich der Literaturhistoriker fragen, ob er vor dem Schrifttum
der Gegenwart oder das Schrifttum der Gegenwart vor ihm versagt habe,
und er wird leicht geneigt sein, das zweite anzunehmen. Denn wenn die
Dichtung heute nur vom Volke her und als Lebenshilfe der Gemeinschaft
zu verstehen ist, so kann es sich ja da um die besonderen Umstände un-
serer heutigen Lage handeln. Deshalb behalten doch die Gesetze der
absoluten Großen Kunst ihre Gültigkeit.

Indessen haben sich auch innerhalb der Literaturwissen-
schaft Zweifel erhoben entweder in der Form eines Bekenntnisses
zur Zeit oder sogar in Form einer Kritik an der lebensfernen Ästhetik der
„objektiven" Kunstlehre. B. v. Wiese3) hält für notwendig, sich wieder
ein Bewußtsein vom geschichtlichen Zusammenhang zu geben, in dem
eine Zeit steht, für die die Werte der Kultur gegenüber den realen Lebens-
notwendigkeiten fragwürdig geworden sind. Die zwei Begriffe „absolute"
und „politische" Dichtung gelten höchstens als Pole. Eine Antithese gibt
es nicht. Die absolute Kunst legt Sein als Ganzes aus, doch auch das Sein
als Ganzes enthält historische Situation. Diese Situation „enthält nichts
beliebig Willkürliches; sondern sie ist das Sein selbst, insofern es durch
und in dieser Situation da ist" (S. 21). W. Linden4) geht bereits sehr viel
weiter. Er fordert einen „literarhistorischen Realismus" der neuen natio-
nalen Literaturwissenschaft. Das grundlegende Erlebnis des großen Dich-
ters ist „die Begegnung mit den großen Schicksalen seines Volkes und
dem in ihnen sich offenbarenden göttlichen Geiste der Welt" (19). Geist
und Leben, Idee und Wirklichkeit gilt es zu erfassen. Nach K. J. Oben-
auer5) muß die Poetik zu klaren Vorstellungen über Sinn und Mission des
Dichters im volkhaften Staat kommen. Sie ist nicht nur Lehre von den For-
men, sondern auch vom Leben und den Lebensgesetzen der Dichtung. Sie
hat nicht nur zu sagen, was war und ist, sondern auch „was Dichtung
sein kann und soll" (S. 8). Das Wesen der rein ästhetischen Form wie
der volkhaften Kunst ist zu bestimmen. Der Begriff „Volk" muß erklärt
werden, wenn der Begriff „politische Dichtung" klar werden soll. Der
Kreis, für den der Dichter schafft, die konkrete Situation ist wesentlich.
H. Kindermann6) sieht in der gegenwärtigen Wandlung des deutschen

3) „Politische Dichtung Deutschlands." Berlin 1931.

4) „Aufgaben einer nationalen Literaturwissenschaft." München 1933.

5) „Volkhafte und Politische Dichtung." Leipzig 1936.

6) „Die deutsche Gegenwartsdichtung im Aufbau der Nation." Berlin 1936.
 
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