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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Gotthard Jedlicka: Pieter Breughel: der Maler in seiner Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0078

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G. F. HARTLAUB

verwirrenden Unentschlossenheit der Herde, die scheinbar den Weg ver-
loren hat. Die Art, in der der berittene Aufseher seinen Kopf in den
Mantelkragen steckt, macht fühlen, daß strenge Kälte herrscht. Die Far-
ben des Vordergrundes sind die eines bunten Herbstblattes. Oder es wird
der mächtige Bewegungseindruck geschildert, den das Bild vom „Unge-
treuen Hirten" hervorruft. Der fliehende Hirt erscheint als die Verkörpe-
rung des Verrates und der Preisgabe. Doch neben dem Lauf des Hirten
wird eine andere Bewegung sichtbar gemacht: die der sich drehenden
Erde. Die endlos weite Erdoberfläche wandert dem Flüchtenden unter den
Füßen weg. In dieser Landschaft mit ihrer brutalen Perspektive, die
gleichsam aus dem Schnellzugfenster gesehen ist, findet der Verfasser
zum ersten Male die Rundheit und Bewegung der Erde gemalt. Wieviel
ist mit dieser einfachen Entdeckung über den ganzen Breughel und sein
Zeitalter gesagt! —

Nach solcher Fixierung des ersten Eindrucks klärt der Verfasser mit
der Zuständigkeit des Geographen den Aufbau des Bildraums und ver-
bindet damit die erzählende Beschreibung des Bildgeschehens. Die Ge-
fahr, sich hier, vor allem bei den frühen Bildern, den „Sprichwörtern",
den „Kinderspielen", dem „Kampf der Fastnacht mit dem Fasten", in der
Fülle des Inhaltlichen zu verlieren, besteht für Jedlicka nicht, dem es im-
mer nur um den Künstler Breughel geht. Was Geschichte, Deutsch- und
Volkskunde über die Sprichwörter, Volksbräuche und Zeitereignisse, die
Breughel Anlaß zu einzelnen Bildern wurden, herausgefunden haben,
verzeichnet er auffallend kurz, denn er ist sich gewiß (— worin wir ihm
freilich nur zögernd folgen —), daß mit der Feststellung des namengeben-
den Bildvorwurfes nur eine oberste Schicht von Breughels Gemälden ge-
hoben sei, deren Geheimnisfülle bei längerer Betrachtung zunimmt und
die immer gleichsam einen mehrfachen Boden besitzen. Dann wendet sich
der Verfasser der Gliederung des Bildes zu; er weist, wie er sagt, die
Genauigkeit der Bildrechnung nach. Dies ist nun eines der Flaupt-
anliegen des Buches, eine seiner endgültigen, auf die Dauer nicht zu
bestreitenden Eroberungen. Jedlicka hat zum ersten Male erkannt und
bei jedem Gemälde Zug um Zug demonstriert, daß Breughel ganz wie
die klassischen Meister bewußt gegliedert hat, daß man sich den wil-
lentlichen künstlerischen Einsatz bei ihm nicht groß genug vorstellen
kann. Die Planlosigkeit seines unerschöpflichen Schilderns ist nur eine
scheinbare, in Wirklichkeit herrscht auf jedem Flecken Leinwand das Ge-
setz. Breughel kehrt nur die Gesetzmäßigkeit, die in der Kunst der italie-
nischen Renaissance gefordert wird, in ihr Gegenteil um, so wenn er zum
Beispiel den Bildmittelpunkt nie in die Mitte der Bildfläche legt. Doch
darf dies Verhalten nicht als äußerlicher Protest gegen anerkannte Nor-
men der südlichen Klassik gewertet werden; andere große Kompositions-
 
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