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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Hackel, Alexej A.: Das russische Italienerlebnis im 19. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0270

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sei. Zu dem Glück dieser Empfindung ist er später nie wieder gekom-
men. Hier entdeckte er sich selber und auch Rußland wieder. Hier
wurde ihm die antike Idee der menschlichen Humanitas offenbar.

„Dieser ganze Haufen untergegangener Welten, die sich in wunder-
barer Weise mit der ewig blühenden Natur mischten, das alles existiert
nur zu dem Zweck, um die Welt aufzurütteln, um den Bewohnern des
Nordens zuweilen wie im Traum diesen Süden sehen zu lassen; es exi-
stiert nur, damit der Gedanke ihn den Nordländer aus dem kalten
Leben und all der Geschäftigkeit, die die Seele verhärtet und erstarren
läßt, herausreiße und ihn über sich selber emporhebe, indem sich plötz-
lich ein leuchtender, den Menschen weit mit sich forttragender Ausblick
vor ihm auftut, ihm eine mondbeglänzte Nacht, das in Schönheit ster-
bende Venedig, ein unsichtbares Leuchten des Himmels und das warme
Gekose der herrlichen Luft verzaubert, damit er wenigstens einmal in
seinem Leben ein schöner Mensch sei"138).

Jedes Volk entdeckt in Italien das, was ihm nahe und verwandt
erscheint. Mag das Italienerlebnis der Deutschen reicher, das der Fran-
zosen geistvoller, das der Engländer innerlicher gewesen sein, so war
das russische unmittelbarer.

Dem „irdischen Elysium" verdankten die „russischen Europäer" die
wahrhafte Freude am Sein, das unmittelbare Erfassen der Schönheit in
Natur und Kunst, die Ahnung von einem neuen Menschsein. Gleich
Gogol konnten die meisten russischen Italienwanderer von sich sagen:
„Ich hatte in der Tat eine stolze Entdeckung: daß man nämlich weit
besser sein kann, als der Mensch gewöhnlich ist"139).

Aus der Vertiefung in die Vergangenheit Italiens, aus dem Erleben
der italienischen Gegenwart formte sich allmählich das russische Euro-
päertum, dessen vollendetste Verkörperung der Petersburger war. Wohl
verdankte dieser russische Europäer Frankreich und Deutschland die
entscheidenden geistigen Anregungen, die beglückendste Seelen-
bereicherung erfuhr er vom klassischen Land.

So konnten die Söhne des „Nordischen Palmyra" jene ergreifenden
Worte von F. Dostojewski]' auf sich selbst beziehen: „O, diese alten
fremden Steine, diese Wunder der alten Gottes weit, diese Splitter der
heiligen Wunder, sind uns Russen teuer, vielleicht teurer als den Euro-
päern selbst"140).

138) Gogol, Rom. a. a. O. S. 213.

139) Brief an Frau Smirnowa vom 25. Juni 1845.

140) Dostojewski], Die Brüder Karamasow. Piper Ausgabe. S. 417.
 
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