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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0298

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284

BESPRECHUNGEN

Je mehr wir uns aber mit Griechenland beschäftigen, je breiter wir die Basis für
die Betrachtung nehmen, desto mehr schrumpft dies uns Wesentliche und uns Ver-
pflichtende auf einen einzigen Punkt zusammen, auf ein paar Jahre, auf ein Bauwerk,
den Parthenon. Es hält schon schwer, ihm ein Drama des Äschylos gleichgewichtig
an die Seite zu stellen oder gar eins der vielen widersprechenden philosophischen
Systeme. Marathon und Salamis haben unter der Lupe der Geschichte so viel von
ihrer betörenden Kraft verloren, daß gerade das Bestreben, hier noch einiges retten
zu wollen, den Schaden nur noch größer macht. Wie aber präsentiert sich am Ende
jedes und nun auch dieses rein kulturgeschichtlich angelegten Werkes der Staat
dieser Griechen, wie ihre Kulte, um nicht zu sagen Kultur, wie ihre Sitten, um nicht
zu sagen Moral, wie ihre politischen Fähigkeiten, um das Wort „Heldentum" zu
vermeiden? Ein kleinliches, zanksüchtiges, kurzsichtiges, spitzfindiges und klatsch-
süchtiges Volk! Genau das Gegenteil dessen, was zu erreichen der Ausgangspunkt
war. Ein Alpdruck! Und der stete Hinweis auf den großen Moment macht die Sache
noch fürchterlicher.

Dennoch, irgendwelche Griechen müssen den Parthenon ja gebaut haben, und er
ist es, der uns so tief im Gedächtnis wohnt und dessen pathetische Schönheit immer
wieder im Pulsschlag der Geschichte sich ans Licht drängt. Aber — ich glaube —
hier liegt der Fehler im Rechenexempel. Er wohnt uns nicht im Gedächtnis, er wohnt
uns im Blut. Wir sind der wunderlichen Meinung, als sei jeder „Klassizismus" die
Sehnsucht nach einer uns doch artfremden Sache, nach einem fernen Land, und als
hätten wir ohne Vorbild und Kenntnis Griechenlands niemals etwas Ähnliches schaf-
fen können wie den Parthenon. Ja, als hätten wir keinen Winkelmann, keinen Goethe,
ja vielleicht auch keinen Dürer und Raffael gehabt ohne ihn. Dem gegenüber möchte
man sagen: wenn wir ohne Griechenland keinen Goethe gehabt hätten, so hätten die
Griechen ohne Shakespeare keinen Homer gehabt, denn dann gäbe es überhaupt kein
Europa. Versuchen wir doch einmal, statt uns und unser Wesen immer durch Grie-
chenland zu begreifen, Griechenland von uns her zu verstehen! Statt in einem goti-
schen Bildwerk nach griechischen Reminiszenzen zu suchen, einmal die Vasenmalerei
mit unseren Augen zu sehen, Sophokles von Goethe her zu erklären, die archaische
Plastik von unseren Bildwerken aus, nicht immer umgekehrt. Wir halten den Grie-
chen zwar für rasseverwandt, aber wir haben ihm das Hauptmerkmal unserer Rasse
abgesprochen, die Polarität der Weltanschauung, und versuchen es, die Perikleische
Zeit in Homer und alten dionysischen Kulten wurzeln zu lassen. Aber Goethe „wur-
zelt" nicht in Grimmelshausen und Rembrandt nicht in Dürer und seiner Zeit, sie
schließen einander aus. Wollten wir, um eine Geschichte des Goethischen Zeitalters
zu schreiben, unsere gesamte Kultur, Geschichte, Weltanschauung von den Ger-
manen an so in einen Topf werfen mit einer elektrischen Ladung auf Goethe hin,
wie es hier mit den Griechen geschieht, es käme das gleiche verworrene Bild heraus.
Nicht in Homer finden wir die Wurzeln für den Parthenon. Und im Aristophanes
nur da, wo er wider seine politischen Neigungen gar nicht anders kann als die
gleiche feierliche Haltung annehmen, wie sie im Schritt der Panathenäen waltet.
Diesen Schritt aber kennen wir. Es ist der der Sixtina oder der der Goethischen
Iphigenie.

Schwerin. Margarete Riemschneider-Hoerner.

Der Schluß der im Aprilheft begonnenen Abhandlung „Kunsterkenntnis
undKunstverständnis" erscheint im Oktoberheft dieses Jahrgangs.

Verantwortlich für den Textteil: Prof. Dr. Richard Müller-Freienfels, Berlin, für den
Anzeigenteil: Walther Thassilo Schmidt, Stuttgart. — I. v. W. g. — Verlag von Ferdinand
Enke in Stuttgart. A. Oelschläger'sche Buchdruckerei, Calw. Printed in Germany.
 
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