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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Schönermark, Gustav: Der Kruzifixus und die ersten Kreuzigungsdarstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0078

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1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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¥

Gefäße, und rechts weiterhin sind drei trauernde,
verschieden gekleidete Frauen zu sehen, von
denen die vordere zum Zeichen der Trauer
ihre im Gewände verhüllte Rechte an die
Wange legt. Endlich noch die Gruppe der
drei Kriegsknechte, die vor dem Kreuze das
Gewand Christi durch Moraspiel verlosen.
Im einzelnen sei auf die gewiß übliche Be-
festigung der Kreuze im Boden durch Keile
hingewiesen sowie auf die Behandlung des
Hintergrundes, der bis an die Querbalken der
Schächerkreuze ein gebrochenes Grüngelb,
darüber aber blaue Berge und einen weißen
Himmel, begrenzt durch einen blaßblauen
Streifen, zeigt. Wie der Name des Speer-
halters ist auch
der Titulus in

Schreibschrift
beigefügt ;ein be-
sonderes Täfel-
chen dafür fehlt.

Der Maler,
zwar im Banne
der Zeit einer
niedergegange-
nen Kunst arbei-
tend, war nicht
ohne Begabung.
Er hat, wie na-
mentlich die in
Schwarz stark
gehaltenen Um-
rißlinien erken-
nen lassen, alles

nur skizzenhaft behandelt, aber durchaußerordent-
lich charakteristische Gesichter und Bewegungen,
z. B. des Longinus und der Mora spielenden
Kriegsknechte, eine auffallende Lebhaftigkeit und
wirkliche Glaubhaftigkeit zu erreichen gewußt.

Das macht diese Kreuzigung in der Haupt-
sache zu einem geschichtlich erzählenden
Bilde; aber unverkennbar wird sein realistischer
Eindruck durch die Bekleidung Christi, die
Nimben sowie die Beifügung von Sonne und
Mond so wesentlich beeinträchtigt, daß es bis
zu der symbolischen Auffassung des Monzeser
Brustkreuzes kein großer Schritt mehr ist. Es
findet um diese Zeit gewissermaßen eine Ver-
schmelzung der historischen mit der symboli-
schen Darstellung statt, indem man den Heiland,

Abb. 4. Elfenboinrelief im britischen Museum.

selbst, wo es sich eigentlich nur um die
Schilderung der geschichtlichen Tatsache han-
delte, doch nicht wie einen gewöhnlichen Ver-
brecher, sondern nur in der Weise bildlich
wiederzugeben vermochte, die sich aus der
symbolischen zu der des Brustkreuzes der
Theodolinde herausgebildet hatte.

Das Ergebnis unserer Betrachtung wäre
mithin: das Dogma von der Erlösung ist bis
zu den Tagen Gregors des Großen symbolisch
auf die Kreuzigung hinweisend, aber
eigentlich noch nicht durch diese bezw. durch
den Kruzifixus dargestellt. Die älteren Kreuzi-
gungsbilder Christi sind Hinrichtungsszenen,
aber keine Kruzifixe; sie erzählen den geschieh t-

lichen Vor-
gang,habenaber
keinen liturgi-
schen Zweck.Die
Kreuzigungsdar-
stellungen neh-
men jedoch, als
dieKreuzesstrafe
im V. Jahrh. ab-
kam, mehr und
mehr die Eigen-
schaften der aus

der symboli-
schen Entwicke-
lung hervorge-
gangenen Kruzi-
fixe an und ver-
schmelzen um
600 gleichsam
mit ihnen. Dadurch wäre den ältesten Dar-
stellungen der Kreuzigung Christi ihr Platz an-
gewiesen, und dieser wäre in bezug auf den
Werdegang der Erlösungsdarstellung aus dem
Symbolischen zum Realistischen als außer-
halb desselben liegend verständlich.

Es ist ein Stück monumentaler Theologie,
das sich hier zeigt; ja solche zeigt sich in der
Entwicklung des Kruzifixus überhaupt und
vielleicht mehr als in der bildlichen Wieder-
gabe anderer christlicher Vorstellungen und
Lehren. Die Kenntnis der verschiedenzeitigen
Darstellungen ein und derselben Idee ist gewiß
gut, bildend wird aber erst der Gedankengang,
der sich daraus erkennen läßt.

Schöneberg beiBeilin. Gustav Schönermark.
 
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