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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0136

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197

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

gestürzte Wassergefäß daneben. Comestor (Sp. 1169)
macht nämlich zu der Bekräftigung des Bundes durch
Ausspritzen von Blut (Ex. 24,8) die Bemerkung, das
sei ein von den Heiden übernommenes Zeichen, die
Juden hätten aber selber ein noch schrecklicheres
Symbol dafür gehabt, Ausschütten von Wasser: wie
das Wasser ausströme und in der Erde verloren gehe,
so solle der Bundesbrüchige mit seinem ganzen
Geschlecht zugrunde gehen. Es stehen sich gegen-
über der Sinai und „der Berg, wo die Predigt und
die Reinigung des Aussätzigen stattfand" — nach
Petrus Comestor (Sp. 1504) 2 Meilen von Kapharnaum,
daher hinter der Bergpredigt die Stadt und ihr zulieb
beim Sinai der Ausblick auf das Rote Meer mit der
Agypterstadt —; ferner die Bergpredigt und die
Szene, wie Moses zum erstenmal mit den Tafeln
vom Berge kommt und sie angesichts der abtrünnigen
Volksgenossen, welche jubelnd den auf den Altar
erhobenen goldenen Stier verehren, im Zorne zer-
trümmert ; die Heilung des Aussätzigen und die
2. Herabkunft Mosis, den das Volk vor dem (in-
zwischen verlegten) Lager erwartet; auf beiden Bergen
Moses, der mit Gott verkehrt und knieend die Tafeln
entgegennimmt, während sein Diener Josue etwas
tiefer schläft, und Jesus, der mit einem einzigen
Jünger betend vom Gipfel herabschreitet, nachdem
er die Nacht im Gebet mit Gott verkehrt (Lk. 6,12,
daher die Kirche). Moses erscheint bei der Ver-
mittelung des Gesetzes an sein wankelmütiges und
schwaches Volk als der große Gesetzgeber und Lehrer
der alttestamentlichen Theokratie, der sich nach dem
Abfall rückhaltlos als SUhnopfer anbietet (Ex. 32,31 f.)
und nicht ruht, bis ihm Gott als Zeichen neuer Huld
seine Herrlichkeit zeigt (Ex. 33,17 ff.: ihr Vorüber-
ziehen in den Farben des Regenbogens ist auf dem
Berg in der linken oberen Ecke gemalt); und Jesus
tritt ihm gegenüber als der große Lehrer und Gesetz-
geber der Menschheit, welcher das auf dem Berg
von Gott empfangene Grundgesetz seines neutestament-
lichen Gottesreichs den Armen und Schwachen, welche
den Berg umlagern, entwickelt und sich für die Sünde
der Menschheit (wie im Reinigungsopfer durch den
Aussatz versinnbildet) seinem himmlischen Vater als
Sühnopfer anbietet. Auf diese Weise kommt zugleich
das Lehr-, Regierungs- und Priesteramt Christi und
Mosis zur Darstellung. Und außerdem erzählt das
Freskenpaar die Berufung des alt- und neutestament-
lichen Priestertums zur Fortsetzung dieses dreifachen
Amts. Das Strafgericht im Hintergrund rechts vom
Sinai bedeutet zugleich die Auserwählung des Stammes
Levi zum Priesterstamm, und im Gegenbild schreitet
Jesus vom Berge her mit den am Morgen ausgewählten
Aposteln, und die Zwölf haben während der Rede
hinten am Hügel Aufstellung genommen. Petrus
Comestor erzählt im engsten örtlichen, zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang die Auserwählung der
Apostel, die Bergpredigt, die Aussendung der
Apostel („mit der Gewalt, die unreinen Geister aus-
zutreiben, alle Schwächen zu heilen und das Reich
Gottes zu predigen") und die Heilung des Aus-
sätzigen, alles das auf dem Raum einer Seite(Sp. 15G3ff).
Auch der Auserwählung des Levitenstammes liegt
Comestor (Sp. 1190) zugrunde. An dem Bach, in
welchen Moses den Staub vom Goldenen Kalb ge-
streut hat, stehen Moses und eine Reihe Leviten als

Richter, auf der anderen Seite müssen die Israeliten
knieend aus dem Bach trinken und jeder, bei welchem
sich die Schuld am Barte offenbart, fällt unter dem
Schwerte der Leviten. In den 2 Porträtgestalten mit
einer Rosette am Hut in der rechten Hauptgruppe
dürfen wir vielleicht zwei Maler vermuten, ganz am
Rand den Rosselli, in dem Jüngling, vor welchem der
Farbentopf mit Pinsel steht, den Piero di Cosimo.

Die Hauptgruppen des nächsten Historienpaares
schildern die Auserwählung eines Priesters zur höchsten
Gewalt in geistlichen Dingen, zum alt- und neu-
testamentlichen Hohenpriestertum, den Petrus durch
Übergabe der Schlüssel und den Aaron durch das
Gottesgericht bei der Empörung der Koreiten (Nr. 16),
Der Künstler machte sich auch hier die Auffassung
Comestors (Sp. 1230, im Gegensatz zu Nr. 16,3f>:
Feuer ging aus von dem Herrn) mit Glück zu nutzen:
auf das Zeichen Mosis zum Gottesgericht „geht ein
Feuer aus von den Rauchfässern Kores und seiner
Genossen (tantus quantus nee de terra prolatus vel
coneursione fulminum aut violentia spirituum visus est
unquam exsilire) und verschlingt sie, während Aaron
unverletzt dasteht." Die 4 Nebenszenen illustrieren
die von Moses und Christus geübte und in den Haupt-
szenen ihren Nachfolgern übertragene Binde- und
Lösegewalt. Moses läßt den Mann, der am Sahbath
Holz sammelte, zur Steinigung abführen (Nr. IT),32ff.;
Comestor, Sp. 1229 f.). Auf die bei diesem Anlaß
(der unmittelbar vor dem Fall Köre erzählt wird)
von Gott gegebene Kleidervorschrift geht offenbar
das eigentümliche Gewand des Verurteilten, den Stein-
mann deshalb mit dem abtrünnigen Erzbischof
Zamometiü identifizierte, zurück. In dem Gegenstück,
der Begebenheit mit dem Steuerdenar, macht Perugino
mit Comestor (Sp. 160T)) aus den (von den beiden
danebenstehenden Pharisäern gesandten) Anhängern
des Herodes „Soldaten". Das Urteil Jesu lautet nach
Comestor: gebt dem Kaiser seine Steuern und Gott
die Erstlinge, Zehnten und Oblationen. Die andere
neutestamentliche Szene erzählt, wie sich Jesus beim
Versuch der Juden, ihn wegen Gotteslästerung zu
steinigen, durch ein Wunder rettet (Jo. 10,23 ff.).
Ihr entspricht das freisprechende Urteil Mosis über
die wegen Gotteslästerung verklagten Propheten Eldad
und Medad (Nr 11,26 ff.), das sich (wie die Er-
wählung Aarons von dem Untergang der Koreiten) von
der Vernichtung Dathans und Abirons (Nr. 16) abhebt;
während diese beiden von der Erde verschlungen
werden, stehen Eldad und Medad, in prophetisches
Schauen verzückt, unverletzt am Rande des Abgrundes.

In diesem Freskenpaar erreicht die 2. Fresken-
gruppe und zugleich der ganze Zyklus den Höhe-
punkt; die noch übrige Gruppe von 2 Freskenpaaren
gibt eine Art Rück- und Ausblick. Moses und
Christus nehmen, nachdem sie ihr Reich gegründet
und die Hierarchie eingesetzt haben, an der Grenze
des Verheißungslandes, das sie selber nicht mehr
betreten, Abschied von ihrem Volk. Dem letzten
Abendmahl entspricht der Abschied Mosis (Übergabe
des Fuhrerstabs an Josue, Segen über das Volk und
die 12 Stämme, unter deren Vertretern der Levite
noch einmal besonders hervorgehoben wird). Den
3 Ausschnitten aus der Leidensgeschichte (in den
Fensterdurchsichten des Cönaculums) korrespondieren
3 Darstellungen Mosis nach dem Abschied (im Hinter-
 
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