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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0183

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277

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

278

der alten Klassiker — einstmals die Künstler
verfügten.u) Da er diesen folgte, so gelang
ihm der Vielen aus uns heute überraschende
Wurf: er fand aufs Neue die Mittel, die ihn
Gleiches zu schaffen befähigten, was durch
die Pracht der äußeren Erscheinung und die
Unvergänglichkeit der alten Malereien be-
geistert, so viele Autoren in Poesie und Prosa
— sich selber unsterblichen Ruhm sichernd —
gefeiert haben.

Die antike Schulung und Werkstatttradition
reichte dann auch uns die Schlüssel, das bis-
lang unerschlossen Gebliebene erneutzuer-
schließen! doch sei es hier nochmals ausge-
sprochen, daß die Frage nach der verloren
gegangenen alten Ölmaltechnik trotz so zahl-
reicher Beiträge vieler alten Schriftsteller ein
unlösbares Rätsel geblieben wäre, wenn nicht
Plato und Aristoteles der Forschung den
Schlußstein eingesetzt hätten. Was sie aber
gesagt, ist so bedeutungsvoll, daß wir nicht
anstehen, darin eine höhere Fügung zu er-
kennen, die auch Alexander von Humboldt
in dem Worte bestätigt:36) „Es liegt nicht
in der Bestimmung des menschlichen Ge-
schlechts, eine Verfinsterung zu erleiden, die
gleichmäßig das ganze Geschlecht ergriffe.
Ein erhaltendes Prinzip nährt den ewigen
Lebensprozeß. . . ."

Wenn nun Goethe meint, um den Dichter zu
verstehen, müsse man in Dichters Lande gehen,
so mag es nicht unangebracht erscheinen, um
van Eyck und seine Gefolgschaft zu verstehen,
sich in der altern Dichter Werke umzusehen.

Es erübrigt uns dann noch der kurze
Nachweis, wie und wodurch sich bei van

8S) Dazu sehe man, was ich in den Studien zur
Geschichte der (Mfarbentechnik« (Düsseldorf 1895) in
Text und Anmerkungen von S. 212—215 gesagt
habe. — Ferner mag man in meinen 1899 erschienenen
»Untersuchungen über den Beginn der Ölmalerei«, die
sich von S. 62 bis 85 hinziehenden Nachweise lesen. —
Hier dürfte besonders die auf S. 78 begonnene Be-
schreibung eines Zeuxis'schen Bildes durch Lucian
interessieren. Nicht minder wertvoll für die Erschei-
nung der alt-griechischen Meisterwerke der Malerei
möchten die Mitteilungen sein, welche sich hier unter
der Anhangstelle bei „h" von S. 260 bis 268 vor-
finden. — Bezeichnend für die Materia l frage der
Alten ist in hohem Grade ein Vergleich des Dionysios
von Halikarnassos, den man mit noch weiteren dies-
bezüglichen Ergänzungen in meiner Schrift: -Zur Öl-
maltechnik der Alten« (Düsseldorf, 190'2) S. 86 u. w.
antreffen wird.

••) »Kosmos« (Stuttgart und Tübingen, 1847)
Bd. II, S. 268.

Eyck und seinen Nachfolgern so schnell jene
große koloristische Auffassung entwickeln
konnte. — Wie in den älteren, den soge-
nannten klassischen Perioden die literarische
Entwickelung der künstlerischen stets vorauf-
gegangen ist, so zeigt sich ein gleiches Ver-
hältnis auch wieder um die Zeit erneuten
Kunsterblühens beim Ausgange des Mittel-
alters. — Da es sich hier um keine er-
schöpfende Untersuchung handelt, so mag
ein einziges Beispiel als Nachweis genügen.
In Wolfram von Eschenbachs ,,Parzival"
naht unfern der Abendstunde, zu anbrechen-
der Dämmerzeit der Held, der weise „Thor",
wie er wohl genannt worden, der Stadt
Nantes, wo König Artus Tafelrunde hielt.
Eingehend schildert der Dichter den An-
kömmling wie die seine Annäherung be-
gleitenden Umstände im III. Abschnitte:
„Gurnemans":37)

(17) „Da ritt der Knapp allein voran
Auf einen nicht zu breiten Plan,
Von bunten Blumen überzogen."
Mit Geist und Witz beschreibt dann
Wolfram Roß und Reiter:

(25)

(145)

(ß)

(10)

Er wußte nichts von Kurtoisie:

Der Ungereiste weil! das nie.

Von Bast geflochten war sein Zaum,

Sein armes Rölilein trug ihn kaum,

Strauchend tat es manchen Fall.

Auch war sein Sattel überall

Von neuem Leder unbeschlagen.

Von Härmelin und sammt'nen Kragen

Trug er kein zu schwer Gewicht;

Mantelsschnüre braucht er nicht:

Für Sukni und für Sürkot

Hat er nur sein Gabilot.

Der nie der reinsten Zucht vergaß,

Sein Vater einst geschmückter sali

Auf dem Teppich dort vor Kanvoleis:

Dem machte Furcht nie kalt noch heiß.

Einem Ritter, der da kam geritten,
Bot er Gruß nach seinen Sitten:
Gott wahr euch, riet die Mutter mir."
Gott lohne, Junker, euch und ihr,"
Sprach Artusens Basensohn,
Den erzogen Utepandragon;

(15) Es war Ither von Gaheviell,

Den man den roten Ritter hieü."

So schlicht und einfach die Szene auch

an sich ist, wenigstens zu sein scheint, eben

so trefflich ist die von dem Dichter erstrebte

Wirkung, der sich mit dieser anspruchlosen

8r) »Parzival und Titurel. Rittergedichte von
Wolfram von Eschenbach. Übersetzt und erläutert
von Dr. Karl Simrock (Stuttgart, 1861) Bd. I.
 
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