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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0184

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279

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

280

Darstellung in die Reihe der größten Koloristen
stellt. — Ein beruhigender satter Dämmerton
lagert mildleuchtend auf dem blumigen Plane,
den die nicht ferne sich erhebende Stadt im
Schmucke ihrer Türme und zinnengekrönten
Mauern abschließt. Es ist die Stunde, welche
die Natur erhabener gestaltet, da sie ihr
Größe leiht, und bei Belassung der kleinsten
Details alles Kleinliche schwinden macht;
es ist die Stunde, in der die Schön-
heiten der Silhouettenbildung hervortreten
und ein jegliches in die Gesamthaltung ein-
bezogen wird, wodurch jene den Beschauer
so mächtig ergreifende Einheit im Bilde, die
sogenannte dekorative Wirkung erzielt wird. —
In dieser großgestalteten Natur erblicken wir
unsere Helden. Des „preiswerten Kna-
b e n" schier elendiges Gewaffen und des
Rößleins trauriger Aufputz erscheinen in
diesem verklärenden Golddämmertone nicht
mehr arm, sondern schlicht; dies ist dichte-
risch wie malerisch ein gleich feiner Trick,
da nur in dieser übergüldeten Armut länger-
währender Grußestausch mit dem fast feuer-
farb'nen Ritter glaubhaft wird. Denn:
„All seine Rüstung war so rot,
Daß sie den Augen Röte bot.
Sein Roß war rot aber schnell.
Allrot war sein Gügerel,
Seine Kovertür von rotem Sammt,
Sein Schild ein Feuer rot entflammt,
Rot sein Korsett, laßt euch melden,
Und wohlgeschnitten an dem Helden,
Rot war sein Schaft, rot war sein Speer;
Rot auch hat auf sein Begehr
Sein Schwert der Schmied gerötet,
Doch die Schärfe nicht verlötet.
Der König von Kukumerland
Rot von Gold in seiner Hand
Stand ein Becher reich geziert,
Den er der Tafelrund entführt.
Mit blanker Haut, mit rotem Haar
Zum Knappen sprach er, freundlich zwar:
Gesegnet sei usvv......

(20)

(25)

(146)

(•r>)

Daß diese, der künstlerischen Entwickelung
vorangegangenen Dichtungen ein hervorragend
malerisches Element in sich bergen, ist un-
leugbar. Dazu ist es in unserer gegenwär-
tigen Lage aber von besonderem Werte zu
erfahren, daß man zu diesem spezifisch male-
rischen Elemente auf demselben Wege ge-
langt war, auf dem auch die Miniaturmalerei
ihre neuen Formen und Stoffe erhalten hatte,
wo sich, mit Lindemann zu sprechen, neben
den zarten, treu gepflegten Duftblumen des

heimischen Gartens auch Pflanzen mit grell
gefärbter Blütenglut finden, die aus fremdem
Boden verpflanzt zu sein scheinen. — Indem
nun eine sorgfältig geführte Untersuchung die
Fortführung aus dem Altertume ererbter
Überlieferungen bestätigt, so wissen wir, was
uns zu tun verbleibt. Den Forderungen der
Alten zu entsprechen, werden wir daher
einerseits mit den Gelehrtenkreisen, anderer-
seits mit den Vertretern des Handwerks
Fühlung zu nehmen und zu bewahren haben.
Oder glaubt vielleicht noch jemand angesichts
der bitteren Klagen, in die obengenannte
Tagesblätter, Zeitschriften und in sonstiger
Form erfolgte Publikationen übereinstimmend
austönen, daß der Erfolg bei den Neueren sei?!
V.
In Erinnerung der Werke der alten
Künstlerwerkstätte möchte es sich empfehlen,
insbesondere zweien Punkten nähere Beach-
tung zu schenken. Es fällt nämlich zunächst
die eminente Befähigung ins Auge, die jeweil
benötigten Formen nach den Regeln eines
feststehenden Kanons mit staunenswerter
Sicherheit zu verwenden und zu vollenden;
zu dieser Befähigung, welche sich auf hervor-
ragendes, gelehrtes Wissen gründet, tritt jene,
welche mehr auf Erfahrungssätzen fußt und
den Traditionen der Werkstätte angehört, sie
betrifft die nicht minder wichtige Gediegen-
heit der Ausführung, die in der Handlichkeit
des Malmaterials, in der uneingeschränkten
Verwendbarkeit desselben, in der Unver-
änderlichkeit der Töne und der unbegrenzten
Dauer des Bildes besteht." — Dies sind Tat-
sachen ! und diesen Forderungen haben auch
wir zu genügen! denn sie sind in der Kunst
der Alten zu Axiomen erhoben. — Und
darum ist es ein Irrtum und zwar ein be-
denklicher, schwerwiegender Irrtum, wenn
v. Werner88) sagt: „wir können die einfache
Frage: „was ist eine schöne Linie?" nicht
auf mathematischer Grundlage beantworten,
und an Stelle der Gesetze tritt bei uns das
mehr oder weniger sichere oder irrende Ge-
fühl. Wir stehen immer vor Fragen!" —
Eine solche Sprache muß umsomehr über-
raschen, da es nicht an zahlreichen Arbeiten
früherer und späterer Tage fehlt, die uns

38j »Rede bei der Preisverteilung in der König-
lichen akademischen Hochschule der bildenden Künste
am 18. Juli 1903« von A. v. Werner (Otto v. Holten,
Berlin C) S. 4.
 
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