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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Schmid, Andreas: Kunstkritik
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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0204

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311

1900. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

312

„ein wohlgesinntes Herz!" (Naturalium quae-
siionum Hb. III, 14.), denn „was hilft es,
wenn etwas vor den Menschen verborgen ist?
(Epist. H3,l) da du ein Gewissen hast!"
(Fragm. 14). — So aber dachte nicht nur das
heidnische Altertum, sondern auch die Ver-
treter der neuesten Zeit, soweit sie ein tief-
künstlerisches Empfinden beseelt, denken
gleicherweise. Als Albumspende44) zum
hundertundfünfzigsten Geburtstage Mozarts'
erschien unter den Beiträgen der hervor-
ragendsten Musiker und Schriftsteller: auch
ein Wort Paul Lindaus, welches hier so recht
an seinem Piatze sein dürfte.

„Mozart ist für mich die lauterste Künstler-
seele, der Inbegriff alles Lieben und Schönen
in der Kunst. Durch sein ganzes Wesen und
Wirken hallt ein Akkord von wundervollem
Wohlklang. In diesem echten Kinde des
Volks steckt eine angeborene Vornehmheit,
vor der alles Gewöhnliche und Gemeine scheu
zurückweichen. Wo er waltet, verflüchtigt
sich das Häßliche, hellt sich das Trübe zu
goldigem Sonnenschein. Kraft und Größe
vereinigen sich in ihm mit Anmut und Be-
scheidenheit zu einem einzigen Bunde. Das
wahrhaft Göttliche in ihm aber ist seine un-
vergängliche rührende Kindlichkeit. Er ist
eines der Kinder, von denen Christus sagte,
man solle ihnen nicht wehren, zu ihm zu kom-
men, — „denn solcher ist das Reich Gottes."

Die große Wichtigkeit der hier angeregten
Frage nach der künstlerischen Schulung von
sonst und jetzt mahnt uns dringlich, noch
einmal zurückzuschauen; und sofort begegnen
wir dem in der Folge so vielfach variieiten
Worte Senecas: „Niemand wird als Weiser
geboren, er wird es erst . . . Was gibt es
dabei zu verwundern, daß Hecken und Dornen
nicht voll hangen von nützlicher Frucht?
(Deirall, 10, 6.)45) Deutlicherund noch ein-

<4) In der 1. Beilage des „Berl Börsen-Courier"
Nr. 86 vom Mittwoch, 21. Februar 1906.

4S) Sagte doch auch schon Isokrates mit dring-
licher Deutlichkeit:,,... wir wissen, daß die Fort-
schritte in den Künsten und in allem andern nicht
durch die bewirkt werden, welche bei dem Bestehen-
den bleiben, sondern durch die, welche sie verbessern
und immer wieder etwas umzustürzen wagen, was
noch nicht recht ist." (Evagoras 2.) Diese An-
schauung verdeutlicht er ebendort noch in jenem
weiteren Ausspiuche: , Denn wir werden finden, daß
die . . . hochgesinnten Männer . . . ., mehr um den

dringlicher mahnt Dürer zum Lernen: hier
freundlich unterweisend, dort derbe zurecht-
weisend. So beginnt er den ersten Entwurf
zur Vorrede seines leider nicht zur Durch-
führung gekommenen großen encyklopädischen
Werkes, welches alles dem Künstler Wissens-
werte umfassen sollte, mit den Worten: „Durch
Gottes Gnade und Hilfe zu Diensten allen
Kleinen, die da gern lernen, denen sei her-
nach aufgetan alles dasjenige, was ich durch
meine Übung erfahren habe als zum Malen
dienend usw.". — Gegen Melanchthon äußerte
ersieh einst: „Ein ungelehrter Mensch gleiche
einem ungeschliffenen Spiegel"; an anderer
Stelle gedenkt er der Unwissenden: als in der
Wildnis aufgegangener unbeschnittenen Bäume.
Eben die Schulfrage wird durch Dürer,
den wir daher doppelt gerne als den Alt-
meister deutscher Kunst bezeichnen, in der
besten Weise gelöst. Wir finden ihn in allen
seinen Bestrebungen auf dem Wege der Alten,
mag es sich um Erwerbung des rein Wissen-
schaftlichen oder des Handwerklichen in der
Kunst handeln. Melanchthon, sagt Thausing
(S. 500) hatte eine so hohe Meinung von
Dürers Urteil, daß er dessen Aussprüche gerne
zur Bekräftigung seiner eignen anführte;
darum nannte er ihn „einen weisen Mann,
an dem die künstlerische Begabung, so hervor-
ragend sie auch war, noch das mindeste gewesen
wäre" (ebend. S. 467). Von seiner künstleri-
schen Tätigkeit sagt dann Johannes Janssen40)
bei gedrängter Besprechung der „Deutschen
Malerei", wobei er Dürers Schaffen als Maler,
Zeichner, Ätzer in Zinn und Eisen, Graveur,
Bildhauer, Goldschmied und Buchdrucker ge-
dacht und seine unverdrossene, erstaunliche
Tätigkeit bewundert, daß er bei aller Detail-
lierung das weite Arbeitsfeld Dürers nur ge-
streift, und fügt deshalb wörtlich bei: „Es
läßt sich kaum irgend ein Zweig der bilden-
den Künste nennen, auf den er nicht einen
entschiedenen Einfluß ausgeübt hätte." Und
das vermochte er nur infolge seiner tiefen,
wissenschaftlichen Erkenntnis! (Schluß folgt.)

Düsseldorf.

Franz Gern. Crem er.

Nachruhm, als um ihr Fortkommen sich bemühen, und
alles tun, um ihr Andenken unsterblich zu hinter-
lassen." (Absch. 1.)

,6) »Die allgemeinen Zustände des deutschen
Volkes beim Ausgang des Mittelalters t (Freiburg
im Breisgau, 1878.) Bd. I, S. 169.
 
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