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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0238

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365

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

366

italienischen Meisterwerkstätten. Er bildet
Schüler, die den Neid der anderen Schulen
erwecken, und die den Ruhm seiner eigenen
ausmachen. Immer ist er umgeben von dieser

Gefolgschaft___, über die er eine Art väterlicher

Autorität voller Milde, Sorglichkeit und Würde

ausübt.....

So steht dieses vorbildliche Leben
vor uns; ein Leben, das ich geschrieben sehen
möchte von jemand von großem Wissen und
von großem Herzen, zur Ehre unserer
Kunst und zur dauernden Erhebung
für die, die sie ausüben."

Joshua Reynolds, am 16. Juli 1723 zu
Plympton in Devonshire geboren, entstammt
einem geistlichen Hause; auch seine Groß-
väter waren Geistliche, und ein bedeutender
Mathematiker zählt zu diesem von vielseitigen
geistigen Interessen beherrschten Familien-
kreise. Ungewöhnlicher Fleiß führte bei dem
Knaben zu früher Reife; dabei ist es im vor-
liegenden Falle von großem Interesse, daß
der Vater ihn früh in die klassische Literatur
einführte und in seiner bald aufkeimenden
Neigung zur Kunst bestärkte. — Des jungen
Mannes Ringen und Streben bekunden seine
Tagebuchblätter, wie seine späteren akademi-
schen Reden für die in rastlosem Studium
und Schaffen zurückgewonnenen und mit
Energie erneut zur Anwendung gebrachten
Prinzipien der Alten zeugen. — Mit seinen
wissenschaftlichen Bestrebungen hält seine
künstlerische Tätigkeit gleichen Schritt. Welch
tiefgehenden Einfluß er durch erstere erlangte,
zeigte sich bei jener denkwürdigen Abschieds-
rede 47) am 10. Dezember d. J. 1790, mit der er
seine Stellung als Präsident der Royal Academy

4') Dr. Eduard Leisching, welcher in der Samm-
lung „Zur Ästhetik und Technik der bildenden
Künste" die »Akademischen Reden" von Sir Joshua
Reynolds in Übersetzung mit Einleitung, Anmerkun-
gen, Register und Textvergleichungen versehen heraus-
gegeben (Leipzig, 1893), erzählt in der Einleitung:
„. . . Der Saal war überfüllt. Als Reynolds eben
zu sprechen begonnen hatte, senkte sich, wie Cun-
ningham berichtet, infolge des übermäßigen Andranges
mit lautem Krachen ein Träger des Fußbodens. Die
Zuhörer stürzten zu der Türe, „Lords fielen über
Studenten, Studenten über Lords, Akademiker über
beide. Sir Joshua aber blieb schweigend und unbe-
weglich auf seinem Stuhle sitzen. Da der Boden
nur ein wenig sank und rasch seine Stütze fand, be-
gann Reynolds, nachdem die Zuhörer ihre Sitze
wieder eingenommen hatten, in völliger Gemütsruhe
seine Rede von neuem. ..."

niederlegte, bei der alles, was in London Rang
und Stellung besaß, anwesend war. — Unter
den in atemloser Spannung lauschenden Zu-
hörern befand sich auch der nachmalige
Freund Byrons, der Verfasser der Pleasures
of memory, Samuel Rogers, in dessen Lebens-
beschreibung von Clayden sich folgende Mit-
teilung findet: Als Reynolds in höchster Be-
geisterung mit dem Namen Michel-Angelos
seine Rede geschlossen hatte und seinen Platz
verließ, schritt Burke auf ihn zu, ergriff in
großer Rührung seine Hand und sprach die
Miltonschen Verse:
,,The Angel ended, and in Adam's ear
So charming left his voice that he awhile,
Thought him still speaking, still stood fix 'd to hear." 4S)

Für seine künstlerische Tätigkeit ist es
gewiß bezeichnend, daß er allein in den Jahren
1755 und 1760 je hundertundzwanzig Porträts
malte, 1759 hundertundachtundvierzigund 1758
gar hundertundfünfzig Porträts. Und wieseine
fünfzehn akademischen Reden für uns heute
insbesondere von großer Bedeutung sind, so
erfahren wir aus dem eben so schlichten wie
ergreifenden Nachrufe, den wenige Stunden
nach Reynolds Hinscheiden Burke im Sterbe-
hause am 23. Februar 1792 niederschrieb,
was die Kunst an ihm als Künstler verloren
hat.

„Sir Joshua Reynolds war in vieler Hinsicht
einer der merkwürdigsten Männer seiner Zeit.
Er war der erste Engländer, der zu den
übrigen Ehren seines Vaterlandes den Ruhm
der schönen Künste fügte, sein Geschmack
seine Anmut, seine Gewandtheit, seine glück-
liche Erfindungsgabe und der Reichtum und
Einklang seiner Farben stellen ihn neben die
großen Meister der ruhmreichsten Zeitalter.
Im Porträt ging er über sie hinaus, denn er
verlieh dieser Kunstgattung, welche die eng-
lischen Künstler am eifrigsten pflegten, eine
Mannigfaltigkeit, Phantasie und Würde, die
er den höheren Richtungen entlehnte, und
welche selbst jene, die sie in einer höheren
Richtung ausübten, nicht immer bewahrt
haben, wenn sie die individuelle Natur dar-
stellten. Seine Porträts erinnern den Be-
schauer an die Erfindung der Historienmalerei

4ä) »Verlor. Paradies«, Eingangszeilen des VIII-
Gesanges:

„Der Engel schwieg, in Adams Ohre klang
Die Stimme so bezaubernd, daß er selbst
Sie lang nachher noch zu vernehmen meinte
Und starren Blickes lauschte."


 
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