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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0239

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1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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und an die Anmut der Landschaft; in seinen
Porträts schien er sich nicht auf diesen Stand-
punkt zu erheben, als vielmehr aus höherer
Sphäre zu ihm herabzusteigen; seine Bilder
erläutern seine Lehren, seine Lehren scheinen
von seinen Bildern abgeleitet zu sein. Er
hatte die Theorie seiner Kunst ebenso voll-
kommen inne wie deren Praxis. Um solch
ein Maler zu sein, war er ein tiefer und
scharfsichtiger Philosoph. In der zuströmen-
den Fülle fremden und heimischen Ruhmes,
von Künstlern und Gelehrten bewundert, um-
worben von den Großen, ausgezeichnet von
den Machthabern und gefeiert von hervor-
ragenden Dichtern, verließ ihn seine angeborene
Bescheidenheit, Demut und Reinheit niemals,
selbst nicht, wenn er überrascht oder heraus-
gefordert wurde. Auch war selbst für das
schärfste Auge nicht der geringste Grad von
Anmaßung oder Überhebung in seinem Be-
nehmen oder seinen Werken zu erkennen.
Seine verschieden gearteten Talente, von Natur
aus mächtig und durch Studien hochentwickelt,
seine gesellschaftlichen Tugenden in allen
Beziehungen und Verhältnissen des Lebens
machten ihn zum Mittelpunkt einer bedeuten-
den und unvergleichlich verschiedenen Menge
angenehmer Gesellschaftskreise, welche sich
infolge seines Todes zerstreuen werden. Er
hatte zu viel Verdienste, um nicht einige
Eifersucht zu erregen, zu viel Unschuld, um
irgend welche Feindschaft herauszufoidern.
Der Verlust keines Mannes seiner Zeit wird
mit aufrichtigerem, allgemeinerem und unge-
mischterem Kummer empfunden werden.
Heil Dir! Lebe wohl!-'

Im Jahre 1798 schrieb Johann Gottfried
von Herder40): „Vom Geist des Christentums",
nebst Abhandlungen verwandten Inhaltes.
Diese geistvollen Ausführungen enthalten Ge-
danken und Anspielungen in Fülle, welche
sich mit der hier in Betrachtung gezogenen
so hochwichtigen Materie in gewisser Über-
einstimmung zeigen, weshalb es mir gestattet
sei, diese in die Erinnerung zu rufen. —
Falls diese Zeilen den Wunsch geweckt haben

*9) M. s. »Joh. Gottfr. v. Herders sämtliche
Werke.« (Stuttgart und Tübingen, 1830), XVIII. Teil,
Band 3, V.

sollten, manches eingehender, ausführlicher
behandelt zu sehen, dann ist die kürzere
Fassung jedoch nicht auf überhinfliegenden
Leichtsinn zurückzuführen; denn mancher
Satz enthält den Stoff zu einem Buch und
ist das Resultat langer Erfahrung, langer
Überlegung.

So angenehm es dem Leser sein mag,
seinem Schriftsteller nachzudenken, d. i.
seinem Vorgedachten langsam zu folgen, so
ist's ihm doch nützlicher, daß der Schrift-
steller ihn selbst zu denken zwinge und ihm
deshalb nicht alles vordenke. Das trifft ganz
besonders auf jene Besprechung, welche die
„Düsseldorfer Neuesten Nachrichten" unter
der Aufschrift: „Die Chemie als Retterin der
Malerei" gebracht haben. Denn bei diesem
abgerissenen Gedanken muß er sich fragen:
„Wie kam sein Urheber dazu? ist er wahr?
warum führte er ihn nicht weiter ?" Bei jenem
gezeigten Mißverständnis wird er fragen:
„Was folgt daraus? was muß ich sonach ein-
reißen, ändern, wegwerfen: welch eine andere
Schar Mißverständnisse und Mißbräuche zieht
dies Angezeigte nach sich ?" — Und so
wird diese kurze Schrift, ja mancher einzelne
Satz derselben ihm Text zu einem großen
Kommentar werden, zumal wenn er ihn ins
praktische Leben einführt. Der Schriftsteller
hat sodann den edelsten Zweck erreicht:
er schuf, er veranlaßte wahre, bessere Ge-
danken.

Wahren, besseren Gedanken aber müssen
notwendig, wenn auch langsam und unver-
merkt, bessere Gesinnungen folgen. Man
lernt die Sache von einer anderen Seite an-
sehn; man gewöhnt sich an diese, endlich an
alle Seiten; und so ist man wahrheitliebend,
unparteiisch geworden. Ein schöner Gewinn,
der uns aus dem Lesen einer Schrift, wenn-
gleich wider Willen, zuteil wird. Ich zweifle,
sagt Herder, ob es einen schöneren gebe ?

Übrigens entschuldige ich die schlichte
Wahrheit, die ich dieser Schrift in den Mund
legte, nicht. „Zeit zu verbergen und zu
bemänteln ist nicht mehr, wenn, wie
Christus sagt, die Steine schreien."50)
Düsseldorf. Franz Gerh. Cremer.

°) Joh. Gottfr. v. Herder a. a. O.
 
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