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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 3.1909/​10

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Dehio, Georg: Zur Geschichte der gotischen Rezeption in Deutschland: die polygonalen Chöre
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https://doi.org/10.11588/diglit.22223#0064

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50

G. Dehio.

Demgegenüber ist es nun sehr merkwürdig, daß gleich der erste gotisch kon-
struierte Chor in Deutschland, der von Magdeburg, konsequent mit dem Polygon
operiert. Der Grundstein zum Dom von Magdeburg wurde 1209 gelegt. Der Übergang
zur polygönen Anordnung gehört zwar einem zweiten Meister. Auch wenn man ihn
um einige Jahre jünger ansetzt, ist die Zahl der Polygonalchöre, die er in Frankreich
gesehen haben kann, eng bemessen. Ich würde schon deshalb an Schulung in Nord-
burgund oder in der Hochchampagne denken; es spricht dafür sehr bestimmt aber auch
ein charakteristisches Detail, das Bronzgesims des Umgangs.

Nun gibt es aber in Deutschland Polygonalchöre, die noch älter sind. Sie finden
sich in und um Basel und in Trier.

Im Baseler Münster, begonnen in der letzten Zeit des 12. Jahrhunderts, treffen
lombardische und burgundische Einflüsse zusammen. Aus jenen ging das Emporen-
und Gewölbesystem des Langhauses hervor. Burgundisch mutet die Dekoration des
Chores an, nur über Burgund kann die Anlage als halbes Zehneck mit Umgang nach
Basel gekommen sein. Hiermit ist der Weg gewiesen, der auf die alte vorgotische Heimat
der Polygonalchöre hinweist: es ist die Provence. Diese hat sie offenbar aus dem
byzantinischen Orient empfangen und hat sie dann an ihre Nachbarprovinzen weiter-
gegeben. An Burgund wohl am spätesten. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
kommen hier Polygonalchöre jedenfalls vor, schon in protogotischer Umbildung, selbst-
verständlich von der nordfranzösischen Schule ganz unabhängig. Über Basel kam das
Motiv nach Freiburg und nach Pfaffenheim im Oberelsaß, vielleicht auch nach Geb-
weiler. Ja, auch im Chor des Straßburger Münsters wird der zwar noch unentschiedene
polygonale Anklang in diese Reihe zu stellen sein.

Hier mag eine weitergehende Bemerkung über das Elsaß eingeschaltet sein. Zwei
Konstruktionsmotive, die man herkömmlich als Anzeichen des Übergangsstils ansieht,
treten im Elsaß früher auf als irgendwo sonst in Deutschland: die Kreuzrippen und
die Spitzbogenlinien an Arkaden und Gewölben. Jene begegnen in primitiver, tasten-
der Form zuerst in Murbach vielleicht noch vor, diese in allgemeiner Verbreitung
bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts. Woher kommen sie? Nach der bisher
geltenden Anschauung selbstverständlich aus der Wiege des gotischen Stils, aus der
Isle-de-France. So ganz selbstverständlich ist das aber nicht. Für die Kreuzrippen
kann die Lombardei, für die Spitzbogen Burgund in Frage kommen. Nach der ganzen
Sachlage halte ich diese Herkunft auch für die wahrscheinlichere. In der Zeit, um die es
sich handelt, hatte die im Werden begriffene Schule der Isle-de-France selbst in den
französischen Nachbarprovinzen noch keinen Einfluß gewonnen. Die in Frage kommen-
den elsässischen Bauten zeigen trotz Kreuzrippen und Spitzbogen keine Spur von
gotischer Tendenz, sie sind Massenbauten von schwerster Haltung. Dagegen sind Be-
ziehungen zu Burgund und Oberitalien im Elsaß wie in der Nordwestschweiz eine alte
Sache und sie wurden durch den Bau des Baseler Münsters neu belebt. Sind doch selbst
am Dom von Speier bei der Ilestauration vom Ende des 12. und Anfang des 13. Jahr-
hunderts lombardische Maurer und Steinmetzen stark im Spiel. Ich erwähne hier nur
eine bezeichnende technische Einzelheit, die Einbindung der Bogensteine in die Mauer
nach römischer Tradition (Beispiel: Porta nigra in Trier). Sie war den Lombarden
geläufig geblieben und ihr Vorkommen in Basel, in Gebweiler, in Speier, ist jedesmal
ein untrüglicher Beweis für die Anwesenheit lombardischer Muratori.
 
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