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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0556

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540 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

Etampes31. Erhalten sind von den szenischen Darstellungen, mit denen er bestickt
■war, noch die Anbetung der drei Könige, die Flucht, der Kindermord, die Taute und
der Tod Marias. Von der Darbringung des Jesuskindes im Tempel sind außer der
Arkade, unter der diese Szene angeordnet war, nur spärliche Reste mehr vorbanden.
Die Einlassung des Behanges ist mit Wappen besetzt; in ihren Ecken waren die
Symbole der Evangelisten angebracht, von denen sich jedoch bloß der Stier des
hl. Lukas erhalten hat33.

Auch ein zweites, im gleichen Schatz befindliches parement pour le hault de
l'autel, wie das Inventar von 1595 sagt, ist leider nicht mehr ganz vollständig, da
die ursprünglich überhöhte mittlere Abteilung verkürzt und den seitlichen an Höhe
gleich gemacht wurde. Es ist nicht in Stickerei, sondern in Gobelintechnik her-
gestellt und eine vorzügliche Arbeit. Im Mitteileid ist Marias Krönung dargestellt, in
den Seitenfeldern erblickt man zwei Typen derselben. Links wird Bethsabee durch
Salomon gekrönt, rechts Esther von Assuerus in Gnaden aufgenommen. Das Para-
ment wurde der Kathedrale zugleich mit dem früher beschriebenen Antependium33
vom Kardinal Louis von Bourbon, Erzbischof von Sens (1536—1557) geschenkt3*.

In Spanien hat sich ein herrlicher Rückbehang aus dem dritten Viertel des
15. Jahrhunderts in der Kathedrale zu Valencia erhalten, der später freilich in ein
Antependium umgewandelt wurde. Es ist das früher beschriebene, mit einer Kreu-
zigungsszene und vier anderen Passionsdarstellungen geschmückte Antependium,
eine Stiftung des Kanonikus Vicente demente (f 1474), das seinem Bildwerk zufolge
ursprünglich wohl nicht zur Bekleidung des Altares diente, sondern als Behang über
demselben angebracht war (Tafel 126).

Der Bückbehang wurde nicht bloß über Altären angebracht, die der "Wand der
Kirche vorgebaut waren oder, wie der Hochaltar der englischen Kathedralen und
Stiftskirchen, sich an die hohe Scheidewand anlehnten, welche den Altarraum von
dem hinter ihm liegenden Teil des Chores trennte, sondern auch über freistehenden
Altären, wie z. B. über dem Hochaltar in französischen Kathedralen. Er wurde in
diesem Falle an dem retabelartig hinter dem Altar aufsteigenden Hinterbau auf-
gehängt, der als Untersatz von Reliquienschreinen und sonstigen Reliquiaren diente
oder Statuen trug.

ZEHNTES KAPITEL

ENTSTEHUNG DES RETABELS

Es muß auffallen, daß das Retabel erst in verhältnismäßig später Zeit
in Gebrauch kommt. Es legen sich daher zwei Fragen nahe, erstens: Welche
Momente verhinderten, daß es nicht früher auf den Plan trat? und zweitens:
Welchen Momenten verdankt es sein Dasein?

Man hat den Grund für das späte Auftreten des Retabels in dem Umstand ge-
sucht, daß der Priester in alter Zeit an der Rückseite des Altares stehend und das
Gesicht dem Volke zuwendend zelebrierte. In der Tat war mit einer solchen Stellung
des Zelebrans ein Retabel auf dem Altar nicht vereinbar. Allein bei Altären, die einer
Wand vorgebaut waren oder doch so nahe bei ihr errichtet werden mußten, daß
hinter ihnen nur geringer Raum freiblieb, stand der Priester stets vor denselben,
bei freistehenden aber hatte er jedenfalls schon in der Karolingerzeit sehr oft dort
seinen Platz, diesseits der Alpen sogar bereits am gewöhnlichsten, wie es scheint.
Der Altar hätte demnach, soweit das von der Stellung des zelebrierenden Priesters
abhing, lange, bevor das Retabel endlich auf dem Plan erschien, mit einem solchen

" E. Charlraire, Inventaire da tresor c
l'6glise primatiale de Sens (Paris 1897) 32.
" Abb. bei de Farcy, TD. 12.
 
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