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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Westheim, Paul: Der Künstler-Philosoph
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0237

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DER KÜNSTLER-PHILOSOPH.

VON PAUL WEST HE IM.

Eine Sehnsucht, stärker denn je, das Evan-
gelium reinen Menschentums in der Kunst
zu suchen, glüht in dem Menschen der Gegen-
wart. Jenseits von Phantasterei und Phi-
listerei sucht er hier Erhebung, Reinigung und
Glück. Der Künstler wird zum Künder, der
in seiner Schöpfung das Credo formuliert.

Wohlverstanden, die Traktätchen-Maler
haben ihre ganze Gefolgschaft nahezu ein-
gebüßt. Nie war das moralisierende Genre
geringer eingeschätzt denn heute. Mag selbst
das Sprüchlein wie von den englischen Prä-
raffaelliten in gepflegterToilette gesagt werden.
Der pictor philosophus, der darauf aus war,
erbauliche Szenen zu stellen und ergötzliche
Anekdoten zu komponieren, blieb an der
Oberfläche kleben. Derart, daß ihm die Jungen
mit den frischen Sinnen und dem wallenden
Künstlerblut mit Goethe nachrufen: „Ein Kerl,
der spekuliert, ist wie ein Tier auf dürrer
Heide ..." Und von einem der prominen-
testen Führer der Berliner Künstler kolportiert
man das Paradoxon: „Der Künstler muß

dumm sein und geil." Gewiß ist das nicht
im gewöhnlichen Alltagssinne aufzufassen,
sondern als Protest gegen den gedanklichen
Schwulst, gegen den niederen Erzählergeist
der Genrenaturen. Der bildende Künstler,
sofern er wahrhaft groß ist, wird niemals dem
Literaten ins Handwerk pfuschen wollen. An
Stelle der lyrischen, epischen, dramatischen
Ausdrucksmittel ist ihm die malerische,
plastische, architektonische Form vor-
behalten. Je reiner er seine Sprache
meistert, um so eindringlicher ist die Gewalt,
mit der er Herz und Sinne zwingt.

Die Weihe, die ein Werk der Kunst aus-
strahlt, kommt niemals vom Objekt, kommt
allein vom Subjekt. Weder der geschilderte
Vorgang noch die rein optische Darstellung
vermögen im Innersten zu ergreifen. Kraft
kommt nur von Kraft, und leidenschaftliche
Erregung entzündet sich nur an der Leiden-
schaft , deren Glut den Gestalter antrieb,
die gemeine Materie zur stolzen Schönheit
umzuschweißen. Wirkungen ethischer und

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architekt e. t. wimmer. Szenerie-Entwurf zu »Hamlet«, erster Akt

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