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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Hardenberg, Kuno Ferdinand von: Kleider-Kultur, [2]: Gedanken in Splittern
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0110

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KLEIDER-KULTUR.

GEDANKEN IN SPLITTERN. VON KUNO GRAF HARDENBERG.
II.

Eine Kleiderkultur ohne Körperkultur ist undenkbar.
Wo der Kleiderkultur diese Voraussetjung fehlt, ist
sie eine unerträgliche Lüge. Kleiderkultur ohne Kultur
des Herzens oder Verstandes heißt Geckentum.

*

Einen schönen, reinen, gesunden und ausgebil-
deten Körper zu haben, muß eins unserer höchsten
Jdeale werden. Wir müssen unseren Körper lieben
lernen wie ein Heiligtum. So dienen wir unserer
Rasse, unserem Volk. Wer seinen Körper lieb hat,
der pflegt ihn — und kleidet ihn an, wie es dem
teuersten Gut, das wir besitzen, zusteht, aber er ver-
weichlicht ihn nicht und vernachlässigt ihn nicht.
*

Mir beweist keiner, daß es ein Zeichen von echter
Männlichkeit ist, wenn jemand im tabakdurchtränk-
ten Schlotterrock und grauen Wollhemde mit herab-
gerutschten Wollsocken und unmöglichen Fußbehäl-
tern unter Menschen erscheint, im Gegenteil, ich
sehe in solchen Gestalten das Urbild der Verweich-
lichung, der schlimmen, inneren Verweichlichung, die
Nachlässigkeit heißt. Zudem glaube ich fest an einen
Parallelismus innerer und äußerer Negligees. Große
harmonische Geister sind immer Freunde einer sorg-
fältigen Kleidung. Goethe war in seiner Jugend ein
Elegant, im Alter wußte er seinen Ministerfrack zu
tragen. Ähnliches wird von Lord Bacon und an-
deren Genies berichtet.

*

Ich begreife, daß jemand die Gesellschaft flieht,
aber ich begreife nicht, wie jemand schlecht oder
unpassend angezogen in Gesellschaft erscheinen mag.
Es ist ein sicheres Zeichen edler Geister, daß sie
das, was sie machen, ganz und gut machen.

Wer zu Hause nicht fünf Minuten siljen kann,
ohne den Kragen zu lösen, Pantoffeln anzuziehen
und sich mit einem Schlafrock zu behängen, ist ein
Verweichlichter. Den Edlen verpflichtet Alleinsein
zu größter Strenge gegen sich.

#

- Wer Bedürfnislosigkeit predigt ist ein Kulturfeind.
Die Bedürfnisse des Menschen sind fast alle berech-
tigt. Nur üble Angewohnheiten, die auf bedauer-
licher Überlieferung oder törichter Nachahmung er-
wachsen sind, gilt es zu bekämpfen, denn sie sind
die wahren Kulturfeinde und zudem sind sie immer
kostspielig. Wer sich ihrer enträt, ich denke an
Rauchen, Alkoholtrinken, übermäßigen Fleischgenuß,
erspart schon dadurch so viel, daß er den edlen
Bedürfnissen des Körpers nach Bekleidung und Aus-
bildung völlig gerecht werden kann.

Unfrische in der Kleidung ist in Gesellschaft eben-
so unverzeihlich, wie Unfrische im Denken und
Reden, vielleicht noch unverzeihlicher. Der Unfrische
im Geiste, schlecht gekleidet, gibt nichts, er lähmt
nur. Ist er gut und nett angezogen, so erfreut er
wenigstens durch seinen Anblick.

#

In Amerika verzeiht man dunkle Punkte in der
Vergangenheit, niemals Flecke auf einem Rocke. Es
liegt darin das gesunde Empfinden eines Naturvolkes.

*

Wer seine Kleider liebt, wird auch die Natur
lieben, die der Gottheit strahlendes Gewand ist. Er
wird den Wald lieben, der seinen Rock mit Ozon
frischt, das Meer, die Seen, die Berge und die Hügel.
Aber die dunstige Stickluft der Kneipen und Stamm-
tische, die ihn bis aufs Hemd mit Spießbürgerodem
und Bier- und Tabaksbrodem widrig durchtränkt,
wird er meiden. Er wird im Luft- und Sonnen-
bade sein ureigenstes Kleid, seine Haut von der
goldenen Allmutter pflegen, heilen, umschmeicheln
und männlich färben lassen, und wird dadurch zum
Glücklichen werden, zum Versöhnten mit sich und
der Welt.

*

Es ist eines Mannes unwürdig, auch nur eine
Minute ungerüstet zu sein. Wer sich in seiner Familie
ein plumpes Negligee gestattet, wird sich bald von
seinen Kindern darin übertroffen sehen — oder er
wird sich kritisieren lassen müssen.

Die Kunst, eine Unterhaltung genußreich zu führen,
besteht darin, im richtigen Moment das Thema zu
wechseln. Wer immer in derselben Kleidung er-
scheint, ist von vorneherein langweilig.

Richtig, wir müssen zur Einfachheit zurückkehren.
Leider ist's nicht so leicht, denn aus komplizierten
Verhältnissen zur Einfachheit »zurückkehren« (man
sagte besser: sich zur Einfachheit entwickeln), heißt
zur höchsten Kompliziertheit übergehen. Nichts ist
in Kunst und Leben so schwierig und darum so
selten — wie Einfachheit. Einfachheit ist höchste Vor-
nehmheit und hat mit Nachlässigkeit, Kargheit und
Barbarei nicht das Geringste zu tun. Einfachheit ist
die Mutter der Schönheit. Nur edle Geister können
einfach sein. Die Einfachen von Geburt, von Gottes-
gnaden sind selten wie die weißen Raben. Wo sie
aber zur Erde herniedergestiegen sind, da waren
sie das leuchtende Erstrebebild, für die, die sich aus
Erkenntnis zur Einfachheit zu entwickeln trachteten.
 
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