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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Hardenberg, Kuno Ferdinand von: Kleider-Kultur, [1]: Gedanken in Splittern
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0100

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KLEIDER-KULTUR.

GEDANKEN TN SPLITTERN. '

Die Banalität und Eintönigkeit unserer Kleidung
erinnert an die Gräßlichkeit unserer Mietskasernen-
fassaden von gestern. Im Bauen ist's mittlerweile
besser geworden und es wird noch immer besser
werden, denn Wolmkünstler haben uns gelehrt, von
innen nach außen zu bauen und damit das Fühlen und
Sehnen unserer Zeit verstanden. Die Bekleidungs-
künstler, die aus dem innersten Bedürfnisse unseres
Körpers heraus uns neue, schöne, farbige und zweck-
mäßige Kleider schaffen, stehen nodi aus.

*

Man mag an Essen und Trinken sparen, an Tabak
und Zigaretten. An Kleidern sollte man nie sparen.
Das Beste hierüber sagt PrenticeMulford: Es ist Kraft-
vergeudung, alte Kleider zu tragen, sich mit seinen
eigenen Leichenteilen zu bekleiden aus Sparsam-
keit. Nicht einmal die Schlange kriecht in ihre alte
Haut zurück aus ökonomischen Rücksichten. Die
Natur trägt keine alten Kleider! Die Natur spart
nie nach Menschenart an Gefieder, Fe" und Farben-
schmelz. Sonst würde ihre herrschende Farbe bald
die alter Hosen sein und Gottes Firmament glänzte
speckig wie ein Trödlerladen dritten Ranges.
*

Seitdem wir nicht mehr körperlich stark sind —
sind wir ernst. Der Ernst ist der Panzer der Vor-
sichtigen und Sparsamen. Der Humor ist das heitre
Gewand der Mutigen und der Freigiebigen oder
derer, denen das Erdreich gehört: der Sorglosen.
Unsere Kleider sind geschneiderte Vorsicht: Mein
Bein ist vielleicht nicht ganz gerade — es könnte ... !
Eine Röhre, einen formenverwischenden, unkennt-
lichen Schlauch herum. Mein Rock könnte in der
Sonne grau werden, verbleichen — wählen wir ihn
graugelb —! Er könnte sich abnützen, drum sei er
ein Sack! Der König von England erschien jüngst
im grünen Frack und in hellgrauen Beinkleidern.
God save the King!

*

So erstrebenswert in idealen Dingen Mannig-
faltigkeit und Vielköpfigkeit sein mag, in realen
Dingen ist eine Gleichmäßigkeit immer das Zweck-
mäßigste und den Anforderungen eines bequemen
Verkehrs das Angemessenste. Gönnen wir daher den
Frauen Mannigfaltigkeit, erstreben wir uns Zweck-
mäßigkeit. Linter Zweckmäßigkeit verstehe ich Stil
der Kleidung in Farbe und Form je nach der Ver-
anlassung, für die wir uns zu kleiden haben.

„Die Kleidimg des neunzehnten Jahrhunderts ist
abscheulich. Sie ist so finster, so deprimierend",
heißt's im „Bildnis des Dorian Gray".

Es ist im zwanzigsten nicht besser geworden,
immer noch ist unsere Männerkleidung finster und
deprimierend — mutlos und ängstlich — muß das
sein? Gilt nicht auch für uns, was in Winckehnanns
Tagen von der Kleidung galt: Sie soll des Menschen
Körper artig umreißen?

*

Wenn wir die Menschen veranlassen könnten,
eine Kleidung zu tragen, die nicht versteckt, sondern
offenbart, nicht umschlottert, sondern seinen Formen
gemäß bedeckt, wir würden mutiger weiden und

N KUNO GRAF HARDENB ERG.

mit der Zeit schöner und gesunder. Der Schlecht-
gestaltete würde trachten, seine Fehler durch Körper-
pflege und Leibesübung auszugleichen, der Miß-
gestaltete würde nach inneren Vorzügen ringen,
die ihn erheben würden, und damit wäre ein Streben
gegeben, das unserer Rasse und unserem Leben zu-
gute käme.

Der Frack ist noch das Beste der vorhandenen
Kleiderrequisiten. Er hat, wenn er gut gemacht ist,
eine gefällige, nachtfalterhafte Eleganz, die den Kör-
performen angemessen ist und nicht mehr als unbe-
dingt nötig ist verdeckt. In Verbindung mit Knie-
hosen kennzeichnet er sich unbedingt als raffiniertes
Kulturprodukt und wird schwer zu ersetzen sein.

Aber dem Gehrock — diesem tristen Ungeheuer,
dieser Ausgeburt leichenbitterlicher Humorlosigkeit,
— diesem Lügner einer Würde, die wir nicht be-
sitzen — muß ein Ende bereitet werden.

*

Von der Kleidung der Frauen reden, hieße mit
unzarter Hand in göttliche Mysterien eingreifen.
Es widersteht mir. Ich überlasse es den Vivisektoren
der weiblichen Psyche, die, einseitig getrieben vom
geheimen Haß der Geschlechter gegeneinander,
alles ins schaudervoll Klare und Nackte animalischer
Naturtriebe deuten müssen. Ich möchte auch nicht
den wohlmeinenden Gesundheitsapostel spielen und
denen, die ich liebe, das Evangelium des Kartoffel-
sacks predigen. Ich bin viel zu sehr davon über-
zeugt, daß edle Frauen genau wissen, was sie zu
tun haben. Wollen sie Vereine gründen zur Ver-
besserung ihrer Tracht, sie mögen es tun, ich will
damit einverstanden sein, wollen sie zärtlich an alter
Überlieferung hangen, es soll meine Billigung haben.
Sie sind das Leben in seiner besten und genieß-
lichsten Gestalt, ich will's nicht ändern, nicht dran
mäkeln, nicht verschlimmbessern: Das Genus Sphinx
ist mir Tabu!

#

Da sich die Frauen stets aus einem inneren
Gefühl heraus kleiden und dieses Gefühl stets den
weiblichen Bedürfnissen der vorteilhafteste Ratgeber
ist, so kann man getrost behaupten, daß die Frauen
zu allen Zeiten gewußt haben, wie sie sich kleiden
sollten. Ich meine, wenn ihr Gefühl sie nicht immer
richtig geleitet hätte, die Menschheit wäre längst
ausgestorben.

Frauenkleider sollen schwatzen, plaudern — aber
nie dozieren. Ein Geriesel von Crepe de chine,
Spitzen und Plissees, Schleifchen und falsche Blumen
sind mir immer lieber — wie Dr. Jägers Gesund-
heitsgewebe.

Die Therapie mit bezahlten Schneiderrechnungen
und die Wunderkuren mit neuen Kleidern werden
von der modernen Medizin noch lange nicht genug
empfohlen.

Frauen lieben Opfer, lieben Leiden, niemand
tut ihnen einen Gefallen, wenn er ihnen die Freuden
weiter Gewänder oder breiter Schuhe predigt, es
sei denn, er habe ganz ernste Absichten.

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