Poesie ui
(ine konnte sich dem Entschlüsse des ihr so lieb gewordenen
Gastes nicht widersetzen, denn der Baron war kerngesund,
Klothilde aber schlug die Augen nieder und tiefe Röthe über-
goß ihr Antlitz. Sie sagte nichts, aber ein Blick, der verstohlen
den Freiherrn traf, mußte diesem, wenn er ihn bemerkt hatte,
die Empfindungen verrathen, die sein Erscheinen in der tief-
sten Tiefe ihrer jungfräulichen Brust geweckt. Ob aber Baron
von Müller selbst ein Herz hatte, oder ob es sich bereits un
Besitze einer anderen befand, das wußten nur die Götter. Er
besaß offenbar eine ungewöhnliche Gewalt über ßch selbst, die
es ihm möglich machte, fortwährend die größte äußere Ruhe
zu bewahren. Wie es in seinem Innern aussah, blieb freilich
den beiden Damen verborgen.
Man verbrachte den Abend so gut es ging. Der Baron ver-
sprach seiner liebenswürdigen Wirthin seine Ankunft in der Heimath
zu melden und warf etwas hin von einer im Herbst noch zu
unternehmenden Reise, auf welcher er Emmelinens. Stammbe-
sitzung berühren mußte und bat in diesem Falle um die Er-
laubniß, seine Aufwartung zu machen. Die Herrin dev Eulen-
Horst gewährte die Bitte, welche ihr das Blut in den Kopf
getrieben, mit jenem verlegenen Lächeln, das auch minder schönen
j Gesichtern so gut steht, und Clothilde seufzte fast vernehmlich.
Der Eintritt des Inspektors und dessen Gattin, die der
Eonvenienz halber und dem Gaste zu Ehren zum ^.hee gebeten
worden waren, verwies die Unterhaltung auf ein anderes Feld
und der Schlag der Schloßuhr verkündete bereits die Mitter-
nacht, als endlich die kleine Gesellschaft auseinander ging-
Und so mar den» heraufgedämmert im Osten, der Morgen,
der die Scheidestunde im Gefolge hatte, und das Posthorn
schmetterte und der Reisewagen faßte Posto an der Schloßtreppe,
um eine Viertelstunde später de» Freiherrn von Müller davonzu-
führen, vielleicht auf Nimmerwiederkehren. Als das Rollen der
schweren Kalesche unter dem Thore verhallt war, griff, unbe-
kümmert um den Davongegangenen, das alte Leben auf dem
Eulenhorst wieder Platz. Die Spatzen piepten auf den alters-
grauen, moosumkleideten Dächern, als wäre gar nichts geschehen,
das Federvieh schnatterte munter unten im Hofe, und mit
stolzen Blicken überschaute ein Cochinchina-Hahn die Zahl seiner
Hühner, während ei» mürrischer Gänserich den Schooßhund fccr
Frau Jnspektorin, der sich ihm in harmloser Treuherzigkeit ge-
nähert, mit seinem Schnabel herkömmlich zerzauste.
In den hohen Lindenbänmen schwirrte und summte der
Bienen unzählig Heer, die Sonne bog, wie gestern, ihi
' glühendes Antlitz in de» Hof herab, der «Springbrunnen am
Weiher ergoß mit der alten Gleichförmigkeit leine Wasserstrah-
len plätschernd in das steinerne Becken und die verrosteten
Wetterfahne» aus den Thürmen, denen die Windstille Schweigen
Nuferlegt hatte, horchten verdrossen zu. Mit einem Worte, eö
war ganz und gar wie sonst auf dem Eulenhorst und dennoch
dennoch ganz anders — Er fehlte ja und vier Augen luch-
ten ihn vergeblich.
Emmeline trennte sich zum ersten Male seit ihrem Zu-
sammensein auf längere Zeit von Clothilde. Es ließ ihr an
keinem Orte Ruhe und Rast, sie durchstrich de» Park, warf sich
d Prosa. Zff
einen Moment auf eine Bank nieder, sprang wieder auf, blieb
sinnend stehen, und eilte dann weiter. So trieb sie's Stunden
lang bis sie zufällig die Freundin auffand, die sich in eine
Fliederlaube am äußersten Ende des Gartens zurückgezogen !
hatte. Stürmisch warf sie sich an deren Seite nieder, ergriff
Clothildens Hand und sprach mit von großer Erregtheit zeu-
gender Stimme:
„So ist er denn fort — fort —, und jede Schwingung
der Räder erweitert die Kluft, die ihn von mir trennt! O,
Clothilde, was ist das für ein Tag! Ich möchte mich schelten
und eine Thörin nennen, und doch ist's hell und klar in mei-
nem Geiste, wenn mir auch das Herz zerspringen möchte. Ich '
muß mich mittheilen, ich muß mich aussprechen — dann i
wird mir leichter werden," setzte sie unter einem tiefen Seufzer
mit sinkender Stimme hinzu. Dann erhob sie sich, strich sich .
die Locken aus dem Gesicht, die ihre hastigen Bewegungen zum
Theil gelöst hatten, und sprach, während ihre Augen leuchtete»
und dunkle Röthe ihr Gesicht übergoß, in fast feierlichem Tone:
„Ich liebe, Clothilde, liebe mit der ganzen Kraft meiner
leidenschaftlichen Seele! wie dies Alles gekommen, ich weiß eS
selbst nicht; aber es ist dennoch so. Ich glaubte mein Herz
gewappnet gegen che Thorheiten der Jugend und spielte arg-
los mit der Gefahr, wie das Kind mit dem Feuer. Nun hat
mich mein Verhängnis; ereilt und es ist zu spät zur Flucht.
Ich kann nicht' mehr zurück, so wenig menschliche Macht den
aus seinen Ufer» getretenen Fluß in sein Bett zurückzubannen
vermag. Mein Geschick muß sich erfüllen, möge ein freund- ,
licher Genius sein Führer sein! O, Clothilde, wie selig macht
doch die Liebe und wie unglücklich zugleich!"
Das Uebermaß der Gefühle raubte jetzt der hocherregten
Rednerin die Sprache, sie sank erschöpft an der Freundin
Seite nieder und lehnte den Kopf an deren Schulter.
(Fortsetzung folgt.)
(ine konnte sich dem Entschlüsse des ihr so lieb gewordenen
Gastes nicht widersetzen, denn der Baron war kerngesund,
Klothilde aber schlug die Augen nieder und tiefe Röthe über-
goß ihr Antlitz. Sie sagte nichts, aber ein Blick, der verstohlen
den Freiherrn traf, mußte diesem, wenn er ihn bemerkt hatte,
die Empfindungen verrathen, die sein Erscheinen in der tief-
sten Tiefe ihrer jungfräulichen Brust geweckt. Ob aber Baron
von Müller selbst ein Herz hatte, oder ob es sich bereits un
Besitze einer anderen befand, das wußten nur die Götter. Er
besaß offenbar eine ungewöhnliche Gewalt über ßch selbst, die
es ihm möglich machte, fortwährend die größte äußere Ruhe
zu bewahren. Wie es in seinem Innern aussah, blieb freilich
den beiden Damen verborgen.
Man verbrachte den Abend so gut es ging. Der Baron ver-
sprach seiner liebenswürdigen Wirthin seine Ankunft in der Heimath
zu melden und warf etwas hin von einer im Herbst noch zu
unternehmenden Reise, auf welcher er Emmelinens. Stammbe-
sitzung berühren mußte und bat in diesem Falle um die Er-
laubniß, seine Aufwartung zu machen. Die Herrin dev Eulen-
Horst gewährte die Bitte, welche ihr das Blut in den Kopf
getrieben, mit jenem verlegenen Lächeln, das auch minder schönen
j Gesichtern so gut steht, und Clothilde seufzte fast vernehmlich.
Der Eintritt des Inspektors und dessen Gattin, die der
Eonvenienz halber und dem Gaste zu Ehren zum ^.hee gebeten
worden waren, verwies die Unterhaltung auf ein anderes Feld
und der Schlag der Schloßuhr verkündete bereits die Mitter-
nacht, als endlich die kleine Gesellschaft auseinander ging-
Und so mar den» heraufgedämmert im Osten, der Morgen,
der die Scheidestunde im Gefolge hatte, und das Posthorn
schmetterte und der Reisewagen faßte Posto an der Schloßtreppe,
um eine Viertelstunde später de» Freiherrn von Müller davonzu-
führen, vielleicht auf Nimmerwiederkehren. Als das Rollen der
schweren Kalesche unter dem Thore verhallt war, griff, unbe-
kümmert um den Davongegangenen, das alte Leben auf dem
Eulenhorst wieder Platz. Die Spatzen piepten auf den alters-
grauen, moosumkleideten Dächern, als wäre gar nichts geschehen,
das Federvieh schnatterte munter unten im Hofe, und mit
stolzen Blicken überschaute ein Cochinchina-Hahn die Zahl seiner
Hühner, während ei» mürrischer Gänserich den Schooßhund fccr
Frau Jnspektorin, der sich ihm in harmloser Treuherzigkeit ge-
nähert, mit seinem Schnabel herkömmlich zerzauste.
In den hohen Lindenbänmen schwirrte und summte der
Bienen unzählig Heer, die Sonne bog, wie gestern, ihi
' glühendes Antlitz in de» Hof herab, der «Springbrunnen am
Weiher ergoß mit der alten Gleichförmigkeit leine Wasserstrah-
len plätschernd in das steinerne Becken und die verrosteten
Wetterfahne» aus den Thürmen, denen die Windstille Schweigen
Nuferlegt hatte, horchten verdrossen zu. Mit einem Worte, eö
war ganz und gar wie sonst auf dem Eulenhorst und dennoch
dennoch ganz anders — Er fehlte ja und vier Augen luch-
ten ihn vergeblich.
Emmeline trennte sich zum ersten Male seit ihrem Zu-
sammensein auf längere Zeit von Clothilde. Es ließ ihr an
keinem Orte Ruhe und Rast, sie durchstrich de» Park, warf sich
d Prosa. Zff
einen Moment auf eine Bank nieder, sprang wieder auf, blieb
sinnend stehen, und eilte dann weiter. So trieb sie's Stunden
lang bis sie zufällig die Freundin auffand, die sich in eine
Fliederlaube am äußersten Ende des Gartens zurückgezogen !
hatte. Stürmisch warf sie sich an deren Seite nieder, ergriff
Clothildens Hand und sprach mit von großer Erregtheit zeu-
gender Stimme:
„So ist er denn fort — fort —, und jede Schwingung
der Räder erweitert die Kluft, die ihn von mir trennt! O,
Clothilde, was ist das für ein Tag! Ich möchte mich schelten
und eine Thörin nennen, und doch ist's hell und klar in mei-
nem Geiste, wenn mir auch das Herz zerspringen möchte. Ich '
muß mich mittheilen, ich muß mich aussprechen — dann i
wird mir leichter werden," setzte sie unter einem tiefen Seufzer
mit sinkender Stimme hinzu. Dann erhob sie sich, strich sich .
die Locken aus dem Gesicht, die ihre hastigen Bewegungen zum
Theil gelöst hatten, und sprach, während ihre Augen leuchtete»
und dunkle Röthe ihr Gesicht übergoß, in fast feierlichem Tone:
„Ich liebe, Clothilde, liebe mit der ganzen Kraft meiner
leidenschaftlichen Seele! wie dies Alles gekommen, ich weiß eS
selbst nicht; aber es ist dennoch so. Ich glaubte mein Herz
gewappnet gegen che Thorheiten der Jugend und spielte arg-
los mit der Gefahr, wie das Kind mit dem Feuer. Nun hat
mich mein Verhängnis; ereilt und es ist zu spät zur Flucht.
Ich kann nicht' mehr zurück, so wenig menschliche Macht den
aus seinen Ufer» getretenen Fluß in sein Bett zurückzubannen
vermag. Mein Geschick muß sich erfüllen, möge ein freund- ,
licher Genius sein Führer sein! O, Clothilde, wie selig macht
doch die Liebe und wie unglücklich zugleich!"
Das Uebermaß der Gefühle raubte jetzt der hocherregten
Rednerin die Sprache, sie sank erschöpft an der Freundin
Seite nieder und lehnte den Kopf an deren Schulter.
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Poesie und Prosa"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 31.1859, Nr. 735, S. 35
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg