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66

Die vcrhiingnißtiollen Distichen

oder

Der Schrerenschlcifer.

Bon Max Kalb eck.

I. Capitel.

Das Ihnrjif uf! i 6 011.

Oskar war schon in seiner
Jugend das Kind armer, aber
einziger Eltern. Früh zeigte
er entschiedenes Talent zum
Dichten, Laubsägen und Bart-
wuchs.

„Was wird aus unserem
Oskar alles werden!?" begann
gewöhnlich die Mutter zur
reichen Nachbarin Pfeffer, mit
der sie öfters zusammen bei
einer Tasse Kaffee über das
Wetter, die Ehemänner und
andere Nachbarinnen zu sprechen
pflegte, und eine Thräne der
Rührung glänzte in ihren Augen.

„Und meine reizende kleine Paula! Was wird aus ihr
nicht alles werden!?" erwiderte dann Frau Pfeffer.

Wohl ein Paar glaubt man vielleicht; — o nein!

Frau Pfeffer hatte ganz andere Pläne mit ihrer Paula.

II. Capitel.

Sterne mul JMfteii.

Oskar war nun in den Jahren, in welchen das unsäglich
selige Gefühl der ersten Liebe den Staubgeborncn in den
Himmel zu erheben pflegt, wo der Mond so eigen scheint, die
Nachtigall so eigen flötet, die Blumen so eigen duften und
die trunkene Seele stürmisch aufjauchzt, um daun wieder
schmerzlich still in sich zu versinken! Die Welt ist dieselbe noch
und doch eine andere; und das ganze Leben erscheint wie eine
unendliche Melodie aufgelöster Dissonanzen, wie Tristan und
Isolde II. Akt! O wer vermöchte mit noch so blühenden Worten
dies unergründliche Räthsel des Lebens zu lösen!

Oskar war zu Ostern nach Secunda versetzt worden;
Paula in die zweite Klasse der höheren Töchterschule aufgerückt,
und Beide besuchten dasselbe Clavierinstitut.

Oskar verstand nicht nur das Zeitwort „lieben" in vier
Sprachen fehlerfrei zu conjugiren, — er hatte auch bereits am
Julius Cäsar seine junge H'eldenseele gebildet und vermochte
überdies den „Pythagoräer" auch ohne Nachhilfe zu beweisen.
Und Paula, das reizende Kind, stickte schon an Schlummerrollen
für Eltern und Verwandte; auch sie wußte aimer und to love
auswendig herzusagen, machte aber vorläufig keinen weiteren
Gebrauch davon. Was konnte es nun Schöneres und Innigeres
geben, zwei junge Seelen einander zuzuführen, als die Musik,
die beredte Freundin der sprachlosesten und verschwiegensten
Empfindungen? Und nun vollends das Clavierspiel!

Wenn im großen Saale des Instituts zehn Schüler und

Schülerinnen nach den lauten Schlägen des Metronoms die
Dur- und Molltonleitern — Oskar trug die letzteren mit
besonderer Empfindung vor — zusammen üben mußten, was
mochte ein junges Herz nicht Alles in dem Zauber dieser
Klänge ausgesprochen finden! Und konnte man es dem Fluge
jugendlicher Begeisterung verargen, wenn er Oskars Finger
schneller und immer schneller die Claviatur auf und nieder trieb?
j Seine Seele dachte an Paula, die ihm gegenüber saß und nichts

dachte, wenigstens nichts von dem, was in ihrem Vw-ä-Vis
i vorging. Sie hatte ein kaltes Herz. Und der arme Jüngling
mußte sich von dem harten und nachsichtslosen Lehrer noch tadeln
lassen, daß er außer Takt spiele! Er litt um sie, das that
ihm wieder wohl. Aber unter diesen Umständen darf es uns
nicht wundern, daß schon früh ein Hauch von Schwermuth wie
Mehlthau auf die heiteren reinen Schwingen dieses jugendlichen
Geistes sich legte.

Nie wagte es Oskar in Begleitung Paula's mit ihr
nach Hause zu gehen, obwohl sie, wie wir wissen. Beide denselben
Weg hatten. Er schlich ihr dann von ferne nach, und das
Herz schlug ihm fast so hörbar wie der verhaßte Metronom des
Clavierinstituts, der seiner Begeisterung so peinliche Schranken
setzte. Armer Oskar!

Paula's Mutter, die, wie gesagt, ganz andere Pläne mit
ihrer Tochter hatte, hielt das reizende Kind streng im Hause
| zurück, und so konnte er auch sonst nicht mit ihr zusammen
kommen. Was hätte es auch geholfen? Seine Liebe war zu
scheu und schüchtern, als daß er sie durch ein gesprochenes Wort
hätte entweihen mögen. Oder sollte er vielleicht vor die Mutter
seiner Paula treten, vor die reiche stolze Frau, mit seinem
Secundanerzeugniß, als der festen Bürgschaft einer künftigen
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die verhängnißvollen Distichen oder Der Scheerenschleifer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schüler <Motiv>
Sohn <Motiv>
Klavier <Motiv>
Klavierunterricht
Schüchternheit
Laubsägearbeit
Klavierlehrer
Schülerin <Motiv>
Initiale
Karikatur
Klavierspiel
Liebe <Motiv>
Säge <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Heimliche Liebe

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 61.1874, Nr. 1519, S. 66

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