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Die verhängnißvollen Distichen.

Existenz, und förmlich um die Hand der Geliebten anhaltend
j Nimmermehr! Nur sehen von seinem Fenster aus durfte er
sie, wenn sie mit dem „kleinen Plötz" im Garten auf und ab
ging, eine Butterschnitte aß oder die Blumen begoß. Armer Oskar!

Doch es sollte noch anders kommen.

III. Capitel.

Die netHängiuinotten Distichen.

Oskar war entschlossen, diesem unerträglichen Zustand ein
Ende zu machen. Er wußte nur nicht — wie.

Der Versuch, durch kleine Laubsägearbeiten der Geliebten
>ich aufmerksam zu erweisen, war schmählich mißglückt. Wie
j hatte er sich gefreut, wenn sein zierliches Körbchen, das er
heimlich über den Zaun an einer Schnur auf die Bank der
Gartenlaube niedergelassen, von der hereintretenden Paula gesehen,
und auch der unbekannte Geber errathen werden würde! Und da
j U>ar sie wirklich gekommen, ganz und gar in die Vertilgung eines

snächtigeu Butterbrodes vertieft, . . . jetzt trat sie in die Laube . . .
letzt mußte sie das Geschenk bemerken, in welchem ein flammendes
Herz kunstvoll und sinnig ausgcschnitzt als Zwirnwickcl lag, da
; • • o Schmerz! setzte sich der Gegenstand von Oskars Liebe
'» achtloser Kurzsichtigkeit auf das zart durchbrochene Körbchen,
■ • . ein Krach, ein Schrei, und Alles war hin. Das Vespcrbrod
^>eß das erschreckte Mädchen in den Sand fallen, cs lag dort
auf seiner besseren Seite. . . und Oskar? Mit eigenen Angen
hatte er durch einen Spalt im Zaun den jähen Untergang
>Hnes hoffnungsvollen Kunstwerks mit ansehen müssen, und
Hann war er geknickten Herzens fortgcschlichcn.

Er fand sich der Verzweiflung nahe. Auch war ihm jede
Möglichkeit, sich Paula zu nähern, abgcschnitten, denn vor drei
^agen war sie in die nächst höhere Abtheilung des Clavier-

instituts gekommen, so daß er seine Scalen immer taktloser
spielte. Aber wie? Gebot er nicht außer dem Laubsägen
noch über eine andere Kunst, und über eine so viel edlere und
schönere? Hatte ihn nicht irgend eine Muse — man hofft,
die Melpomene — in der Wiege auf die Stirne geküßt?
Besang er nicht schon als Untertertianer die vier Jahreszeiten,
den Sonnenauf- und Niedergang und alle Sommerspaziergänge
in den schönsten, von seinen Commilitoncn viclbencideten Hexa-
metern? Und wenn er nun in dieser Form Paula begegnete,
— mußte nicht die edle Redeweise der alten griechischen und
lateinischen Dichter den tiefsten Eindruck auf ihr junges em-
pfängliches Gcmüth machen? Auch konnte sie ja selbst ohne
Gefahr für den Geist des Gedichts sich ruhig auf dasselbe
setzen, — ein nicht zu unterschätzender Vortheil! Wurde das
Blatt auch von der süßen Last zerdrückt, so zerbrach es doch
nicht wie das hinfällige Körbchen, und beim Anfstehen von der
Bank mußte sie es gewiß gewahren! Aber woher in aller

Eile die nöthigen Gedanken für einen weihevollen Erguß her-
nehmen? — Denn eilig hatte es unser entschlossener Oskar!

Der Himmel, als der natürliche Beschützer und Verbündete
aller Liebenden, gab ihm Schillers Gedichte in die Hand. Er
las die „Entzückung an Laura", und „Laura am Clavier."

Am Clavier! Ha, das stimmt, jubelte der entzückte
Jüngling, und ob Laura oder Paula, das ist im Grunde
Eins ... doch nein! sich mit fremden Federn schmücken?
Er selbst ein Dichter, den Melpomene schon in der Wiege auf
die Stirn geküßt hatte!? nein! auch sollte es ja die edle
Redeweise der alten griechischen und römischen Dichter sein. —
Er warf den Schiller wieder bei Seite und schrieb, von seinem
Genius plötzlich erleuchtet:

Wenn Dein reizender Finger die klingenden Saiten bemeistert,
Paula, steh' ich entzückt neben Dir eine Statue!

Ueber Leben und Tod gebietest Du mächtig, und forderst
Seelen von Tausenden, ach, gleich Philadelphia ein!

Wimmelnde Harmonieen entsteigen den schmelzenden Saiten,

Eine Schaar Seraphim, welche der Himmel gebiert;

Hurtiger jetzt und schneller mit tückischem Donnergepolter,

Nun wie säuselnde Fluth über des Baches Gestein;

Dann durch sterbende Wüsten ein wild verlorenes Heulen,

Und zuletzt nur ein Hauch düsterer Melancholie. —

Paula, sage mir, stehst Du mit Geistern etwa im Bunde?

Sprichst die Sprache Du mir, die man im Himmel nur spricht?

Man wird gestehen, mag man über die Berechtigung
dieses Metrums im Deutschen denken wie man will, daß die
Distichen Oskar's sich den besten in dieser Art Geschaffenen
an die Seite stellen dursten. Die Reminiscenzen, die etwa
hie und da an das Schiller'sche Gedicht anklingen, iverdcn wir
ihm billig zu Gute halten, da wir die Empfänglichkeit seines
Gcmüths bereits kennen und auch nicht einsehen, wcßhalb nicht
ein Kunstwerk — und ein solches ist Oskars Elegie in der
That — an das andere sich anschließen soll.

Mit dieser ästhetischen Betrachtung mag das Capitel seinen
Schluß finden. Wir beginnen sogleich ein neues mit frischen
Kräften. (Schluß folgt.)

L*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die verhängnißvollen Distichen oder Der Scheerenschleifer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Korb
Nahrungsaufnahme <Motiv>
Schirm
Laubsägearbeit
Liebeserklärung <Motiv>
Belegtes Brot
Karikatur
Junge Frau <Motiv>
Gartenlaube <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Heimliche Liebe

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 61.1874, Nr. 1519, S. 67

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