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Der Tottel.
„Soll der Tottel anhören, was wir zn reden haben?"
fragte des Großgrafen Sohn scharf und mit höhnischem Lächeln,
j Er sprach die Worte vor allem Gruße; und sein schwarzes
Auge, sein bleiches Gesicht und sein schwarzes Gewand sahen
aus, wie lauter Unheilverkiindung.
„Seid willkommen, werthe Gaste!" entgegncte die junge
Gräfin, verbeugte sich anmuthig und reichte den drei Herren
nach einander die Hand. Dann befahl sie einem Diener, der
im Gemache war, Wein und Früchte zu bringen; und erst, als
sic das Alles gelassen gethan hatte, sprach sie, ganz leichthin
und ruhig, aber mit einem Tone, der so klang, als ob Wider-
sprach ganz undenkbar sei: „Wir Zwei können Nichts heim-
liches zn reden haben, Herr Großgraf, der Jüngere. Der Tottel,
wie das Thal ihn nennt, Constans, wie seine Mutter ihn
nannte, seit heute mein Hausgenoß, soll's mit hören, wcil's
eben Jeder hören könnte."
Der Sohn des Großgrafen schwieg einige Sekunden und
niaß den Tottel mit Blicken, die ihm die Thüre weisen sollten;
der aber sah die Blicke gar nicht, denn sein Auge richte wie
gebannt auf des Grafen Tochter. Da begann denn noth-
gedrungen der Andere doch.
„Ich komme zn Euch", sprach er, „von meines Vaters
Grabe, und so muß es wohl etwas Ernstes und etwas De-
müthigcs sein, was mich herführt. Euer Vater hat meinem
Vater Fehde geboten, ungereizt und wiederholt, der Schwächere
dem Starken. Es wäre nicht ruchlos, wenn meines Vaters
Sohn das an Eures Vaters Tochter rächte. Aber ich komme
Frieden zu bringen, sonst käme ich nicht heute schon. Ich biete
Euch eine Heimath in meinen Sälen an; ich will Euch hinunter-
führen aus Eurer Enge; und mit diesem Schlosse soll der
Gemahlin des Großgrafen die Erinnerung weggetilgt werden,
daran, daß sie einst schwach und klein war, und daß einst in
diesem Thale zwei Grafen haderten."
Der junge Graf hatte gesprochen wie Einer, der zn reden
versteht und der sich für wichtigen Anlaß gut vorbereitet hat;
! die Grafentochter maß ihn ein wenig mit den Blicken und
lächelte ein klein wenig dazu, etwas stolz wohl, aber hochmüthig
nicht, und dann sprach sic, indem sie des Tottels Hand ergriff:
„Es soll jeder an guten Beispielen lernen, aber besonders die
Jugend. Da Ihr nun so demüthig von Eures Vaters Grabe
kommt, daß ihr mir die Gnade anbietet, das Schloß meiner
j Vorfahren niederreißen und mich zur Ahnfrau Eurer Nachkommen
j machen zu wollen: so will ich noch demüthiger sein, die Ehre
I ablehncn, und keinen edleren Gemahl begehren, als diesen Jüng-
! ling, der zwar einer armen Wittwe Sohn ist, aber rein von
j Herzen und schön und heldenhaft von Gestalt, lind wenn ihm
Gott eine Reihe von Nachkommen zugedacht hat, so wollte ich,
! daß sie die Grasen Tottel von Oberwald hießen, so daß durch
ihren Namen das Andenken gewahrt würde, sowohl an meine
I Ahnen, als an ein Beispiel menschlicher Ungerechtigkeit, die den
Listigen bewundert und vor dem Gewaltthätigen sich beugt, aber
genügsamer Tugend höhnische Namen gibt. Ich habe ja nicht
allein zu entscheiden über diese Sache; aber daß dies mein
! Wille sei, dafür nehme ich die drei edlen Herrn feierlich zu
Zeugen. Und damit seien die ernsten Geschäfte abgcthan und
ich bitte, daß meine werthen Gäste sich nun nur noch erfrischen
und ausruhn."
Erfrischt und ausgeruht sind die drei Herren nun freilich
an jenem Tage nicht von dannen gegangen, sondern sehr erregt
und erbittert; aber das andere ist alles geworden, wie die
Grafentochter gesagt hatte; weder der arme Schelm auf der
Erde, dem sie schweigend, noch der große Lenker im Himmel,
dem sic ausdrücklich die Entscheidung anheimgab, haben Ein-
spruch erhoben gegen ihre Wünsche. Die Grafen Tottel von
Obcrwalde blühen und gedeihen noch heute, von des Groß-
grafen Geschlecht weiß niemand mehr.
Der Sonntagsrciter in Verlegenheit.
„Donnerwetter, da kommen Leut', und ich bring' das Vieh
nicht aus dem Haber 'raus! . .. Was fang' ich nur an, daß ich
nicht ausgelacht werde? .. .. Halt, ich hab's! (Zu seinem Gaul)
Der Tottel.
„Soll der Tottel anhören, was wir zn reden haben?"
fragte des Großgrafen Sohn scharf und mit höhnischem Lächeln,
j Er sprach die Worte vor allem Gruße; und sein schwarzes
Auge, sein bleiches Gesicht und sein schwarzes Gewand sahen
aus, wie lauter Unheilverkiindung.
„Seid willkommen, werthe Gaste!" entgegncte die junge
Gräfin, verbeugte sich anmuthig und reichte den drei Herren
nach einander die Hand. Dann befahl sie einem Diener, der
im Gemache war, Wein und Früchte zu bringen; und erst, als
sic das Alles gelassen gethan hatte, sprach sie, ganz leichthin
und ruhig, aber mit einem Tone, der so klang, als ob Wider-
sprach ganz undenkbar sei: „Wir Zwei können Nichts heim-
liches zn reden haben, Herr Großgraf, der Jüngere. Der Tottel,
wie das Thal ihn nennt, Constans, wie seine Mutter ihn
nannte, seit heute mein Hausgenoß, soll's mit hören, wcil's
eben Jeder hören könnte."
Der Sohn des Großgrafen schwieg einige Sekunden und
niaß den Tottel mit Blicken, die ihm die Thüre weisen sollten;
der aber sah die Blicke gar nicht, denn sein Auge richte wie
gebannt auf des Grafen Tochter. Da begann denn noth-
gedrungen der Andere doch.
„Ich komme zn Euch", sprach er, „von meines Vaters
Grabe, und so muß es wohl etwas Ernstes und etwas De-
müthigcs sein, was mich herführt. Euer Vater hat meinem
Vater Fehde geboten, ungereizt und wiederholt, der Schwächere
dem Starken. Es wäre nicht ruchlos, wenn meines Vaters
Sohn das an Eures Vaters Tochter rächte. Aber ich komme
Frieden zu bringen, sonst käme ich nicht heute schon. Ich biete
Euch eine Heimath in meinen Sälen an; ich will Euch hinunter-
führen aus Eurer Enge; und mit diesem Schlosse soll der
Gemahlin des Großgrafen die Erinnerung weggetilgt werden,
daran, daß sie einst schwach und klein war, und daß einst in
diesem Thale zwei Grafen haderten."
Der junge Graf hatte gesprochen wie Einer, der zn reden
versteht und der sich für wichtigen Anlaß gut vorbereitet hat;
! die Grafentochter maß ihn ein wenig mit den Blicken und
lächelte ein klein wenig dazu, etwas stolz wohl, aber hochmüthig
nicht, und dann sprach sic, indem sie des Tottels Hand ergriff:
„Es soll jeder an guten Beispielen lernen, aber besonders die
Jugend. Da Ihr nun so demüthig von Eures Vaters Grabe
kommt, daß ihr mir die Gnade anbietet, das Schloß meiner
j Vorfahren niederreißen und mich zur Ahnfrau Eurer Nachkommen
j machen zu wollen: so will ich noch demüthiger sein, die Ehre
I ablehncn, und keinen edleren Gemahl begehren, als diesen Jüng-
! ling, der zwar einer armen Wittwe Sohn ist, aber rein von
j Herzen und schön und heldenhaft von Gestalt, lind wenn ihm
Gott eine Reihe von Nachkommen zugedacht hat, so wollte ich,
! daß sie die Grasen Tottel von Oberwald hießen, so daß durch
ihren Namen das Andenken gewahrt würde, sowohl an meine
I Ahnen, als an ein Beispiel menschlicher Ungerechtigkeit, die den
Listigen bewundert und vor dem Gewaltthätigen sich beugt, aber
genügsamer Tugend höhnische Namen gibt. Ich habe ja nicht
allein zu entscheiden über diese Sache; aber daß dies mein
! Wille sei, dafür nehme ich die drei edlen Herrn feierlich zu
Zeugen. Und damit seien die ernsten Geschäfte abgcthan und
ich bitte, daß meine werthen Gäste sich nun nur noch erfrischen
und ausruhn."
Erfrischt und ausgeruht sind die drei Herren nun freilich
an jenem Tage nicht von dannen gegangen, sondern sehr erregt
und erbittert; aber das andere ist alles geworden, wie die
Grafentochter gesagt hatte; weder der arme Schelm auf der
Erde, dem sie schweigend, noch der große Lenker im Himmel,
dem sic ausdrücklich die Entscheidung anheimgab, haben Ein-
spruch erhoben gegen ihre Wünsche. Die Grafen Tottel von
Obcrwalde blühen und gedeihen noch heute, von des Groß-
grafen Geschlecht weiß niemand mehr.
Der Sonntagsrciter in Verlegenheit.
„Donnerwetter, da kommen Leut', und ich bring' das Vieh
nicht aus dem Haber 'raus! . .. Was fang' ich nur an, daß ich
nicht ausgelacht werde? .. .. Halt, ich hab's! (Zu seinem Gaul)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Sonntagsreiter in Verlegenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1882
Entstehungsdatum (normiert)
1877 - 1887
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 77.1882, Nr. 1946, S. 154
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg