Der Hort des neunzehnten Jahrhunderts.
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„In ihrem Schooße birgt sie die Kraft von inehr als
tausend Rossen, und ivas viel hundert Menschenhände lang-
sam und mühselig bauen, das richtet sie allein und mit
Flügelschnelle auf. Reich und mächtig vor allen Völkern der
Erde wird sie das schöne Frankreich machen und mit Millionen
des Königs Schatzkammer füllen."
„O nehmet sie in Euren mächtigen Schutz! Gebt ihr mit
Eures weisen Wortes Geivalt die gnädige Fürsorge des großen
Königs und Euch wird Frankreich segnen von Jahrhundert
zu Jahrhundert!"
Geduldig hatte der Minister den Bittenden gehört und
frug aufmerksamer: „ „Und worin bestehet diese Wunderkraft!""
„Ein gemeines, unscheinbares, flüchtiges Wesen ist's, und
überall vorhandene die Kraft des Dampfes, der ans
heißem Wasser steigt," ruft freudig der Gefragte und
reicht ans seinem Busen dem Cardinal ein Schriftwerk dar,
worin in zierlichen und klaren Worten die herrliche Idee
enthalten ist. Still blättert dieser darin auf und ab. liest
bald hier bald da ein wenig, legt es dann mit kaum benierk-
barem Lächeln zur Seite und sich zur unterbrochenen Arbeit
wieder ivendend, spricht er kalt und entschieden mit entlassender
Geberde: „„Ein andermal will ich Euch weiter hören." Ge-
räuschlos öffnet sich die Thüre und stumm sich verneigend
scheidet der Getäuschte.
Unangemeldet tritt bald darauf Joseph der Kapuziner ein,
die rechte Hand des Cardinals, anspruchslos, bescheiden, klug,
vielcrfahren und nur der Kirche lebend. Auf des Künstlers
zurückgelassene Papiere deutend, ruft lächelnd Richelieu ihm
zu: „„Ein Wenig früher nur und ein lustig Stücklein hättest
du mithören können. Ein Mann warb feurig und kühn ge-
nug um unfern Schutz und des Königs Unterstützung für
einen Traum, den er ein hohes Geheimniß nennt. Mit
Dampf will er dem König unermeßlichen Reichthum gewinnen,
mit Dämpfen Frankreich zum Paradiese umgestalten. Der
Dampf des heißen Wassers sei der flüssig gewordene
Stein der Weisen, dem jegliches Menschen heil entströmt.""
Ernst schaut der Pater den Redner an und lange haftet
sein Blick auf den zierlich geschriebenen Blättern, dann spricht
er wie für sich hin: „„„Und wär es auch möglich, gut
wäre es sicher nicht."""
„„Du sahst cs nicht, tvie der Wahnsinn ihm in den
Augen stand, und aus jedem seiner hast'gen Worte tönte
und wie er nur mit des Wahnsinus unbändigem Trotz roh
zu uns eindrang.""
So eifert der weise Cardinal und rührt die Glocke und
ruft dem Diener zu: „„Man gebe den Garden an der Pforte
unser strenges Gebot, daß jener Narr uns nicht wieder be-
lästige.""
Und iveiter ward nicht mehr davon gesprochen.
Hoch oben in öder kleiner Kammer, vom Winterstnrm
unibraust, sitzt weinend des Künstlers Weib, im Schoos den
zarten, schlummernden Knaben. Mit Bangen harrt sie dem
Gatten entgegen, der mit wahrhaft göttlicher Geduld jetzt,
wie schon seit Wochen, am Schloßportal des Cardinals um
Einlaß fleht.
Und bringt er heute den Seinen keinen Trost, so ist die
schivere Herrschaft des Mangels voll, und in's bürft'ge, ver-
lassene Kämmerlein zieht Krankheit und bitterste Roth. Horch,
da klingt sein Schritt — doch ach, wie schwer und langsam!
So geht der Fröhliche nicht, der Hoffnung bringt. Aber die
treue Gattin löscht schnell die Spur der Thräncn und lächelt
mild ihm entgegen. Mit leisem Gruße tritt der Tiefgebeugte
ein und nimmt an der treuen Gefährtin Seite Platz. Und
ob auch ihm der Schmerz tief in der Seele wühlt und die
Roth der Seinen ihm fast das Herz zermalmt, so hat er
doch noch und gicbt Worte des Trostes und der Beruhigung.
Und ob auch abermals von des Ministers rohen Söldnern
gleich einem Hund von den Thoren gejagt, ist sein Bertrauen
und Hoffen noch immer nicht erschöpft.
„Nur heute dulde noch muthig. du Liebe!" so tröstet er
die schweigend leidende Genossin, „denn morgen will ich es
sicher erreichen, und sollte ich bis spät zur Nacht harren
und ihn auf offenem Platz laut mahnen an die Pflicht und
an's gegebene Wort!"
So kam der Morgen heiter und frisch. Vorn, Palaste des
Cardinals hält schon die reiche Staatscarosse und ungeduldig
stampfen davor die muthigen kastilianischen Hengste. Unferne
davon lehnt Solomon de Caus geduldig und beharrlich, wie
auch die feisten Diener und müffigen Garden mit rohen Scher-
zen ihn verhöhnen. Da treten sie plötzlich knechtisch zurück,
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„In ihrem Schooße birgt sie die Kraft von inehr als
tausend Rossen, und ivas viel hundert Menschenhände lang-
sam und mühselig bauen, das richtet sie allein und mit
Flügelschnelle auf. Reich und mächtig vor allen Völkern der
Erde wird sie das schöne Frankreich machen und mit Millionen
des Königs Schatzkammer füllen."
„O nehmet sie in Euren mächtigen Schutz! Gebt ihr mit
Eures weisen Wortes Geivalt die gnädige Fürsorge des großen
Königs und Euch wird Frankreich segnen von Jahrhundert
zu Jahrhundert!"
Geduldig hatte der Minister den Bittenden gehört und
frug aufmerksamer: „ „Und worin bestehet diese Wunderkraft!""
„Ein gemeines, unscheinbares, flüchtiges Wesen ist's, und
überall vorhandene die Kraft des Dampfes, der ans
heißem Wasser steigt," ruft freudig der Gefragte und
reicht ans seinem Busen dem Cardinal ein Schriftwerk dar,
worin in zierlichen und klaren Worten die herrliche Idee
enthalten ist. Still blättert dieser darin auf und ab. liest
bald hier bald da ein wenig, legt es dann mit kaum benierk-
barem Lächeln zur Seite und sich zur unterbrochenen Arbeit
wieder ivendend, spricht er kalt und entschieden mit entlassender
Geberde: „„Ein andermal will ich Euch weiter hören." Ge-
räuschlos öffnet sich die Thüre und stumm sich verneigend
scheidet der Getäuschte.
Unangemeldet tritt bald darauf Joseph der Kapuziner ein,
die rechte Hand des Cardinals, anspruchslos, bescheiden, klug,
vielcrfahren und nur der Kirche lebend. Auf des Künstlers
zurückgelassene Papiere deutend, ruft lächelnd Richelieu ihm
zu: „„Ein Wenig früher nur und ein lustig Stücklein hättest
du mithören können. Ein Mann warb feurig und kühn ge-
nug um unfern Schutz und des Königs Unterstützung für
einen Traum, den er ein hohes Geheimniß nennt. Mit
Dampf will er dem König unermeßlichen Reichthum gewinnen,
mit Dämpfen Frankreich zum Paradiese umgestalten. Der
Dampf des heißen Wassers sei der flüssig gewordene
Stein der Weisen, dem jegliches Menschen heil entströmt.""
Ernst schaut der Pater den Redner an und lange haftet
sein Blick auf den zierlich geschriebenen Blättern, dann spricht
er wie für sich hin: „„„Und wär es auch möglich, gut
wäre es sicher nicht."""
„„Du sahst cs nicht, tvie der Wahnsinn ihm in den
Augen stand, und aus jedem seiner hast'gen Worte tönte
und wie er nur mit des Wahnsinus unbändigem Trotz roh
zu uns eindrang.""
So eifert der weise Cardinal und rührt die Glocke und
ruft dem Diener zu: „„Man gebe den Garden an der Pforte
unser strenges Gebot, daß jener Narr uns nicht wieder be-
lästige.""
Und iveiter ward nicht mehr davon gesprochen.
Hoch oben in öder kleiner Kammer, vom Winterstnrm
unibraust, sitzt weinend des Künstlers Weib, im Schoos den
zarten, schlummernden Knaben. Mit Bangen harrt sie dem
Gatten entgegen, der mit wahrhaft göttlicher Geduld jetzt,
wie schon seit Wochen, am Schloßportal des Cardinals um
Einlaß fleht.
Und bringt er heute den Seinen keinen Trost, so ist die
schivere Herrschaft des Mangels voll, und in's bürft'ge, ver-
lassene Kämmerlein zieht Krankheit und bitterste Roth. Horch,
da klingt sein Schritt — doch ach, wie schwer und langsam!
So geht der Fröhliche nicht, der Hoffnung bringt. Aber die
treue Gattin löscht schnell die Spur der Thräncn und lächelt
mild ihm entgegen. Mit leisem Gruße tritt der Tiefgebeugte
ein und nimmt an der treuen Gefährtin Seite Platz. Und
ob auch ihm der Schmerz tief in der Seele wühlt und die
Roth der Seinen ihm fast das Herz zermalmt, so hat er
doch noch und gicbt Worte des Trostes und der Beruhigung.
Und ob auch abermals von des Ministers rohen Söldnern
gleich einem Hund von den Thoren gejagt, ist sein Bertrauen
und Hoffen noch immer nicht erschöpft.
„Nur heute dulde noch muthig. du Liebe!" so tröstet er
die schweigend leidende Genossin, „denn morgen will ich es
sicher erreichen, und sollte ich bis spät zur Nacht harren
und ihn auf offenem Platz laut mahnen an die Pflicht und
an's gegebene Wort!"
So kam der Morgen heiter und frisch. Vorn, Palaste des
Cardinals hält schon die reiche Staatscarosse und ungeduldig
stampfen davor die muthigen kastilianischen Hengste. Unferne
davon lehnt Solomon de Caus geduldig und beharrlich, wie
auch die feisten Diener und müffigen Garden mit rohen Scher-
zen ihn verhöhnen. Da treten sie plötzlich knechtisch zurück,
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Hort des neunzehnten Jahrhunderts"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 177, S. 67
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg