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Stra fe
„Und welches? den Kaspar vielleicht? Oder das Gretchen?"
„Nichts Kaspar, nichts Gretchen, da den, — ja wie
heißt er denn, da der Pfannenstiel/'
„Wie, den Säugling, und bis wann?"
„Gleich jetzt!"
„Himmel! Mann, was hast du vor?" rief Hanne er-
schreckt. „Man nimmt keinen Säugling von der Mutter
Brust! Du willst ihn aussetzen. Aber ich dulde es nicht.
Es ist mein Kind, ich Hab' es mit Schmerzen geboren. Ich
gebe diese Sünde nicht zu!"
„Keine Dummheiten, Hanne!" — rief Bachem heftig.
„Vernunft — Verstand! Es ist zu seinen. Besten, zu nnserm
Besten, der andern Besten. Schweig!" rief er noch heftiger,
als sie antworten wollte. „Keine Dummheiten! Sollen wir
alle vor Noth umkommen? Es muß geschehen! Ich will!
Ich Hab' es überlegt, — mit Vernunft, mit Verstand."
Umsonst suchte seine Frau ihn mit Bitten und Thränen
von seinem Vorhaben abzubringen. Obgleich der Trunk so-
wohl Ausdauer als Thatkraft auf die Dauer raubt, so macht
er doch für den Augenblick halsstarrig. Sie hätte eine Sten-
torstimme haben müssen, die sich durch einen Branntweinschen-
ken-Disput geltend zu machen weiß, um sich ihrem Manne
nur hörbar zu machen, der fortfuhr, sich laut seines Ver-
standes, seiner Vernunft zu rühmen. Endlich versagte ihr
mehr die Kraft, als der Wille zum Widerstande. Weinend
verbarg sie ihr Antlitz in die Kissen ihres Bettes.
Bachem aber begann seinen Vorsatz ins Werk zu setzen.
Er wickelte den Säugling, so sorgfältig als es sein Zustand
gestattete, in eine Decke. Dann griff er nach dem verblichenen
kattunen Kapuzmantel seiner Frau, verhüllte sich darin von
Kopf bis zu Fuß, nahm den Säugling unter den Arm, und
entfernte sich.
und Lohn.
Als er die Thüre öffnete, schrie seine Frau noch einmal
laut auf, machte sogar Anstrengung, sich aus dem Bette zu
erheben, sank aber ermattet wieder zurück.
Auch der Säugling unter dem Mantel begann zu weinen,
dieser Ton schnitt Bachem durch das Herz, und wenig fehlte,
so wären seine Vatergefühle aus der Betäubung erweckt
worden, worin sie das Schwefeläther ähnliche Getränk ver-
senkt hatte. Jedoch jener Trinkertrotz ließ sie nicht aufkommen.
Er wollte seiner Frau, der er noch eben Dummheiten vor-
geworfen hatte, jetzt kein Recht geben, und mit den Worten:
„Keine Dummheiten, — Verstand, — Vernunft!" brachte
er sein besseres Selbst zur Ruhe. Auch gelang es ihm bald
das Kind wieder einzulullen.
Hatte ihn die kühle Luft draußen nüchtern gemacht, oder
nahm ihn der Schutzengel des Säuglings ans Gängelband?
Genug, er legte seinen Weg zurück, ohne daß sein Schwanken
für das Kind gefährlich geworden wäre.
Als er um die Ecke bog, welche ihn in die Straße führte,
wo der Möbelfabrikant wohnte, vernahm er ein leises
Schluchzen, dann einen mühsam unterdrückten Schreckensruf.
Eine große, dicht verschleierte Gestalt schien aus der Mauer
eines Hauses zu treten, und verschwand dann plötzlich, ohne
daß Bachem wußte, wohin sie gerathen war. Was sich
übrigens sehr leicht dadurch erklärte, daß er sich nicht ge-
traut hatte, ihr nachzusehen. Es hatte ihn schon den ganzen
Weg über gefröstelt, jetzt aber war ihni der Schrecken in die
Kniee gefahren. Es kam ihm vor, als ob sein guter Engel
oder der Schutzengel des Kindes sich weinend von ihm ge- j
wandt habe. Wenig fehlte, so wäre er vor seinem bösen
Gewissen von dannen gerannt. Er ermannte sich aber wieder
mit den Worten: „Keine Dummheiten, dumme Furcht, Ver-
stand, Vernunft!" —
Bald erreichte er die Wohnung Strömer's. „Nur nicht.
ängstlich!" sprach er, dort angelangt, „und dreimal kräftig
an der Klingel gezogen, daß der arme Wurm ja nicht un-
bemerkt liegen bleibt, und dann: rasch fort!"
Er sah sich noch einmal ängstlich um. Außer einem
Licht, welches in dem Vorhaus des Möbelschreiners brannte,
bemerkte er nichts, was ihm Besvrgniß einflößte, aber auch
über das Licht setzte er sich hinweg. Er legte das Kind
auf die Schwelle, drauf hing er sich mit dem ganzen Ge-
wicht seines Leibes an die Schelle. „Eins, zwei —"
Plötzlich öffnete sich die Thüre. Es war Strömer. Als
er den Säugling bemerkte, rief er aus: „Wie, noch Eins!"
sprang über das Kind hinweg, und eilte Bachem nach.
Dieser verwickelte sich im Laufen in seinen Mantel, und
schlug auf das Pflaster. Strömer riß ihn auf: „Abscheu-
liches Weib," rief er, „auf der Stelle nimm deine beiden
Bälge mit, oder ich rufe den Nachtwächter und lasse dich
festnehmen!"
„Beide?" fragte Bachem halblaut.
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Stra fe
„Und welches? den Kaspar vielleicht? Oder das Gretchen?"
„Nichts Kaspar, nichts Gretchen, da den, — ja wie
heißt er denn, da der Pfannenstiel/'
„Wie, den Säugling, und bis wann?"
„Gleich jetzt!"
„Himmel! Mann, was hast du vor?" rief Hanne er-
schreckt. „Man nimmt keinen Säugling von der Mutter
Brust! Du willst ihn aussetzen. Aber ich dulde es nicht.
Es ist mein Kind, ich Hab' es mit Schmerzen geboren. Ich
gebe diese Sünde nicht zu!"
„Keine Dummheiten, Hanne!" — rief Bachem heftig.
„Vernunft — Verstand! Es ist zu seinen. Besten, zu nnserm
Besten, der andern Besten. Schweig!" rief er noch heftiger,
als sie antworten wollte. „Keine Dummheiten! Sollen wir
alle vor Noth umkommen? Es muß geschehen! Ich will!
Ich Hab' es überlegt, — mit Vernunft, mit Verstand."
Umsonst suchte seine Frau ihn mit Bitten und Thränen
von seinem Vorhaben abzubringen. Obgleich der Trunk so-
wohl Ausdauer als Thatkraft auf die Dauer raubt, so macht
er doch für den Augenblick halsstarrig. Sie hätte eine Sten-
torstimme haben müssen, die sich durch einen Branntweinschen-
ken-Disput geltend zu machen weiß, um sich ihrem Manne
nur hörbar zu machen, der fortfuhr, sich laut seines Ver-
standes, seiner Vernunft zu rühmen. Endlich versagte ihr
mehr die Kraft, als der Wille zum Widerstande. Weinend
verbarg sie ihr Antlitz in die Kissen ihres Bettes.
Bachem aber begann seinen Vorsatz ins Werk zu setzen.
Er wickelte den Säugling, so sorgfältig als es sein Zustand
gestattete, in eine Decke. Dann griff er nach dem verblichenen
kattunen Kapuzmantel seiner Frau, verhüllte sich darin von
Kopf bis zu Fuß, nahm den Säugling unter den Arm, und
entfernte sich.
und Lohn.
Als er die Thüre öffnete, schrie seine Frau noch einmal
laut auf, machte sogar Anstrengung, sich aus dem Bette zu
erheben, sank aber ermattet wieder zurück.
Auch der Säugling unter dem Mantel begann zu weinen,
dieser Ton schnitt Bachem durch das Herz, und wenig fehlte,
so wären seine Vatergefühle aus der Betäubung erweckt
worden, worin sie das Schwefeläther ähnliche Getränk ver-
senkt hatte. Jedoch jener Trinkertrotz ließ sie nicht aufkommen.
Er wollte seiner Frau, der er noch eben Dummheiten vor-
geworfen hatte, jetzt kein Recht geben, und mit den Worten:
„Keine Dummheiten, — Verstand, — Vernunft!" brachte
er sein besseres Selbst zur Ruhe. Auch gelang es ihm bald
das Kind wieder einzulullen.
Hatte ihn die kühle Luft draußen nüchtern gemacht, oder
nahm ihn der Schutzengel des Säuglings ans Gängelband?
Genug, er legte seinen Weg zurück, ohne daß sein Schwanken
für das Kind gefährlich geworden wäre.
Als er um die Ecke bog, welche ihn in die Straße führte,
wo der Möbelfabrikant wohnte, vernahm er ein leises
Schluchzen, dann einen mühsam unterdrückten Schreckensruf.
Eine große, dicht verschleierte Gestalt schien aus der Mauer
eines Hauses zu treten, und verschwand dann plötzlich, ohne
daß Bachem wußte, wohin sie gerathen war. Was sich
übrigens sehr leicht dadurch erklärte, daß er sich nicht ge-
traut hatte, ihr nachzusehen. Es hatte ihn schon den ganzen
Weg über gefröstelt, jetzt aber war ihni der Schrecken in die
Kniee gefahren. Es kam ihm vor, als ob sein guter Engel
oder der Schutzengel des Kindes sich weinend von ihm ge- j
wandt habe. Wenig fehlte, so wäre er vor seinem bösen
Gewissen von dannen gerannt. Er ermannte sich aber wieder
mit den Worten: „Keine Dummheiten, dumme Furcht, Ver-
stand, Vernunft!" —
Bald erreichte er die Wohnung Strömer's. „Nur nicht.
ängstlich!" sprach er, dort angelangt, „und dreimal kräftig
an der Klingel gezogen, daß der arme Wurm ja nicht un-
bemerkt liegen bleibt, und dann: rasch fort!"
Er sah sich noch einmal ängstlich um. Außer einem
Licht, welches in dem Vorhaus des Möbelschreiners brannte,
bemerkte er nichts, was ihm Besvrgniß einflößte, aber auch
über das Licht setzte er sich hinweg. Er legte das Kind
auf die Schwelle, drauf hing er sich mit dem ganzen Ge-
wicht seines Leibes an die Schelle. „Eins, zwei —"
Plötzlich öffnete sich die Thüre. Es war Strömer. Als
er den Säugling bemerkte, rief er aus: „Wie, noch Eins!"
sprang über das Kind hinweg, und eilte Bachem nach.
Dieser verwickelte sich im Laufen in seinen Mantel, und
schlug auf das Pflaster. Strömer riß ihn auf: „Abscheu-
liches Weib," rief er, „auf der Stelle nimm deine beiden
Bälge mit, oder ich rufe den Nachtwächter und lasse dich
festnehmen!"
„Beide?" fragte Bachem halblaut.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Strafe und Lohn"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 191, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg