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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 11
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Avenarius, Ferdinand: Schaufenster
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0175

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Lrstes Märzbett tSSS.

u. Dekt.


Derausgeber:

Ferdinand Nvennrius.

!?ierteljährlich 2>/e Mark.

Sebnllkenster

in Geschlecht mit lebendigem künstlerischen
Empsinden macht vor keiner Kulturerschein-
ung Halt. Es gleicht nicht der ästhetischen
Jungsrau, die mit der Masche voll „Goldbronze"
die Wohnung durchwandelt, spähend, was etwa ver-
goldbar und doch noch immer unvergoldet sei. Aber
es gleicht einem sestgesiedelten Manne, der zu allen
Dingen seines Heims in stillem Freundschastsverhält-
nis steht, weil ihm alles darin lebendig geworden ist.
Dem ist seine Wohnung ein kleiner Staat und jeg-
liche Sache dort ein Bürger mit eigner kleiner Gegen-
wart und Vergangenheit, der erzählen kann. Und
so empsindet ein künstlerisch Geschlecht auch die Stadt,
auch die Straße: es leidet nirgends tote Flecke,
es will, daß Alles zu seinen Augen spreche — wenn
es dies in angenehmer Weise thut, dann eben be-
sriedigt es sa den Kunstsinn.

Nun gehört es zu dem Ersreulichen in der Gegen-
wart, zu beobachten, wie das Bedürfnis nach Kunst
in diesem gesunden Sinne sich ausbreitet. Die Zeit,
da zuerst das „Altdeutsche" Mode ward, erinnerte dann
und wann an jene Maid mit der Goldslasche; auch
sie empsand plötzlich das Bedürfnis nach Schmuck
und glaubte, das Gold der Schönheit mit dem Pinsel
austragen zu können, statt es aus den Sachen selber
herauszuholen. Unsre Reichspost-Briefkästen z. B.
sind von dieser äußerlichen Ersassung des „Verschö-
nerns" noch bunte Zeugen, ,aber die ganze Sinnes-
weise, die auch sie schus, lebt in der Mehrzahl der

Maßgebenden noch heute. Seh ich die gußeisernen
Gitter oder Kandelaber, die nnch so viel „mehr aus-
sehen", als ganz schtichte von Schmiedeisen, die doch
so sehr viel schöner sind, seh ich diese Stuckkränze
und Würste an den Häusern, die en Aros und en Uet.-ril
so billig zu beziehen und so doch so „imposant"
sind, seh ich die Vasen, wo eine einsach edle Form
hingehört — so muß ich immer des Fräuteins mit
dem Goldbronzenpinsel gedenken. Aber ich möchte
doch, wenn ich das Heut mit dem Gestern vergleiche,
an eine Vertiefung und Verbesserung des Kunstge-
schmackes wenigstens in diesen Dingen glauben. Durch
den Einsluß bedeutender Architekten mehren sich die
Bauten, die das Allerbeste von den deutschen Alt-
vordern übernommen und weitergebildet haben: das
um akademische Regeln unbesorgte Raumgestalten
und malerische Gruppieren. Hüuser und Kirchen in
glücklich wiedergeborner, nicht nur nachgeüffter deut-
scher Renaissance zeigen uns da und dort mit den
schlichtesten Mitteln, wie der Deutsche in seinem nor-
dischen Vaterland zweckmäßig, schön und charaktervoll-
heimatlich hauseic und hosen kann. Und bei den
Wettbewerbungen geben wir nicht mehr ohne Wei-
teres den Leuten den Vorzug, die ein paar Schnörkel
mehr als die andern in die Gußsorm modelliert ha-
ben — wenngleich die Verwechselung von Schönheit
und Reichtum immer noch auf allen Straßen und
in allen Sitzungssälen spukt.

Geben die rechten Leute Besehl und Losung, so

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