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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0097
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BESPRECHUNGEN.

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flüchtigung der Körperlichkeit ins punktuell Immaterielle des Willens. Und Raum
entspringt aus der Zeit, da ja sein Wesen eben diese radiale Expansion aus einem
verdichteten Punktzentrum ins „All" ist. Verschiedene Stufen der Weltallsdynamik
sind, und zwar mehr auf der Polseite der Expansion: Kälte, Ruhe, Statik, Substan-
tialität, Natur, sinnliche Nachahmung, technisches Können, klassische Bildung, Archi-
tektur. Mehr auf Polseite der Kondensation: Wärme, Bewegung, Kraft, Wille, Geist,
romantischer Wissensdrang, künstlerische Neuschöpfung, Musik. — Es versteht sich
von selbst, daß derartiges Philosophieren u. a. sehr naiv eine Art dynamischen
Materialismus mit Spiritualismus verwechselt, indem es über die absolute Heterogeni-
tät aller physikalischen (auch rein dynamischer!) Daten von psychischen
mit genetischer Erklärungswut hinwegphilosophiert. Und daß es ferner mit philo-
sophischen Terminis operiert, ohne sie zu verstehen. (Transzendental wird mit
transzendent verwechselt, Substanz mit statischer Körperlichkeit etc.) — Es mutet
komisch an, wenn sich jemand Mühe gibt, der Geschichte der Philosophie durch eine
Art des Philosophierens einen Abschluß zu geben, mit der sie — etwa im Zeitalter
der griechischen Naturphilosophie — begonnen hat! Und daß gerade bloß der
Mangel an fachphilosophischer Bildung daran schuld ist, macht die Sache nicht
weniger komisch.

Andererseits aber muß betont werden: die Art Intuitionskraft und Fähigkeit
zu universalem Schauen, wie sie in Herzogs Schrift sich offenbart, diese Fähig-
keit, ein Analoges in verschiedensten Abwandlungen wie durch bloße Symbole hin-
durch zu spüren, ist in der Tat das, was seit je der Philosophie ihre Richtungen
wies, und was besonders in der Philosophie der Mystik (Jakob Böhme) den Aus-
schlag gab. Das tragische Geschick der Philosophie ist aber, daß nur die wenig-
sten Philosophen diese intuitive Kraft durch die — für eine wirklich positive Arbeit
an der Weiterentwickelung der Philosophie unumgänglich notwendige — fachliche
Schulung und Bildung hindurch sich zu bewahren verstehen. Intuitionen und
Weltkonzeptionen zu haben ist leichter als sie in wissenschaftlich exakte Gedanken-
arbeit umzusetzen. —

Ganz ein Kind des Augenblicks ist Herzog in seiner Höherwertung der gestalt-
und substanzlosen Fluktuation, der puren Bewegung (ohne Bewegtes!), des puren
Werdens (ohne werdendes Etwas!).

Es müßte endlich einmal erwogen werden, ob denn auch solches Theoretisieren
vom Standpunkte des absoluten Dynamismus aus nicht am Ende nur einer sehr
engen historischen Bedingtheit entspringt. Gerade eine „morphologisch"-historische
Besinnung wird daran nicht vorbeikönnen, zu konstatieren: Spenglers Philo-
sophie vom faustisch-dynamischen Wesen der abendländischen Kulturseele selbst,
ferner der absolute Dynamismus und Funktionalismus in der modernen Physik und
Mathematik und auch Philosophie, schließlich die Auflösung aller statischen Ge-
stalt in Malerei, Plastik, Architektur zu Gunsten angeblich musikalischer Spannungs-
gesetze: entspricht dies alles nicht allzudeutlich nur dem Gesamthabitus des moder-
nen, im Sinne des Amerikanismus barbarisierten Menschen? Nämlich dem
wurzellosen, kernlosen, sinnlosen Streben und Tun um jeden Preis, dem Nichtver-
"weilenkönnen, dem blinden Vorbeischießen an jedem qualitativen Etwas, der rast-
losen Selbstflucht in die quantitative Unendlichkeit: alles Erscheinungen, die viel
eher als Krankheitssymptome einer Menschheit angesehen werden könnten, die an
einem sich allmählich selbst ad absurdum führenden Wirtschaftssystem — nämlich
dem überkapitalistischen — leidet, denn als Symptome des Werdens einer neuen
höheren Kulturepoche? Sollte es rückständig sein, daran zu erinnern, daß alle tech-
nischen Wunder unserer Zeit nur Erfüllungen von Wunschträumen sind, die seit

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