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Segers-Glocke, Christiane [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft: Naturraum - Mensch - Umwelt im Harz — Hameln: Niemeyer, Heft 21.2000

DOI article:
Ulrich Willerding: Landschaft - Ernährung - Entwicklung der Vegetation. Zusammenfassung und Ausblick
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51267#0106
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wurde jetzt begünstigt, ebenso das energetisch weniger wertvolle
Pioniergehölz. Zugleich entwickelte sich im Frühmittelalter aus der
ursprünglich vorhandenen Naturlandschaft eine frühe Form der
Kulturlandschaft. Sie wurde durch die frühindustrielle Nutzung
von Erz bestimmt. Allerdings ist noch unklar, ob es sich zunächst
nur um eine saisonale Montan-Nutzung gehandelt hat, oder ob es
bereits von Anfang an zur kontinuierlichen Ausbeutung des
naturräumlichen Potentials gekommen war. Im ersteren Fall hätte
der Sekundärwald noch die Chance gehabt, sich zu Beständen zu
entwickeln, die dem Primärwald weitgehend ähnlich waren. Wie
aus den Pollendiagrammen zu ersehen ist (Beitrag Willerding, „Die
Landschaft Harz", Abb. 4), scheint dies anfangs auch der Fall ge-
wesen zu sein. Dabei ist allerdings noch unklar, ob die mehrfachen
Erholungsphasen der Rotbuche nur auf lokalem Geschehen oder
nicht auch auf zyklischen Entwicklungen im Oberharzer Bergbau
beruhen.
Jedenfalls führte die Montannutzung im Oberharz - länger-
fristig gesehen - zu einer Reihe von Veränderungen in der Vegeta-
tion. Sie bestanden einerseits aus einer Egalisierung, andererseits
aus einer erstaunlichen Diversifizierung. Die Rohhumusdecke der
sich ausbreitenden Fichtenwälder und schließlich der neuzeitlichen
Fichtenforsten sorgte für eine Vereinheitlichung der Bodenvegeta-
tion in den Fichtenbeständen. Ehedem vorhandene Unterschiede
im Kleinrelief verloren dabei ihre standortprägende Bedeutung. Es
blieben nur sehr wenige Typen von Bodenvegetation unter Fichte.
Andererseits hatten Bergbau und Hüttenprozess zahlreiche Stand-
ortsveränderungen zur Folge. Sie betreffen zunächst einzelne
Plätze.
Von der Erzförderung zeugen die Pingen. Dabei handelt es
sich um unterschiedlich große, meist kreisrunde Eintiefungen, die
gelegentlich an Bombentrichter erinnern. Infolge der dort relativ
hohen Luftfeuchtigkeit können in ihnen Pflanzen gedeihen, die
auf höhere Luftfeuchtigkeit angewiesen sind. Das sind insbeson-
dere Farne. Allerdings muss die Sonneneinstrahlung ausreichend
sein; Pingen im dichten Fichtenbestand sind daher nicht durch das
Vorkommen von Farnen markiert.
Ähnliche, aber durchweg kleinere Trichter können die Über-
reste von Grubenmeilern sein. Sie bieten entsprechende luftfeuch-
te Standorte, auf denen Farne gut gedeihen können. Da die
Grubenmeiler relativ alt sind, wurden sie im Laufe der Zeit häufig
mit Boden verfüllt und sind daher nur selten zu erkennen.
Bei den meisten Meilerplätzen, die heute noch gut erkennbar
sind, handelt es sich um Platzmeiler (vgl. Beitrag Willerding, „Die
Landschaft Harz", Abb. 7. Beitrag Hillebrecht, Abb. 1). Diese kreis-
runden, mehrere Meter im Durchmesser messenden Plätze sind
abgesehen von ihrer Mikromorphologie oftmals auch an ihrer von
der Umgebung abweichenden Vegetation zu erkennen.
In der Nähe von Pingen befinden sich häufig Halden, auf
denen taubes Gestein abgekippt wurde. Der Boden dieser oft
größeren Erhebungen ist meist recht trocken, sein Wasserhaushalt
entsprechend unausgeglichen. Dadurch unterscheiden sich diese
Halden erheblich von dem ihrer Umgebung. Dies lässt sich auch an
den sie bedeckenden Pflanzengesellschaften erkennen. In ihnen
dominieren oftmals Flechten der Gattung Cladonia. Handelt es
sich um ältere Abraumhalden, haben sich auch andere Pflanzen
eingestellt, vor allem die Besenheide (Calluna vulgaris).
In der Nachbarschaft von Hüttenplätzen sind oftmals auch
noch Flächen mit Pochsand erkennbar. Dabei handelt es sich um
kleine Trümmer des erzführenden Gesteins. Sie sind bei der
mechanischen Zerkleinerung des geförderten, erzhaltigen Gestei-
nes entstanden. Auch diese Standorte zeichnen sich häufig durch
Trockenheit und entsprechende Flora aus. Wie bei den Abraum-
halden dauert es längere Zeit, bis sich der Wald auf diesen Flächen
wieder einstellt.

Sofern in Abraumhalden oder Pochsandflächen Gesteins-
stücke mit Schwermetall-Verbindungen enthalten sind, ist es für
die meisten Pflanzen nicht möglich, dort zu gedeihen. Angezeigt
wird der Schwermetallgehalt durch eine Reihe von Spezialisten,
die in der Lage sind, auf solchen Standorten zu wachsen. Zu dieser
Galmei-Flora gehören unteranderem die Hallersche Strandnelke
(Armeria halleri), der Kriechende Taubenkropf (Silene inflata ssp.
repens) und die Harz-Miere (Minuartia verna ssp. hercynica). Sie
blühen über einen großen Teil der Vegetationszeit hinweg und
fallen durch ihre leuchtend weißen und rosafarbenen Blüten eben-
so auf wie durch ihre geringe Blattmasse. Auf Schlackenhalden mit
höherem Schwermetallgehalt ist diese Gesellschaft allerdings meist
besser entwickelt und erreicht eine größere Wuchsdichte.
Eine weitere, die Diversifizierung der Vegetation bewirkende
Kausalkette ergab sich im Zusammenhang mit der Viehweide. Sie
führte von der Waldweide im Ahorn-Buchenwald über die Be-
nachteiligung der Laubbäume durch Verbiss und die so bewirkte
relative Begünstigung der Fichte schließlich zur Begründung der
Fichtenforsten. Die Versorgung des Viehs erfolgte nun durch die
Nutzung von Offenlandflächen, den Weiden und Bergwiesen.
Diese hatten zuvor in dem von Natur aus bewaldeten Oberharz
- abgesehen von unbewaldeten Flächen der Hochmoore - nahezu
vollständig gefehlt. Die anthropo-zoogene Nutzung hat demnach
die Entstehung von Vegetationsformen bewirkt, die heute mit
ihrer bunten Blütenfülle im Juni kennzeichnend für den Oberharz
sind.
Infolge der aktuellen Einschränkung der Oberharzer Viehwirt-
schaft ist es derzeit allerdings nur durch Maßnahmen des Natur-
schutzes möglich, diese floristisch und ökologisch wertvollen
Grünlandflächen zu erhalten. Dazu ist die Aufrechterhaltung einer
möglichst extensiven Nutzung erforderlich.
Langfristig ist vermutlich auch die Existenz der flächendecken-
den Fichtenforsten als Massenvegetation nicht gewährleistet. Den
oben dargelegten Ergebnissen der historischen Geobotanik und
der modernen ökologischen Einsichten folgend gibt es derzeit
Bemühungen um eine Förderung der ehedem standortgemäßen
Laubwaldbäume. Bei fortgeschrittener Rohhumusbildung und
Podsolierung dürften sich dabei allerdings erhebliche Schwierig-
keiten einstellen.
Im Zusammenhang mit der Erzförderung und dem dazu
erforderlichen Wasser-Management wurden im Oberharz seit dem
18. Jahrhundert Talsperren und Grabensysteme in mühsamer
Arbeit angelegt. Nachdem inzwischen auch der letzte Bergbau
stillgelegt worden ist, ändert sich jedoch die Funktion der den
Wasserhaushalt regulierenden Einrichtungen. Die Oberharzer
Teiche sorgen für eine in dieser Höhenlage natürlicherweise nicht
vorhandene Vielfalt an Feuchtbiotopen. Sie bleiben heute dank
des Naturschutzes weitgehend erhalten und tragen zur standört-
lichen Diversifizierung bei. Die größeren, erst im 20. Jahrhundert
erbauten Talsperren werden weiterhin ihre Aufgaben erfüllen,
Wasser für die Versorgung der Menschen im engeren und
weiteren Umland zu speichern und bei Hochwassergefahr den
Abfluss zu regeln.
Die ehemals wichtige Bergbau- und Hüttentätigkeit hat offen-
sichtlich zur Entstehung einer Fülle unterschiedlichster Standorts-
typen mit entsprechender Pflanzen- und Tierwelt geführt. Viele
stehen heute unter Naturschutz und haben daher die Chance,
trotz Aufgabe ihrer ursprünglichen Rolle erhalten zu bleiben. Zu-
gleich tragen sie zur Vielgestaltigkeit der Landschaft im Oberharz
bei und wirken sich so auch förderlich auf den Tourismus aus. Die
heutige Erholungslandschaft profitiert demnach von den auf uns
überkommenen Zeugnissen der frühen Bergbau- und Industrie-
landschaft.

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