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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Schmiechen-Ackermann, Detlef: Inszenierte „Volksgemeinschaft": das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0014
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Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937

Detlef Schmiechen-Ackermann

Grundlagen diktatorischer Herrschaft
In der demokratischen Öffentlichkeit wird unter einer
„Diktatur" gemeinhin eine auf Gewalt und Zwang
beruhende Willkürherrschaft verstanden, in der es
keine Rechtssicherheit gibt. Für den Nationalsozialis-
mus gelten diese negativen Merkmale offensichtlich
in hohem Maße. Eine in den letzten Jahrzehnten mit
zunehmendem Nachdruck in der Forschung aufge-
worfene Frage lautet nun aber, ob eine Betrachtungs-
weise des NS-Staates, in der auf der einen Seite die
Täter und auf der anderen Seite die Opfer des Rassis-
mus und der politischen Verfolgung dominant in den
Mittelpunkt rücken, ausreichend ist, um den grundle-
genden Charakter der nationalsozialistischen Diktatur
zu erfassen. In seiner Herrschaftssoziologie1 hat Max
Weber ausgeführt, dass ausnahmslos jede Form von
Herrschaft einer gewissen Akzeptanz (oder wie er es
formuliert: „Legitimation") bedarf. Im Falle der Mo-
narchie liegt eine „traditionale" Herrschaftslegitima-
tion vor, die auf dem Glauben an eine überkommene
Ordnung beruht, im Falle der Demokratie eine „ratio-
nale" Grundlage für eine politische Herrschaft auf
pluralistischer Basis, die aus dem frei geäußerten
Willen der Bürger abgeleitet ist. Der Diktatur fehlt
definitionsgemäß beides und dennoch bedarf auch
sie einer gewissen Bereitschaft zum „Gehorchenwol-
len", zumindest in Teilen der Bevölkerung, um sich
längerfristig stabilisieren zu können. Ersatzweise stüt-
zen sich Diktaturen in aller Regel auf eine charismati-
sche Legitimationsbasis.
Was aber ist „Charisma"? Nach Webers Konzept han-
delt es sich um eine „als außeralltäglich [...] geltende
Qualität einer Persönlichkeit [...], um deretwillen sie
als mit übernatürlichen oder übermenschlichen [...],
nicht jedem Anderen zugänglichen Kräften oder
Eigenschaften" begabt ist „oder als gottgesandt oder
als vorbildlich und deshalb als ,Führer' gewertet
wird."2 Konstitutiv für die auf Charisma beruhende
Herrschaftsbeziehung ist dieser aktive Prozess des
Zuschreibens. Eine charismatisch agierende Führungs-
persönlichkeit verfügt nicht einfach nur per se über
angeborenes Charisma; vielmehr wird dieses von der
Gefolgschaft in einem aktiven Prozess auf diese Per-
sönlichkeit projiziert. Eine logische Folge hiervon ist,
dass Charisma, um wirksam zu bleiben, auch kontinu-
ierlich reproduziert werden muss. Zudem gilt grund-
sätzlich die Formel: Je intensiver das freiwillige „Ge-

horchenwollen" in Teilen der Bevölkerung ausgeprägt
ist, je stärker das Charisma eines Diktators also aus-
strahlt, desto weniger ist ein Regime genötigt, unter
Zuhilfenahme von Terror und Zwang seine Herrschaft
gewaltsam zu sichern.
Die Entwicklung der Forschungsdebatte zum
„Dritten Reich"
Diese hier nur schlaglichtartig skizzierten theoreti-
schen Überlegungen Max Webers sind in der deut-
schen wie internationalen NS-Forschung in vielfältiger
Weise aufgenommen worden. Von Hans-Ulrich
Wehler3 bis Robert Gellately4 ist man sich - bei unter-
schiedlicher Akzentsetzung in einzelnen Fragen -
weitgehend einig, dass tatsächlich eine charismati-
sche Herrschaftsbeziehung zwischen dem „Führer"
Adolf Hitler und seiner zumindest in großen Teilen wil-
ligen „Gefolgschaft" existierte. Bereits seit den gro-
ßen Synthesen der 1980er und 1990er Jahre - etwa
von Hans-Ulrich Thamer5 und Ian Kershaw6 - gilt wei-
terhin als common sense, dass sich die NS-Herrschaft
nicht allein auf den ausgeübten Terror, sondern viel-
mehr auf ein Zusammenspiel von Gewalt und Zustim-
mung stützte.
Im Rückblick auf die Forschungsgeschichte ist festzu-
stellen, dass in den nunmehr über sechs Jahrzehnten
wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Nationalso-
zialismus - zweifellos mit sehr guten Gründen - über
lange Zeit besonders intensiv auf die Opfer der Dik-
tatur sowie auf Institutionen, Formen und Instrumen-
te des Terrors und der Repression eingegangen wor-
den ist. Dagegen wurden die Mechanismen des Kon-
senses, die Strategien der Vereinnahmung und die
Tatsache, dass das NS-Regime seine Herrschaft nicht
allein gewaltsam sichern musste, sondern in vieler
Hinsicht auch freiwillige Unterstützung in der Bevöl-
kerung erfuhr, eher beiläufig zur Kenntnis genommen
und nicht näher untersucht. Zu einer Erweiterung des
über lange Jahre in hohem Maße auf Terror, Wider-
stand und Verfolgung fokussierten Fragehorizontes
kam es schrittweise seit den 1980er Jahren. Inge
Marszolek und Rene Ott kommt das Verdienst zu, mit
ihrer Arbeit über Bremen in der NS-Zeit erstmals in der
seinerzeit dominierenden NS-Regionalforschung das
Element des Konsenses bzw. der Anpassung pro-
grammatisch in den Blickpunkt gerückt zu haben.7 In
den 1990er Jahren folgte eine ausführliche und erhel-
 
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