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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Schmiechen-Ackermann, Detlef: Inszenierte „Volksgemeinschaft": das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0018
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14

Detlef Schmiechen-Ackermann

Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937

Ehre" wurde 1936 mit einem Vorbeimarsch von
Hitlerjungen vor dem Hotel des „Führers" sowie tags
darauf mit einem Parteikongress in der Luitpoldhalle
eröffnet, dem der „Tag des Reichsarbeitsdienstes",
der „Tag der Politischen Leiter", der „Tag der Hitler-
jugend" und der „Tag der SA" folgten, bevor das
Massenfest mit dem „Tag der Wehrmacht" beendet
wurde.34 Insgesamt handelt es sich um eine rituelle
politische Masseninszenierung, die neben einer mög-
lichst eindrucksvollen medialen Präsentation in
Tagespresse, Rundfunk und Wochenschau vor allem
der Selbstvergewisserung der nationalsozialistischen
Funktionäre und Aktivisten galt und in der unmittel-
baren „Erlebnisgemeinschaft" der Teilnehmenden
vermutlich auch die größte Wirkung entfaltete. In sei-
ner einschlägigen Monographie kommt Markus
Urban zu dem Schluss, dass die Reichsparteitage als
eine Art „Konsensfabrik" funktionierten: „Die klas-
senlose .Volksgemeinschaft', der wachsenden
Wohlstand verheißende .Volksstaat' [...] wurden in
Nürnberg nicht nur für die Zukunft propagiert, son-
dern auch schon probeweise eine Woche lang in
Szene gesetzt."35
Neben diesen regelmäßig wiederkehrenden Höhe-
punkten des nationalsozialistischen Fest- und Feier-
kalenders gab es aber auch punktuelle Anlässe, die als
politische Werbung für das Regime genutzt wurden.
In diese Reihe gehört während der Formierungsphase
des Regimes vor allem der symbolische Handschlag
zwischen Hitler und Hindenburg, der am 21. März
1933 in Potsdam den Brückenschlag von der aktivisti-
schen NS-Bewegung zu den alten Eliten symbolkräftig
unterstrich. Herausragende Bedeutung kam in der
Konsolidierungsphase des „Dritten Reiches" den
Olympischen Spielen des Jahres 1936 zu, die effektiv
genutzt wurden, um das schlechte internationale
Image des NS-Regimes aufzupolieren. Der amerikani-
sche Korrespondent William L. Shirer notierte damals:
„Ich fürchte, die Nazis hatten Erfolg mit ihrer Pro-
paganda. Erstens haben sie die Spiele in einer nie
zuvor erlebten Dimension veranstaltet, was die Athle-
ten sehr beeindruckte. Zweitens haben die Nazis den
allgemeinen Besuchern, insbesondere den großen Ge-
schäftsleuten, eine sehr gute Fassade vorgeführt."36
Schließlich sei nur noch angedeutet, dass es neben
den bereits erwähnten großen Feiertagen etliche wei-
tere feste Termine im nationalsozialistischen Festka-
lender gab: den Jahrestag der „Machtergreifung" am
30. Januar, den Gründungstag der NSDAP am 24.
Februar, „Führers Geburtstag" am 20. April, den
Muttertag am zweiten Sonntag im Mai, das mit gro-
ßen Lagerfeuern verbundene Spektakel der Sommer-
sonnenwende am 23. Juni und schließlich die in der
Bevölkerung nur sehr begrenzt vermittelbaren „Jul-
feiern", die zur Wintersonnenwende am 21. Dezem-
ber begangen wurden und dazu dienen sollten, den

christlichen Charakter des Weihnachtsfestes zu relati-
vieren. In ihrer Bedeutung reichten diese Feste und
Feiern allesamt an die große Trias der nationalsozialis-
tischen Masseninszenierung - Maifeiertag, Parteitag
und Reichserntedankfest - bei weitem nicht heran.
Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Die Reichserntedankfeste am Bückeberg
Durch öffentliche Feste und Feiern suchen Diktaturen,
so der Medienhistoriker Bernd Sösemann, „auf eine
spezifische Weise in der Öffentlichkeit nach Zustim-
mung zu ihrem System und nach Legitimierung ihrer
Weitsicht".37 Im Rahmen des politischen Rituals wer-
den Gestaltungselemente wie z. B. Musik und Licht,
der exponierte Auftritt des Führers, aber auch das ge-
meinsame Singen und die Treuebekundung der Ge-
folgschaft eingesetzt, um die Teilnehmer gefühlsmä-
ßig anzusprechen und den sozialen, politischen und
ideologischen Zusammenhalt zu stärken. In der mit
großem Aufwand choreografisch gestalteten Massen-
veranstaltung soll sich insgesamt „die .grandeur' der
institutionalisierten Macht in öffentlichen eingängi-
gen Formen zeigen".38 Alle diese Merkmale treffen für
die Bauernfeiern am Bückeberg in hohem Maße zu.
Die vor Ort vorzunehmenden infrastrukturellen Inves-
titionen waren enorm. Nur ein Schlaglicht hierzu: Um
das bis 500 Meter lange und bis 300 Meter breite
Oval zu beschallen, wurden 78 Lautsprecher installiert
und durch über 15 Kilometer Elektrokabel miteinan-
der verbunden.39 Sogar Albert Speer wurde einge-
schaltet, um das Gelände für die Feiern baulich vorzu-
bereiten. Die im Umkreis des Geländes liegenden fünf
Haltepunkte der Eisenbahn wurden ausgebaut und in
Afferde ein zusätzlicher Bahnhof errichtet, damit die
Sonderzüge aus ganz Deutschland (1937 waren es
250) über ausreichende Anlaufpunkte verfügten.
Dem im Propagandaministerium für die organisatori-
sche Vorbereitung des Spektakels zuständigen
„Reichshauptstellenleiter für Großkundgebungen",
dem früheren stadthannoverschen Kreisleiter Leopold
Gutterer, gelang es zwischen 1933 und 1937 die Zahl
der Teilnehmer von knapp 500.000 auf mehr als 1,3
Millionen hochzuschrauben.
Herrschaftsstrategisch bildete das Reichserntedank-
fest als herausgehobener Höhepunkt das zentrale
Element des auf die Sicherung von Zustimmung40 spe-
ziell in der ländlich-agrarischen Bevölkerung ausge-
richteten nationalsozialistischen „Bauerndiskurses".
Inhaltlich bezog es sich zunächst fast ausschließlich
auf das Gedankengut der schon vor 1933 im ländli-
chen Milieu so erfolgreich propagierten, aus der völki-
schen Tradition übernommenen „Blut-und-Boden"-
Propaganda, wie sie von dem als Reichsbauernführer
fungierenden Richard Walther Darre in Reinkultur ver-
treten wurde. In mehreren einschlägigen Publikatio-
nen hatte dieser vom Bauerntum als dem „Lebens-
 
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