Henning Haßmann
Das Gelände der Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg als Kulturdenkmal
und seine Umgebung als gestaltete Kulturlandschaft
39
Aus dem Grabungsbericht geht hervor, dass auch im
Sommer 1938 noch umfangreiche Bauarbeiten am
Reichserntedankfestgelände vorgenommen wurden.
Das Fest wurde erst zwei Tage vor dem Fest, am 30.
September, kurzfristig abgesagt. Die für Hameln vor-
gesehenen Sonderzüge wurden für Truppentranspor-
te an die tschechische Grenze gebraucht (Gelderblom
1998, 59). Historisch gesehen ist diese Absage in drei-
erlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen zeigt sich
hier einmal mehr, wie „flexibel" das System reagieren
konnte, zum zweiten lässt sich hier tagesscharf die
Umsetzung des in der Nacht zum 30.09.1938 be-
schlossenen „Münchner Abkommens" zur „Lösung
der Sudetenfrage" ablesen, und schließlich dokumen-
tiert der Verzicht auf diese Massenveranstaltung auch
eine Neuausrichtung der nationalsozialistischen
Propaganda, die in fast allen Bereichen des „Dritten
Reiches" feststellbar ist. Nach dem Wechsel von der
so genannten völkischen, konsolidierenden zur reichi-
schen, selbstbewussten Phase etwa um 1937 (Haß-
mann 2000) wurden solche volkstümlichen Veranstal-
tungen wie auf dem Bückeberg nicht mehr durchge-
führt. Stand in der Frühphase des NS-Staates die
Rückbesinnung auf das „germanische Kernland"
Niedersachsen, die „urdeutsche" Weser und den
„Freiheitskampf" des Sachsenherzogs Widukind ge-
gen den „Sachsenschlächter" Karl den Großen im
Vordergrund, so zoomte die Propaganda nun auf den
europäischen Maßstab und die zuvor verachteten
Führergestalten Karls des Großen und Kaiser Barba-
rossas mit ihrem großmaßstäbigen Anspruch ver-
drängten Widukind oder Heinrich den Löwen (Haß-
mann 2006). Der NS-Staat war so weit gefestigt, dass
Veranstaltungen wie die am Bückeberg nicht mehr in
die Zeit passten.
Die historische Bedeutung bezieht sich auch auf den
prähistorischen Urnenfriedhof, dessen Rezeption in
der zeitgenössischen Quelle einmal mehr die propa-
gandistische Rolle der Ur- und Frühgeschichte als
Legitimationswissenschaft des „Dritten Reiches"
widerspiegelt.
Die künstlerische Bedeutung erschließt sich spätes-
tens auf den zweiten Blick. Das Gelände ist als Gan-
zes mit einer Reihe landschaftsarchitektonischer Ak-
zente im näheren Umfeld von Albert Speer durchge-
plant und unter der Koordination des Reichspropa-
gandaministers Joseph Goebbels weitgehend umge-
setzt worden. Die Projektleitung für das Fest lag bei
Regierungsrat Leopold Gutterer, der auch für die
Organisation der Berliner Maikundgebungen und die
Nürnberger Reichsparteitage verantwortlich zeichne-
te. Dieses Gelände ist trotz einiger Parallelen quasi das
an die ländliche Bevölkerung gerichtete Gegenstück
zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg unter dem
bewussten Verzicht auf das dortige Monumentale
und Strenge. Von der Standortwahl mit der ideologi-
schen Einbeziehung der Landschaft angefangen bis in
die Details (zum Beispiel hunderte rohe Fichten-
stämme als Fahnenmasten) sollte der Platz schlicht,
„bäuerlich" wirken. Spätere Entwürfe, die das Bücke-
berggelände architektonisch dem Reichsparteitagsge-
lände annähern wollten (zum Beispiel Beitrag Gelder-
blom, Abb. 4), blieben wohl aus diesem Grunde
unberücksichtigt. Bedeutung hat dieses Denkmal der
Landschaftsgestaltung auch deswegen, weil es ein
frühes Werk des noch jungen Architekten Albert
Speer ist (Abb. 23), der hier erstmals den die Massen-
veranstaltungen des „Dritten Reiches" bestimmenden
eindrucksvollen „Lichtdom" aus Scheinwerfern in
Szene setzte.
Dieses Bauwerk mit seinen oben beschriebenen
Bauleistungen, den gewaltigen Planierungsarbeiten
durch den Reichsarbeitsdienst, seinem zentralen,
erhöhten Mittelweg durch den Festplatz und den
Fundamenten der Tribünen für die ausländischen
Diplomaten und Ehrengäste ist in einzigartiger Weise
erhalten. Erhalten sind auch die Treppen und die
Zuwege mit ihrem kleinteiligen Kopfsteinpflaster, Hin-
weisschilder, die Baracken des Reichsarbeitsdienstes,
die Ver- und Entsorgungsanlagen, der Wasserbehälter,
die Verteilerkästen für die gewaltigen Lautsprecher-
anlagen usw. Man erkennt sogar an einer unvollende-
ten Ecke im Südosten des Areals den Abbruch des
Projektes 1938. Die Vollständigkeit an originaler
Substanz macht den Bückeberg zu einem Kulturdenk-
mal, das eine besondere Facette des baulichen Erbes
des Nationalsozialismus repräsentiert.
23 Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (Mitte) am
Modell des Reichserntedankfestgeländes, August 1933.
Links von ihm der mit der Gestaltung beauftragte Architekt
Albert Speer, rechts im Hintergrund der für das Fest verant-
wortliche örtliche Projektleiter Leopold Gutterer.
Das Gelände der Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg als Kulturdenkmal
und seine Umgebung als gestaltete Kulturlandschaft
39
Aus dem Grabungsbericht geht hervor, dass auch im
Sommer 1938 noch umfangreiche Bauarbeiten am
Reichserntedankfestgelände vorgenommen wurden.
Das Fest wurde erst zwei Tage vor dem Fest, am 30.
September, kurzfristig abgesagt. Die für Hameln vor-
gesehenen Sonderzüge wurden für Truppentranspor-
te an die tschechische Grenze gebraucht (Gelderblom
1998, 59). Historisch gesehen ist diese Absage in drei-
erlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen zeigt sich
hier einmal mehr, wie „flexibel" das System reagieren
konnte, zum zweiten lässt sich hier tagesscharf die
Umsetzung des in der Nacht zum 30.09.1938 be-
schlossenen „Münchner Abkommens" zur „Lösung
der Sudetenfrage" ablesen, und schließlich dokumen-
tiert der Verzicht auf diese Massenveranstaltung auch
eine Neuausrichtung der nationalsozialistischen
Propaganda, die in fast allen Bereichen des „Dritten
Reiches" feststellbar ist. Nach dem Wechsel von der
so genannten völkischen, konsolidierenden zur reichi-
schen, selbstbewussten Phase etwa um 1937 (Haß-
mann 2000) wurden solche volkstümlichen Veranstal-
tungen wie auf dem Bückeberg nicht mehr durchge-
führt. Stand in der Frühphase des NS-Staates die
Rückbesinnung auf das „germanische Kernland"
Niedersachsen, die „urdeutsche" Weser und den
„Freiheitskampf" des Sachsenherzogs Widukind ge-
gen den „Sachsenschlächter" Karl den Großen im
Vordergrund, so zoomte die Propaganda nun auf den
europäischen Maßstab und die zuvor verachteten
Führergestalten Karls des Großen und Kaiser Barba-
rossas mit ihrem großmaßstäbigen Anspruch ver-
drängten Widukind oder Heinrich den Löwen (Haß-
mann 2006). Der NS-Staat war so weit gefestigt, dass
Veranstaltungen wie die am Bückeberg nicht mehr in
die Zeit passten.
Die historische Bedeutung bezieht sich auch auf den
prähistorischen Urnenfriedhof, dessen Rezeption in
der zeitgenössischen Quelle einmal mehr die propa-
gandistische Rolle der Ur- und Frühgeschichte als
Legitimationswissenschaft des „Dritten Reiches"
widerspiegelt.
Die künstlerische Bedeutung erschließt sich spätes-
tens auf den zweiten Blick. Das Gelände ist als Gan-
zes mit einer Reihe landschaftsarchitektonischer Ak-
zente im näheren Umfeld von Albert Speer durchge-
plant und unter der Koordination des Reichspropa-
gandaministers Joseph Goebbels weitgehend umge-
setzt worden. Die Projektleitung für das Fest lag bei
Regierungsrat Leopold Gutterer, der auch für die
Organisation der Berliner Maikundgebungen und die
Nürnberger Reichsparteitage verantwortlich zeichne-
te. Dieses Gelände ist trotz einiger Parallelen quasi das
an die ländliche Bevölkerung gerichtete Gegenstück
zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg unter dem
bewussten Verzicht auf das dortige Monumentale
und Strenge. Von der Standortwahl mit der ideologi-
schen Einbeziehung der Landschaft angefangen bis in
die Details (zum Beispiel hunderte rohe Fichten-
stämme als Fahnenmasten) sollte der Platz schlicht,
„bäuerlich" wirken. Spätere Entwürfe, die das Bücke-
berggelände architektonisch dem Reichsparteitagsge-
lände annähern wollten (zum Beispiel Beitrag Gelder-
blom, Abb. 4), blieben wohl aus diesem Grunde
unberücksichtigt. Bedeutung hat dieses Denkmal der
Landschaftsgestaltung auch deswegen, weil es ein
frühes Werk des noch jungen Architekten Albert
Speer ist (Abb. 23), der hier erstmals den die Massen-
veranstaltungen des „Dritten Reiches" bestimmenden
eindrucksvollen „Lichtdom" aus Scheinwerfern in
Szene setzte.
Dieses Bauwerk mit seinen oben beschriebenen
Bauleistungen, den gewaltigen Planierungsarbeiten
durch den Reichsarbeitsdienst, seinem zentralen,
erhöhten Mittelweg durch den Festplatz und den
Fundamenten der Tribünen für die ausländischen
Diplomaten und Ehrengäste ist in einzigartiger Weise
erhalten. Erhalten sind auch die Treppen und die
Zuwege mit ihrem kleinteiligen Kopfsteinpflaster, Hin-
weisschilder, die Baracken des Reichsarbeitsdienstes,
die Ver- und Entsorgungsanlagen, der Wasserbehälter,
die Verteilerkästen für die gewaltigen Lautsprecher-
anlagen usw. Man erkennt sogar an einer unvollende-
ten Ecke im Südosten des Areals den Abbruch des
Projektes 1938. Die Vollständigkeit an originaler
Substanz macht den Bückeberg zu einem Kulturdenk-
mal, das eine besondere Facette des baulichen Erbes
des Nationalsozialismus repräsentiert.
23 Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (Mitte) am
Modell des Reichserntedankfestgeländes, August 1933.
Links von ihm der mit der Gestaltung beauftragte Architekt
Albert Speer, rechts im Hintergrund der für das Fest verant-
wortliche örtliche Projektleiter Leopold Gutterer.