Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

DOI article:
Schulze, Heiko K. L.; Worbs, Dietrich; Masuch, Horst; Breuer, Tilmann; Wulf, Walter: Arbeitsgespräch: wo liegt der Nutzen von Inventarisation und Bauforschung in der praktischen Denkmalpflege?
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0116
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
gemäßer, moderner Methoden - darzustellen vermögen. Die
Inventarisation dagegen bediente sich, soweit das überhaupt
zeitlich und finanziell möglich war, der gewohnten Methoden
eines weitgehend nach innen gerichteten verwissenschaftlich-
ten Instrumentariums. Doch vermögen Inventare, Periodika,
Arbeitshefte u. ä. nur einen kleinen Bereich der Partner der
Denkmalpflege zu erreichen; die große Öffentlichkeit, an der
uns gelegen sein müßte, erreichen sie nicht, weil sie auch gar
nicht für sie bestimmt sind.
In jüngster Zeit hat es neue Ansätze gegeben, sich allgemein-
verständlicher auch einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen.
Doch darf nach den Erfahrungen bezweifelt werden, ob z.B.
auch die Denkmaltopographie in ihrer idealtypischen Form die
Informationen zum Denkmal in die Öffentlichkeit trägt und
damit das Interesse findet, das wir uns von ihr erwarteten.
Es ist bereits gesagt worden: die Inventarisation manövriert
seit langem zwischen der Scylla, möglichst schnell das Mate-
rial für die Listen zu erarbeiten und der Charybdis, dieses Ma-
terial doch so profund zu halten, daß überzeugende Erkennt-
nisse zum Denkmal entwickelt und möglichst justiziable Be-
gründungen formuliert werden können. Ein unauflösbarer
Konflikt, bei dem eine wichtige Möglichkeit, Wissensvermitt-
lung um die Denkmale zu üben und damit Öffentlichkeit für die
Denkmäler zu gewinnen, bereits weitgehend vertan ist. Sie lag
oder liegt in der praktischen Tätigkeit des Inventarisators,
wenn er während seiner Bereisungen am Denkmal dessen Ei-
gentümer und ggf. regionalen Behördenvertretern und Kom-
munalpolitikern begegnet. Welch bessere Gelegenheit bietet
sich, als vor den Denkmälern über die Denkmäler mit den

Aussprache
Gesprächsleitung: Urs Boeck

B o e c k: „Nach den letzten Äußerungen scheint mir der Zeit-
punkt gekommen, nochmals nach Zustimmung, Ablehnung,
Betroffenheit zu fragen. Es sind Äußerungen getan, die das
Selbstverständnis der in der Denkmalpflege miteinander Täti-
gen hart ankommen mögen. Um auf Lessings Ringparabel zu-
rückzugreifen: Wer von uns, ob es der Konservator oder der In-
ventarisator, der Bauforscheroderder Restaurator ist, wer von
uns kann sicher sein, daß er wirklich das Original sein eigen
nennt?“
Weidner: „Für einen angemessenen Umgang mit einem
Denkmaloriginal ist die wissenschaftliche Inventarisation vorab
so wichtig wie die Dokumentation aller konservatorischen
Maßnahmen. Wolfgang Wolters hat in seinem Beitrag auf dem
Kunsthistorikerkongreß 1986 verstärkte Rezension der kon-
servatorischen Arbeitsergebnisse gefordert, d. h. den kriti-
schen Vergleich des Nachzustandes mit den Erkenntnissen
des Vorzustandes. Sollten nicht die Inventarisatoren als erste
aufgefordert sein, diesen wichtigen Beitrag zu leisten? Sie
stünden in dem Prozess des Umgangs mit dem Original dann
nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende, das ja letztlich im
Hinblick auf zukünftige konservatorische Maßnahmen wieder
einen neuerlichen Ausgangstatbestand darstellt.“
Ludwig: „Es wird hier immer mit drei Bällen gespielt: Baufor-
schung, Inventarisation, praktische Denkmalpflege. Oder aber
ich habe den Eindruck, als ob hier drei Leute herumstehen und
mit einem Ball spielen, nämlich mit der Originalität, die sie sich
gegenseitig zuwerfen und die dabei von Mal zu Mal von ihrer
Oberfläche verliert. Ich bin einmal als Bauforscher angespro-
chen. Ich habe mich in diesem Bereich betätigt. Ich habe aber
nie das Gefühl gehabt, daß ich einer von diesen drei Leuten

Denkmaleigentümern zu sprechen. Doch ein jeder, der das er-
lebt hat, weiß auch, wie zeitaufwendig das sein kann und wie
wir unter dem Zwang, unser Soll zu erfüllen, solche Gespräche
abkürzen oder ihnen gar ausweichen. Ein möglicherweise
nicht wiedergutzumachender Fehler, denn direkte Beteiligung
und Mitsprache des Eigentümers am Objekt, Denkmaldeu-
tung des Inventarisators wirken viel unmittelbarer und persön-
licher als Gesetzesdefinitionen und abstrakte Formulierungen
der besten Informationsbroschüren. Und so gilt nach wie vor
ein Wort von Tilmann Breuer, der Inventarisator nehme neben
seiner eigentlichen Aufgabe auch einen Großteil der Öffentlich-
keitsarbeit der Denkmalpflege wahr und sei damit häufig der
erste und beste Walter des Denkmals. Doch haben wir diese
Aufgabe so wahrnehmen können? Wohl nicht, denn viele
Rückschläge und Entscheidungen, viele Irrtümer und Mißver-
ständnisse wären sonst vermeidbar gewesen.
Wir beklagen uns, daß oft zu viele - ja alle - bei der Denkmal-
pflege mitreden, weil sie scheinbar eine einfache Sache ist,
von der alle etwas zu verstehen glauben. Doch „Nichts ist dem
Dilletantisms mehr entgegen als feste Grundsätze und strenge
Anwendung derselben“ sagt - Goethe in „Über strenge Ur-
teile“ (Handschriften aus dem Nachlaß). Wir haben auch heute
noch Grund, uns daran zu halten. Doch versäumen wir nicht,
unsere Grundsätze und ihre Anwendung mehr und verständli-
cher als bisher einer Öffentlichkeit nahezubringen, deren Auf-
tragnehmer in Sachen Denkmale wir sind.
Bisher haben wir zu viel über uns selbst geschrieben und zu
wenig die Denkmäler gegenüber der Öffentlichkeit erklärt - wir
haben ein Defizit auszugleichen. Doch dazu gehört auch Zeit.

wäre, sondern die Empfindung, daß ich noch einen Teil einer
zweiten Person in mir habe, nämlich den Inventarisator. Und
dieser Gegensatz - als ob der Inventarisator nun da drüben
stände und ich hier als Bauforscher-, der will mir einfach nicht
richtig in den Kopf. Herr Breuer hat mir auch einmal gesagt:
,lch als Inventarisator bin eigentlich dann am glücklichsten,
wenn mir der Bauforscher das Maßband in die Hand drückt,
mich in eine Ecke stellt, wo ich dann das Maßband festhalte,
während er mißt. Da kann ich nämlich nachdenken über das
Gebäude'. Und diesen Zusammenhang finde ich eigentlich
auch sehr richtig und sehr gut. Und das wünsche ich mir als
Bauforscher, der sich im Grunde genommen auch als Inventa-
risator versteht. Ich wünsche mir schon diesen Zusammen-
halt, und ich sehe da im Grunde genommen gar keine Pro-
bleme bei der Lösung.
Sobald es um die Originalität geht, habe ich den Eindruck, daß
ich als Bauforscher eigentlich der bin, der am dichtesten an
der Originalität dran ist. Nämlich, indem ich sie zerstöre und in-
dem ich ein Stückchen - aber nur ein Stückchen - zerstöre
und ein anderes Stückchen eben dann doch erhalte. Sie spra-
chen vorhin von diesem Medizinstudenten, der doch lieber am
toten Menschen erst einmal ausprobieren, am lebendigen
Menschen möglichst wenig machen solle. Ich habe den Ein-
druck, daß die praktischen Denkmalpfleger im Grunde ge-
nommen jedes Gebäude von vornherein schon als einen
Leichnam betrachten. Da kann der Bauforscher dann man-
ches Mal eingreifen. Dadurch, daß er an einem anderen Ge-
bäude schon geforscht hat und sagen kann: .Also hier braucht
man eigentlich nichts weiter zu untersuchen, das läßt man ein-
fach so, wie es ist'.

114
 
Annotationen