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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 18.1902

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Heft 1
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Zum Beginn des 18. Jahrganges
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https://doi.org/10.11588/diglit.44900#0010

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1902

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 1

wir hier vor der eben sich erschliessenden Blüte einer starken
neuen Kunst, gleich jener alten deutschen Renaissance?
Oder wird nicht vielmehr diese, von aussen in die Archi-
tektur hineingetragene malerische Richtung mit dem älteren
und selbständigen Streben unserer führenden Geister nach einer
neuen monumentalen Ausdrucks weise in Wechselwirkung treten,
durch die sie selbst an Stärke und Tiefe gewinnt, während
sie hier die Härten archaistischer Formen mildert und mit der
Verbreitung freierer künstlerischer Anschauungen im Volke
allmählich die Hindernisse hinwegräumt, die jetzt so oft alles
monumentale Schaffen im Keime ersticken?
Vielleicht werden dereinst beide Richtungen, geeint und
geläutert, auf ihrem Wege wieder Zusammentreffen mit der
dritten, die auf der Ueberlieferung weiterbauend, einen voll-
wertigen Ausdruck für ihre neuen Gedanken und Aufgaben
zu finden sucht.
Oder ist die moderne Richtung wirklich so stark, die Los-
lösung von der Vergangenheit so vollkommen, dass eine völlig
neue Kunst zu erstehen vermag? Wird man für alles neue
und bessere Formen finden? Oder wird man mit Recht
zurückgreifen auf den Formenschatz der Vergangenheit? Wer-
den nicht auch die Künstler des 20. Jahrhunderts wenigstens
Anregung und Belehrung schöpfen aus den Werken früherer
Jahrhunderte und manche grosse Gedanken ihrer Vorgänger
aufnehmen und dann in ihrer Weise weiterspinnen?
Lange nach uns erst werden diese Fragen endgültig be-
antwortet werden!

Für die Gegenwart ist es schwerer als je ein ungefärbtes
Bild des Entwicklungsstandes zu gewinnen, und zwar um
so schwerer, je eifriger der Einzelne selbst an der Weiterent-
wicklung mitarbeitet. Lebhafte Anteilnahme für oder wider
lassen so leicht Wichtiges übersehen, Unwesentliches, Neben-
sächliches überschätzen! Noch ist alles im Werden, vieles
bedarf der Klärung, manches der Eindämmung oder des An-
sporns.
Unsere Architektonische Rundschau, die wie bisher ein
möglichst umfassendes und durch keine persönliche Auffassung
beeinflusstes Bild des gegenwärtigen Schaffens und Strebens
geben und nach Kräften zu einer gedeihlichen Weiterentwick-
lung beitragen will, sieht sich daher vor die Aufgabe gestellt,
nicht nur in erweitertem Bildwerk alle Strömungen in der
Architektur der Gegenwart möglichst gleichmässig vorzuführen,
sondern auch für die Erörterung aller die Gegenwart beschäfti-
genden baukünstlerischen Fragen und für neue Anregungen
aller Art eine geeignete Stelle zu schaffen. Dieser Aufgabe
soll unser erweiterter Textteil vornehmlich dienen.
Dem bedeutenden Einfluss der vom Kunstgewerbe aus-
gegangenen Anregungen entsprechend, wird auch das letztere,
soweit es in näherer Beziehung zur Architektur steht, im Bild
und Wort umfassende Berücksichtigung finden.
Wir hoffen, dass unsere Leser uns in dem Bestreben, ein
möglichst vielseitiges Bild des künstlerischen Schaffens und
Werdens der Gegenwart zu entrollen, durch eifrige Mitarbeit
unterstützen werden!


Wohn- und Geschäftshaus in Wien V, Wollzeile.

Architekt: Oberbaurat Professor Otto Wagner in Wien.

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