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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 18.1902

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Heft 8
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Fortschritte in der Kunsttischlerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.44900#0065

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1902

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8

Fortschritte in der Kunsttischlerei.

jT,

einzelnen Glieder nicht durch den zum äusserlichen Bereiche-
rungsmittel herabgesunkenen Schmuck, sondern durch die
Linienführung der Konstruktionsglieder selbst ausgedrückt sind.
Die ästhetische Entwicklung schreitet also seit der Antike in dem

n einer Reihe bemerkenswerter Vorträge im Königl. dem Möbel des Rokoko, bei dem die inneren Funktionen der
Kunstgewerbemuseum zu Berlin stellte Herr Dr. Her-
mann Lüer etwa folgende Grundsätze für die Be¬
urteilung unsres neuen Möbelstiles auf*): Wahrer Fortschritt
ist nicht durch die Willkür der Mode bedingt, sondern liegt



in der unbe-
irrten Weiter-
führung der
Entwicklung
auf dem seit
Jahrhunderten
und Jahrtau-
senden ver-
folgten Wege.
Diese Ent-
wicklung wird
von Zeit zu
Zeit unter-
brochen, setzt
aber immer
von neuem ein
und schreitet
vorwärts, un-
gehindert
durch Ab-
schweifungen
und schein-

Sinne fort, dass die ornamentalen Zuthaten immer mehr von der
Konstruktion losgelöst werden und die Konstruktion schliess-
lich die vornehmste Aufgabe des Ornamentes mit übernimmt.
Die neue Möbelkunst nimmt diese im neunzehnten Jahrhundert
durch das Zurückgreifen auf alte Konstruktionsweisen und
Schmuckformen unterbrochene Reihe wieder auf und sucht durch
gesteigerte Materialbeherrschung den unendlich mannigfachen
Einzel- und Sonderansprüchen der Neuzeit gerecht zu werden.
Eine gleichartige Entwicklung in ganz bestimmtem Sinne
lässt sich auch in Bezug auf die Gestaltung des Ornamentes
und die farbige Behandlung der Hölzer, sowie auf die Ver-
wendung der Beschläge nachweisen.
Wenn dieses Streben nach wahrhaften ästhetischen und
technischen Fortschritten zwar in einzelnen hervorragenden
Arbeiten deutlich erkennbar und schon nicht mehr vereinzelt
auftritt, aber doch noch nicht recht zum allgemeinen Bewusst-
sein gelangt ist, so liegt dies zweifellos daran, dass diese
Grundsätze auch in den besten Arbeiten zum Teil noch durch
andersgeartete Zuthaten, durch damit nicht ganz übereinstim-
mende Formen und Einzelheiten verschleiert erscheinen. In
dem zeitgemässen Suchen nach einem neuen Stil, in dem über-
quellenden Drange Neues und Eigenartiges zu geben, eine

Speisezimmer. Entwurf und Ausführung:
J. C. Pfaff, Möbelfabrik in Berlin.
baren Rückschritt. Auf Wandlungen in der ästheti-
schen Auffassung müssen technische Aenderungen
folgen und umgekehrt. Lassen sich also in der
langen Folge der geschichtlichen Entwicklung eines
Kunstgebietes fortlaufende Wandlungen in ganz be-
stimmter, klar erkennbarer Richtung feststellen, so
muss daraus zu schliessen sein, was heute und was
in Zukunft als Fortschritt zu gelten hat und was nicht.
Betrachtet man die Entwicklung der einzelnen
Möbeltypen, z. B. des Stuhles, im Laufe der Jahrhun-
derte, so bemerkt man unverkennbar ein dauerndes
Fortschreiten zu immer grösserer Materialbeherr-
schung, Materialausnutzung und -ersparnis, so dass
das ursprünglich ungefüge, in grösster Stärke an-
gewandte Holz schliesslich als beinahe lebendiges,
nach jeder Richtung schmiegsames Material erscheint.
Diese Entwicklung gipfelt für die Vergangenheit in

*) Vergl. den kurzen Abriss in Heft 4, Jahrgang 1902 der
Zeitschrift des Bayrischen Kunstgewerbevereins zu München.

Herrenzimmer. - Entwurf und Ausführung: J. C. Pfaff, Möbelfabrik in Berlin.
 
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