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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 18.1902

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Heft 2
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Hofmann, Theobald: Antiquarische Betrachtungen: ein Mahnwort für unsere Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.44900#0018

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1902

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 2

Das Grab der Caecilia Metella. Nach einem Aquarell von Th. Hofmann.


zersetzt; die neuere Zeit, eine neue Kultur hat sich darin breit
gemacht — ohne die Sprache der Gewaltigen zu übertönen.
Die christlich-antike und die früh-mittelalterliche Baukunst,
denen die Plünderung der alten Denkmäler Roms freigegeben
war, benutzten sie nicht nur als Steinbrüche und Kalkgruben,
denen sie ihr Baumaterial entnahmen, sondern sie holten aus
ihnen alles, was sie für ihre Bedürfnisse irgend verwenden
konnten. Die alten Heldensarkophage wurden zu Brunnen,
Wasch- und Viehtrögen, die Marmorplatten der Paläste wurden
Auslageplatten für Fleischer und Gemüsehändler, Tausende von
Säulenschäften wanderten in neu zu errichtende Gotteshäuser,
selbst nach andern Ländern. Marmorquader und Gebälkstücke
wurden zu Kalk gebrannt. Es lag ja alles da zum Bauen,
frei an Plätzen und Strassen. Und dennoch hat auch diese
altchristliche Zeit uns etwas Neues an dekorativer Kunst
geschenkt: Die Katakombenmalereien und Sargskulpturen, die
wohl anknüpfend an das Alte neues Gefühlsleben zum Aus-
druck bringen; ferner die Mosaikgemälde in den Absiden der
Kirchen, die Fresken an den Wänden der Klöster, die mit
bunten Glaspasten und Goldplättchen durchsetzten Mosaiken
an Altären, Kanzeln und Grabmonumenten und nicht zuletzt
die herrlichen Fussböden der Kirchen in farbigem Marmor.
In der folgenden Zeit des romanischen Stils, der besonders
in Oberitalien blühte, verwandte man noch immer alte Reste
römischer Architektur; aber infolge solcher Einpassung fehlt
vielen dieser Werke der geschlossene Charakter im Gesamt-
aufbau und oft der Adel in sich und in ihrem Verhältnis zum
Ganzen abgewogener Einzelformen, so viel auch Würdiges und
Monumentales, vor allem Stimmungsvolles geschaffen wurde. -
Die Gotik auf italischem und sizilischem Boden ist auch mehr
äusserlich aufgenommen worden und das sehr merklich im
Profanbau, während im Sakralbau mit möglichst wenig, aber
gutem Baumateriale gewaltig grosse Raumbildungen, immerhin
vorzügliche Leistungen in konstruktiver Hinsicht, geschaffen
wurden und darin das Handwerkliche — vornehmlich auch
im inneren Ausbau so recht gepflegt war.
Sind vielstöckige, quadratische Glockentürme, mächtige
Steinwälle, Festungsmauern und Burgen und trotzige Türme
der Adelsfamilien das Wahrzeichen des Mittelalters, so kenn-
zeichnen die Kuppelbauten der Kirchen die Formensprache der
Renaissance und ihrer Nachfolger.
War in Italien seit dem römischen Zeitalter — einige
gotische Werke ausgenommen der Schöpfungsbau im
eigentlichen Sinne kaum zu Ehren gekommen, so erblühte
aufstrebend mit der Renaissance unter Brunelleschi, Luciano
da Laurana, Bramante, Raffaello, Sanniicheli, Michelangelo,
Palladio und ihren Schulen bis einschliesslich Vignola, Fontana,


Maderna, Borromini und Bernini in freier Originalität ein
neues bauliches Leben auf Grundlage der Antike. Und
wieder klangen zur Zeit der höchsten Blüte alle Künste
zusammen wie zu alter Zeit! Freilich hat man in der Barock-
epoche über den Strang geschlagen und über dem Zuviel das
innere Wesen aller Baukunst — das Gestalten aus sich heraus
— vergessen. Man trieb schliesslich Dekorationskunst im
grössten Stil und Pomp mit allzuviel Formen. Der Wellen-
schlag der Zeit hat auch diese Nachblüte der Ueberladung
niedergeschlagen; doch hat die Flut uns heilige Trümmer ans
Land geworfen: Es ist der Apparat der Ausgestaltung in seinem
Reichtume logischer Aufbaugesetze die Grammatik der
Alten; Unersetzliches an Wissen und Können vergangener
Zeiten ist unser Erbe! Bewahren wir es, werten wir es!
Den Geist, Worte zu finden im Sinne unserer Zeit, haben
wir, doch das Masshalten nach dem Vorbilde der Griechen,
ein guter Satzbau, wie ihn die Römer pflegten, tüchtige monu-
mentale Konstruktion, logisch ästhetische Fügung im Aufbau
der Glieder, Adel der Form wie zur Zeit der Renaissance
Klarheit und Wahrheit in der organischen Durchbildung alles
Baulichen, folgerechte Gestaltung thun vor allem Not!
Wenn wir uns sonach geloben, allein die Tendenzen
der Aufbauentwickelung, nicht aber die Formen-
welt — das Aeusserliche des Erbes — werten zu wollen,
wenn wir allein das an den alten Bauschätzen verfolgen, was
struktiv-technisch und symbolisch-logisch ist, dann wird
unsere „Moderne“ noch erstarken zu herrlichem Sein!
Aber alles auf Persönliches allein setzen zu wollen, wider-
spricht aller und jeder Kultur- und Kunstentwicklung. Und
warum blüht trotz alledem heut in der Moderne der Nach-
ahmungswucher wie kaum zuvor in der zweiten Blüte der
Renaissance des letzten Jahrhunderts? Ihr zum Spotte fast:
in Ermangelung an antiquarischem Wissen der
Gestaltung und Durchbildung. Deshalb wieder die Nach-
bildung von Formal-Aeusserlichem! — Und wo bleibt das
neuschaffende Konstruieren von innen nach aussen? —
Deshalb, Moderne! erwirb das Erbe, um es zu besitzen,
es zu nutzen! Das war doch stets so, solange es eine Kultur
und Kunst gegeben, und wird so bleiben, bis an der Welt Ende.
Und die daran nicht glauben wollen, werden es mit ihren
Schöpfungen büssen; denn es kommt die Zeit, da die Flut
über sie hinweggegangen sein wird und kommende Geschlechter
auch sie einschätzen werden.
Es ist eine ernste Sache um die wahre Kunst! wie eine
ernste um die wahre Freude.


Die Akropolis in Athen.

Nach einem Aquarell von Th. Hofmann.

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