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Stegmann, Carl von [Editor]; Geymüller, Heinrich von [Editor]
Die Architektur der Renaissance in Toscana: dargestellt in den hervorragendsten Kirchen, Palästen, Villen und Monumenten nach den Aufnahmen der Gesellschaft San Giorgio in Florenz; nach Meistern und Gegenständen geordnet (Band 1): Filippo di Ser Brunellesco — München: Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., 1885

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.53653#0007
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ZUR EINFÜHRUNG
VON
CARL von STEGMANN


IN wiederholter Besuch Italiens, zu dem Zwecke, sich mit der Kunst zu beschäftigen, lässt an längst Bekanntem
neue Reize finden, welche entweder der Art des Kunstwerkes, seiner Umgebung oder den örtlichen
Eigentümlichkeiten entspringen. Es treten aber auch die Veränderungen nahe, welche die Zeit mit ihren Zähnen
hervorbringt; am deutlichsten an den Werken der Architektur. Dabei ist oft der schmerzliche Eindruck über-
wiegend. Ruinenhaftes Aussehen oder unglückliche Ausbesserung oder Erneuerungen verursachen diesen Eindruck.
Im letzten Jahrzehnt sind namentlich die Bauten der Renaissance unter dem Aufblühen des modernen italienischen

Lebens in Gefahr, weil die Zeit nagend und zerstörend gewirkt hat, und weil an Stelle der Erhaltung das moderne Bedürfnis sich
geltend macht. Wie vieles ist in den letzten 25 Jahren in Italien noch verdorben oder verschwunden? Gerade die Bauten der italienischen
Renaissance sind aber von unschätzbarem Wert und werden es bleiben für alle Völker und für alle Welt, so lange sich humane Bildung
fortschreitend geltend macht. Kein Kulturvolk ist von dem Einfluss der italienischen Renaissance frei geblieben und keine schöpferisch
auftretende Periode in der Architektur ent wicklung ist seit dem 16. Jahrhundert ohne Einfluss der Architektur der italienischen Renaissance
entstanden. Die ungemeine Wichtigkeit dieser Bauweise und ihrer Zierwerke ist aber erst in letzter Zeit allgemein erkannt worden.
Frankreich und England sind in der Erkenntnis vorangegangen, Deutschland ist gefolgt und sucht jetzt selbständig Versäumtes nachzuholen.
Die zahlreichen Werke über einzelne Bauten italienischer Renaissance, die grosse Zahl der jungen Architekten, welche alljährlich
nach Italien ziehen, die eifrigen Forschungen der Gelehrten sind der sprechendste Beweis für das lebhafte Interesse, welches den Bauten
Italiens aus dieser Zeit und den entsprechenden Studien in Deutschland entgegengebracht wird. Leider ist aber der Nutzen dieser
Studien noch nicht allgemein an unserer Architektur erkennbar, und den Reiz, welchen die Werke der italienischen Renaissance durch ihre
subjektive Ursprünglichkeit ausüben, seien es Kirchen, Paläste oder Villen, vermissen wir noch an unseren modernen Bauten. Es fehlt
auch die knappe Abrundung im ganzen, welche zum Teil den monumentalen Charakter verleiht, wie er sich in Italien selbst an kleineren
Bauten immer sicher ausprägt. Einen Teil der Schuld am Fehlen dieses Charakters, der nur in sicherer Gesetzmässigkeit erreichbar ist,
trägt die Art der Studien, wie dieselben von unseren Architekten zumeist betrieben werden. Motive sammeln, viele flüchtige Skizzen
heimtragen, die Photographie als wahrsten Abklatsch der Natur auffassen, sind die Fehler. Viele Veröffentlichungen tragen diese Fehler
an sich und scheinen mehr dazu entstanden, um eine Darstellungsmanier effektvoll zur Geltung zu bringen.
Nur im Zusammenhänge mit kulturgeschichtlichen Studien ist ein Verständnis der Kunst möglich und die mächtige Umwälzung,
welche die Renaissance Italiens in der gesamten Baukunst schuf, bedarf zu ihrem Verständnis erst recht dieser Studien. Aber weiter gehört
auch eingehendes und genaues Betrachten, Vergleichung der Masse, der Konstruktion, der Einzelgliederung und der Zierungen zum
Verständnis. Dass dazu längerer Aufenthalt an Ort und Stelle, Ausdauer und Fleiss erforderlich, ist verständlich. Vor 30 Jahren, als
ich eingehende architektonische Studien in Italien machte, gehörten Massaufnahmen zu den Seltenheiten bei den jungen deutschen
Architekten; mein Freund Giese und ich mussten oft hören, dass unsere messende Thätigkeit wenig künstlerisch sei. Wenn sich nach
dieser Richtung die Anschauungen auch gebessert haben, so sind andere Umstände eingetreten, welche den eingehenden Studien hinderlich
sind: der so sehr erleichterte Reiseverkehr, welcher zu flüchtigem Aufenthalt verführt und die populäre, in Phrasen schwimmende
Darstellung der Architekturgeschichte. Bei wiederholten Besuchen Italiens habe ich mit Staunen in Kreisen jüngerer, landsmännischer
Fachgenossen den Urteilen und Kritiken zugehört, und noch gesteigert hat sich dieses Staunen beim Betrachten der Studien dieser jungen
Künstler und Gelehrten. Das Gefühl der Scham, welches mich oft bei solchen Anlässen überkam, konnten die jungen Leute nicht
begreifen; empfunden hat es wohl kaum einer derselben.
Dass ich eine grosse Freude empfand, als ich einmal etwas ganz anderes fand, ist erklärlich und dass diese Freude eine sehr
aufrichtige war, sollen diese Zeilen bezeugen. Im Spätherbst und Winter des Jahres 1882, während eines mehrmonatlichen Aufenthaltes
in Italien, kam ich mit der deutschen Gesellschaft San Giorgio1) in Florenz in Berührung, einer Gesellschaft junger Künstler und Gelehrter,
die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bauten Toscanas eingehend zu studieren, zu messen, zu zeichnen und zu veröffentlichen. Die Gesellschaft

1) Siehe Näheres darüber: «Die deutsche Künstlergesellschaft San Giorgio in Florenz», in Kunst und Gewerbe, 1883, Heft I.

Architektur der Renaissance in Toscana.

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