FILIPPO DI SER BRUNELLESCO
in ihm den Wunsch, ihre «musikalischen Gesetze», die Technik
und die Mittel, welche bei ihrer Herstellung befolgt worden, immer
mehr zu ergründen. Zu letzterem Verständnis waren die mechani-
schen Kenntnisse, die er früher in der Anfertigung von Uhren
und eines Weckers erprobt hatte, von grosser Hilfe. Die Gründ-
lichkeit dieser architektonischen Studien hielt er jedoch vor Donatello
verborgen, mit dem er sich begnügte, die Hauptmasse der Gebäude
aufzunehmen, und der früher nach Florenz zurückkehrte. In seiner
Heimat schon hatte zwar Filippo Gelegenheit gehabt, als Architekt
kleinere Arbeiten vorzunehmen, und soll u. a. auch der noch vor-
handene Turm der Villa Petraia bei Florenz im wesentlichen
sein Werk sein. «Bei diesen Arbeiten», schreibt Manetti, «gebrauchte
«er weder die Technik noch die Formen, die er nach seinem
«Studium der römischen Bauwerke anwandte, da letztere ihm noch
«unbekannt waren. Erst sein langjähriges Studium in Rom, bei
«welchem er stets zwei Dinge vor Augen zu haben schien: die Er-
«neuerung der Architektur und die Wölbung der Florentiner
«Domkuppel, machten aus Filippo di ser Brunellesco den Architekten,
«als welchen wir ihn in seinen vorhandenen Werken kennen lernen».
Zu den technischen Verbesserungen, die er aus dem Studium
der alten Bauwerke wieder in Florenz einführte, gehört der Gebrauch
der Steinzangen beim Versetzen der Blöcke und in gewissen Fällen
die Verbindung dieser untereinander mittels schwalbenschwanz-
geformter Zapfen.
Brunellesco besass einen ungemein scharfen Verstand; im
Gespräch war er unerschöpflich erfindungsreich und bündig in
seinen Schlüssen. An Streitfragen über Dante und die heilige
Schrift nahm er so lebhaften Anteil und erwarb sich dadurch und
mit Hilfe seines guten Gedächtnisses eine Beweisführung von so
zwingender Notwendigkeit, dass der berühmte Mathematiker Torelli
voller Bewunderung ihn einen «neuen Paulus» hiess. Trotzdem
soll Brunellesco so unscheinbar von Gestalt gewesen sein, dass
Papst Eugen IV, der sich einen Architekten ausgebeten, nicht
glauben konnte, er habe denjenigen vor sich, von welchem Cosimo
ihm schrieb, «er besitze den Mut, die Erde umzukehren».1)
Die Gesichtszüge des gewaltigen, gern hilfreichen, stets auf
neue Erfindungen sinnenden Mannes sind uns äusser dem Porträt
bei Vasari, durch das im Dom zu Florenz von seinem Adoptivsohne
Andrea Cavalcanti, genannt il Buggiano, ausgeführte Denkmal auf uns
gekommen und erhalten durch die in der Opera del Duomo befindliche
Totenmaske eine kraftvolle Bestätigung. Einen Lichtdruck nach
dem Werke des Buggiano geben wir zu Anfang dieses Kapitels.
Die vorhergehenden Betrachtungen dürften hinreichen, um
das nun folgende Studium der einzelnen Werke Filippos zu erleich-
tern. Die aus demselben abgeleiteten einzelnen Schlüsse werden
dann sicherer zu einem lehrreicheren und klareren Gesamtergebnis
führen, als wenn wir uns jetzt schon über diese oder jene Frage
auf weitere Betrachtungen einlassen wollten. Es schien uns in
diesem Falle besonders wichtig, soviel als möglich auch auf die
bedeutenden Charaktereigenschaften Filippos hinzuweisen, weil diese
mit eine unerlässliche Grundbedingung zu jeder wirklich grossen
künstlerischen Thätigkeit sind. Am allerwenigsten wäre eine so
tiefeingreifende, epochemachende, wie die Filippo di ser Brunellesco’s
war, ohne solche denkbar.
Fig. i. WAPPEN DER FAMILIE PAZZI.
PALAZZO PAZZI IN FLORENZ
(später QUARATESI genannt’2)
STICHE NACH DEN ZEICHNUNGEN PAUL HENTSCHELS
AUMEISTER. Die Überlieferung bezeichnet Filippo
di ser Brunellesco als Architekten dieses Palastes,
der die südliche Ecke des Borgo degli Albizzi und
der Via del Proconsolo bildet, welche il Canto dei Pazzi heisst.
Eine dokumentarische Bestätigung ist hierfür bis jetzt allerdings
nicht bekannt, dürfte aber im gegenwärtigen Falle kaum nötig
sein. Der Umstand, dass Filippo für den Erbauer dieses Palastes,
Messere Andrea, die herrliche Cappella Pazzi bei Sa. Croce
errichtete, ist hier von grosser Wichtigkeit. Dann ist der
Charakter der Architektur ein hinreichend früher, um von einem
Meister herrühren zu müssen, der Brunellesco nicht viel überlebt
haben könnte, die künstlerischen Eigenschaften derselben sind
aber so hervorragend, die Harmonie aller Teile eine so feine,
dass wir unter den Zeitgenossen Filippos auf keinen anderen
als auf ihn — und unter späteren Florentiner Meistern allen-
falls nur auf das beträchtlich später wirkende Brüderpar der da
Majano raten möchten. Allerdings offenbart sich im Hofe des
Palazzo Pazzi eine selbst unter den Werken Filippos einzige
Flüssigkeit der Formen, ein so edles Zusammenpassen und Sich-
entwickeln aller Einzelformen, namentlich an den Säulen, dass
man schon an die Reife des Bramante’schen Zeitalters zu grenzen
glaubt. So lange wir nicht wussten, dass für die Autorschaft
Brunellesco’s keine dokumentarischen Belege vorhanden, sahen wir
hierin beinahe das höchste Zeugnis der reichen künstlerischen
Entwicklung des Vaters der modernen Architektur. Die ausser-
ordentliche Begabung Filippos und unbekannte Umstände, welche
dem früheren Bildhauer und Goldschmied vielleicht gestatteten, den
einzelnen I eilen dieses Palastes eine grössere Aufmerksamkeit zu
schenken, schienen uns jedoch hinreichend, um diese Eigenschaften
zu erklären, ohne auf einen späteren Meister raten zu müssen. Ja, die
Behandlung der Schwänze und Flossen der Delphine an den Kapitalen
des Hofes und im Wappen über der Thür der Pazzi-Capelle (s. Fig. i)
ist eine so eigentümlich charakteristische, dass man an gleichzeitige
Arbeiten eines selben Meisters zu denken, beinahe gezwungen ist.
i) Bocchi: le Bellezze di Firenze, bei Vasari IL p. 378. n. 2.
2) Mit teilweiser Benutzung der von H. Kurr gesammelten Notizen.
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in ihm den Wunsch, ihre «musikalischen Gesetze», die Technik
und die Mittel, welche bei ihrer Herstellung befolgt worden, immer
mehr zu ergründen. Zu letzterem Verständnis waren die mechani-
schen Kenntnisse, die er früher in der Anfertigung von Uhren
und eines Weckers erprobt hatte, von grosser Hilfe. Die Gründ-
lichkeit dieser architektonischen Studien hielt er jedoch vor Donatello
verborgen, mit dem er sich begnügte, die Hauptmasse der Gebäude
aufzunehmen, und der früher nach Florenz zurückkehrte. In seiner
Heimat schon hatte zwar Filippo Gelegenheit gehabt, als Architekt
kleinere Arbeiten vorzunehmen, und soll u. a. auch der noch vor-
handene Turm der Villa Petraia bei Florenz im wesentlichen
sein Werk sein. «Bei diesen Arbeiten», schreibt Manetti, «gebrauchte
«er weder die Technik noch die Formen, die er nach seinem
«Studium der römischen Bauwerke anwandte, da letztere ihm noch
«unbekannt waren. Erst sein langjähriges Studium in Rom, bei
«welchem er stets zwei Dinge vor Augen zu haben schien: die Er-
«neuerung der Architektur und die Wölbung der Florentiner
«Domkuppel, machten aus Filippo di ser Brunellesco den Architekten,
«als welchen wir ihn in seinen vorhandenen Werken kennen lernen».
Zu den technischen Verbesserungen, die er aus dem Studium
der alten Bauwerke wieder in Florenz einführte, gehört der Gebrauch
der Steinzangen beim Versetzen der Blöcke und in gewissen Fällen
die Verbindung dieser untereinander mittels schwalbenschwanz-
geformter Zapfen.
Brunellesco besass einen ungemein scharfen Verstand; im
Gespräch war er unerschöpflich erfindungsreich und bündig in
seinen Schlüssen. An Streitfragen über Dante und die heilige
Schrift nahm er so lebhaften Anteil und erwarb sich dadurch und
mit Hilfe seines guten Gedächtnisses eine Beweisführung von so
zwingender Notwendigkeit, dass der berühmte Mathematiker Torelli
voller Bewunderung ihn einen «neuen Paulus» hiess. Trotzdem
soll Brunellesco so unscheinbar von Gestalt gewesen sein, dass
Papst Eugen IV, der sich einen Architekten ausgebeten, nicht
glauben konnte, er habe denjenigen vor sich, von welchem Cosimo
ihm schrieb, «er besitze den Mut, die Erde umzukehren».1)
Die Gesichtszüge des gewaltigen, gern hilfreichen, stets auf
neue Erfindungen sinnenden Mannes sind uns äusser dem Porträt
bei Vasari, durch das im Dom zu Florenz von seinem Adoptivsohne
Andrea Cavalcanti, genannt il Buggiano, ausgeführte Denkmal auf uns
gekommen und erhalten durch die in der Opera del Duomo befindliche
Totenmaske eine kraftvolle Bestätigung. Einen Lichtdruck nach
dem Werke des Buggiano geben wir zu Anfang dieses Kapitels.
Die vorhergehenden Betrachtungen dürften hinreichen, um
das nun folgende Studium der einzelnen Werke Filippos zu erleich-
tern. Die aus demselben abgeleiteten einzelnen Schlüsse werden
dann sicherer zu einem lehrreicheren und klareren Gesamtergebnis
führen, als wenn wir uns jetzt schon über diese oder jene Frage
auf weitere Betrachtungen einlassen wollten. Es schien uns in
diesem Falle besonders wichtig, soviel als möglich auch auf die
bedeutenden Charaktereigenschaften Filippos hinzuweisen, weil diese
mit eine unerlässliche Grundbedingung zu jeder wirklich grossen
künstlerischen Thätigkeit sind. Am allerwenigsten wäre eine so
tiefeingreifende, epochemachende, wie die Filippo di ser Brunellesco’s
war, ohne solche denkbar.
Fig. i. WAPPEN DER FAMILIE PAZZI.
PALAZZO PAZZI IN FLORENZ
(später QUARATESI genannt’2)
STICHE NACH DEN ZEICHNUNGEN PAUL HENTSCHELS
AUMEISTER. Die Überlieferung bezeichnet Filippo
di ser Brunellesco als Architekten dieses Palastes,
der die südliche Ecke des Borgo degli Albizzi und
der Via del Proconsolo bildet, welche il Canto dei Pazzi heisst.
Eine dokumentarische Bestätigung ist hierfür bis jetzt allerdings
nicht bekannt, dürfte aber im gegenwärtigen Falle kaum nötig
sein. Der Umstand, dass Filippo für den Erbauer dieses Palastes,
Messere Andrea, die herrliche Cappella Pazzi bei Sa. Croce
errichtete, ist hier von grosser Wichtigkeit. Dann ist der
Charakter der Architektur ein hinreichend früher, um von einem
Meister herrühren zu müssen, der Brunellesco nicht viel überlebt
haben könnte, die künstlerischen Eigenschaften derselben sind
aber so hervorragend, die Harmonie aller Teile eine so feine,
dass wir unter den Zeitgenossen Filippos auf keinen anderen
als auf ihn — und unter späteren Florentiner Meistern allen-
falls nur auf das beträchtlich später wirkende Brüderpar der da
Majano raten möchten. Allerdings offenbart sich im Hofe des
Palazzo Pazzi eine selbst unter den Werken Filippos einzige
Flüssigkeit der Formen, ein so edles Zusammenpassen und Sich-
entwickeln aller Einzelformen, namentlich an den Säulen, dass
man schon an die Reife des Bramante’schen Zeitalters zu grenzen
glaubt. So lange wir nicht wussten, dass für die Autorschaft
Brunellesco’s keine dokumentarischen Belege vorhanden, sahen wir
hierin beinahe das höchste Zeugnis der reichen künstlerischen
Entwicklung des Vaters der modernen Architektur. Die ausser-
ordentliche Begabung Filippos und unbekannte Umstände, welche
dem früheren Bildhauer und Goldschmied vielleicht gestatteten, den
einzelnen I eilen dieses Palastes eine grössere Aufmerksamkeit zu
schenken, schienen uns jedoch hinreichend, um diese Eigenschaften
zu erklären, ohne auf einen späteren Meister raten zu müssen. Ja, die
Behandlung der Schwänze und Flossen der Delphine an den Kapitalen
des Hofes und im Wappen über der Thür der Pazzi-Capelle (s. Fig. i)
ist eine so eigentümlich charakteristische, dass man an gleichzeitige
Arbeiten eines selben Meisters zu denken, beinahe gezwungen ist.
i) Bocchi: le Bellezze di Firenze, bei Vasari IL p. 378. n. 2.
2) Mit teilweiser Benutzung der von H. Kurr gesammelten Notizen.
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