FILIPPO DI SER BRUNELLESCO
Wie dies möglich gewesen, ist ein Wunder, zu dem
Brunellesco allein den Schlüssel hat. Dass aber dies während
drei Jahrhunderten stets in den Formen Brunellescos geschah,
ist — wenn man an die Schicksale des Vatikans, des Louvres
und der Tuilerien denkt — ein neues psychologisches Wunder
wie es Florenz allein aufzuweisen hat! Dafür verdienen die
Fürsten aus den Häusern Medici und Lothringen, nicht minder
als ihre Architekten1), den ewigen Dank der Nachwelt!
Mysteriös, durch Jahrhunderte hindurch sich schlingend,
knüpft hier ein geheimnisvolles geschichtliches Band weitentfernte
Erscheinungen aufs engste zusammen. Nämlich, einerseits die
Rolle des Florentinischen Geistes in der Wiedergeburt der Kunst,
in dem Erwachen moderner Kultur, andererseits zwei politische
Ereignisse aus der Geschichte Europas und der Wiedergeburt
Italiens, die vom Palazzo Pitti ausgegangen sind: Von hier
aus bestieg im vorigen Jahrhundert, nordwärts ziehend, das
Haus Lothringen den Thron der römischen Kaiser deutscher
Nation, und in diesen Mauern wurde während eines Besuchs
seiner Mutter, Italiens erster König, Victor Emanuel, geboren!
Von diesem Palast, später zu seiner Residenz geworden, zog
er südwärts nach Rom. Nach tausendjährigem Ringen sollte der
in diesen Mauern geborene König die Freiheit Italiens erkämpfen,
und die Geschicke seines wiedergeborenen Volkes vollbringen!
Schwerlich hat Macchiavelli trotz seines sprichwörtlich ge-
wordenen politischen Sinnes eine so glänzende Zukunft voraus-
gesehen , als er schon die ursprüngliche bei weitem kleinere
Fassade des von Luca Pitti errichteten Palastes besprechend,
diesen Superbo e regio nannte! Das hatte er sofort erkannt,
dass hier ein Königsbau entstanden sei!
Von welchem Geiste getragen konnte wohl ein Privat-
mann einen solchen Gedanken fassen? Von welcher Kunst
getragen konnte Brunellesco einen Bau ersinnen, dessen
Formen gewaltig genug waren, um statt bei jeder neuen
Vergrösserung mehr und mehr erstickt zu werden, stets
neue Majestät gewannen? Hier gilt es zu sagen: der Geist
weht wohin er will.
Wen soll man aber mehr bewundern, Bauherrn oder
Architekten? Vereint haben sie ein Werk geschaffen, das durch
geistigen Inhalt und künstlerischen Schwung höher steht als alle
übrigen Bauten Brunellescos und der Mediceer zusammen.
Luca Pitti konnte einen königlichen Bau errichten, weil
in ihm etwas wenigstens von jenem Florentiner Geiste wehte,
dem die Welt Dante, Brunellesco selbst und Michelangelo
verdankte: Stolzer Freiheitssinn, unbeugsamer Wille, den keine
Macht auf Erden zum weichen bringt — weder Papst noch
Pöbel! Noch nie wurde in einem Werk der Architektur
das gegen fremde Übergriffe stolz Abwehrende deutlicher aus-
gedrückt als hier.
Und doch wiederum auf keinem Bau der Erde sind die
Rechte auch nur des kleinsten Gliedes vollständiger ausgedrückt!
Nicht ein Stein in der ganzen Front ohne seine eigene Bosse,
umgrenzt vom Meisselschlag wie mit einem Habeas Corpus,
dem nicht seine volle Individualität belassen. Daher willig ge-
fügt, durch die majestätischen Verhältnisse schön geregelter Ord-
nung, in Reih und Glied und Bogen, lagern die Steine Felsen
gleich um so fester, jeder als lebendiges Glied des Ganzen.
Ein Palast, zugleich Sinnbild der Alles vereinigenden, aber
das Einzelne nicht erdrückenden Macht.
SCHLUSSBETRACHTUNG UND NACHTRAG.
M Ende der Einleitung zu der Monographie Brunel-
lescos sowohl wie gelegentlich des Palazzo Pazzi2)
hatten wir auf die Schlüsse, die wir am Ende dieser
Studie und als Ergebnisse derselben über Brunellesco zu geben
können hofften, hingewiesen. Hierzu wäre es nötig gewesen,
ein oder zweimal die Gesamtwerke Filippos einer neuen prüfenden
Übersicht zu unterwerfen, und dieselben mit den Werken derjenigen
Meister zu vergleichen, deren Thätigkeit ganz oder teilweise zwischen
die Jahre 1440 und 1470 fällt. Der Umstand jedoch, dass
ein beträchtlicher Teil des Textes anderen Händen anvertraut
wurde, hat mir die Gelegenheit genommen diese beabsichtigten
Vergleiche vornehmen zu können.
Indem ich die Leser um Verzeihung bitte, dass es mir
nicht besser geglückt ist, die nun schon vor acht Jahren gemachten
Versprechen zu halten, gebe ich der Hoffnung Ausdruck, sie mögen
einerseits in der Arbeit, die Herr von Fabriczy soeben über Brunel-
lesco veröffentlicht hat, einige Ergänzungen, und anderseits in
dem Texte meiner Nachfolger, in diesem Werke und namentlich
im Gesamtüberblick am Schluss desselben, die Antwort auf alle
Fragen finden, die am Beginn dieser Arbeit durch meine Feder
versprochen wurden. Ich beschränke mich auf die Andeutung
folgender Punkte:
Ultima maniera brunellescos und pa-
LAZZO PAZZI. Es ist mir nicht geglückt festzustellen, ob
in dem Stile Brunellescos eine Entwicklung stattgefunden hat, die
vergleichbar wäre mit derjenigen, die wir bei Bramante als dessen
Ultima Maniera bezeichnet haben3), eine Maniera, die nicht
nur die Vorbilder für einen Teil der Fortschritte, die wir in den
Werken der Meister der folgenden Generation, welche ich als die
Periode Abertis und Desiderios zu bezeichnen versucht bin, ent-
1) Herzog Cosimo I. kaufte den Palast im Namen seiner Gattin Eleonore von
Toledo am 3. Febr. 1549 von Buonaccorso di Luca Pitti. Ammanati, gestorben 1592,
baute den Hof. Nach 1620 wurden zu jeder Seite des Mittelbaues drei Fenster und die
niedrigeren Teile der Fassade von Giulio Parigi begonnen, vollendet von seinem Sohne
Alfonso. Die vorspringenden Flügel mit Arkaden entstammen einer noch viel späteren
Zeit. Der links vom Beschauer wurde 1764 von Franz L, der rechts 1783 von Pietro
Leopoldo, durch Ruggieri begonnen. Im Jahre 1640 hing der Mittelbau des
Palastes L/8 braccio über und wurde von Alfonso Parigi mittelst Ankern wieder
ins Lot gebracht.
2) Seite 3 und 4.
3) The School of Bramante; Transactions of the Royal Institute of British
Architects, vol. VII. N. S. London 1891. S. 93 ff.
66
Wie dies möglich gewesen, ist ein Wunder, zu dem
Brunellesco allein den Schlüssel hat. Dass aber dies während
drei Jahrhunderten stets in den Formen Brunellescos geschah,
ist — wenn man an die Schicksale des Vatikans, des Louvres
und der Tuilerien denkt — ein neues psychologisches Wunder
wie es Florenz allein aufzuweisen hat! Dafür verdienen die
Fürsten aus den Häusern Medici und Lothringen, nicht minder
als ihre Architekten1), den ewigen Dank der Nachwelt!
Mysteriös, durch Jahrhunderte hindurch sich schlingend,
knüpft hier ein geheimnisvolles geschichtliches Band weitentfernte
Erscheinungen aufs engste zusammen. Nämlich, einerseits die
Rolle des Florentinischen Geistes in der Wiedergeburt der Kunst,
in dem Erwachen moderner Kultur, andererseits zwei politische
Ereignisse aus der Geschichte Europas und der Wiedergeburt
Italiens, die vom Palazzo Pitti ausgegangen sind: Von hier
aus bestieg im vorigen Jahrhundert, nordwärts ziehend, das
Haus Lothringen den Thron der römischen Kaiser deutscher
Nation, und in diesen Mauern wurde während eines Besuchs
seiner Mutter, Italiens erster König, Victor Emanuel, geboren!
Von diesem Palast, später zu seiner Residenz geworden, zog
er südwärts nach Rom. Nach tausendjährigem Ringen sollte der
in diesen Mauern geborene König die Freiheit Italiens erkämpfen,
und die Geschicke seines wiedergeborenen Volkes vollbringen!
Schwerlich hat Macchiavelli trotz seines sprichwörtlich ge-
wordenen politischen Sinnes eine so glänzende Zukunft voraus-
gesehen , als er schon die ursprüngliche bei weitem kleinere
Fassade des von Luca Pitti errichteten Palastes besprechend,
diesen Superbo e regio nannte! Das hatte er sofort erkannt,
dass hier ein Königsbau entstanden sei!
Von welchem Geiste getragen konnte wohl ein Privat-
mann einen solchen Gedanken fassen? Von welcher Kunst
getragen konnte Brunellesco einen Bau ersinnen, dessen
Formen gewaltig genug waren, um statt bei jeder neuen
Vergrösserung mehr und mehr erstickt zu werden, stets
neue Majestät gewannen? Hier gilt es zu sagen: der Geist
weht wohin er will.
Wen soll man aber mehr bewundern, Bauherrn oder
Architekten? Vereint haben sie ein Werk geschaffen, das durch
geistigen Inhalt und künstlerischen Schwung höher steht als alle
übrigen Bauten Brunellescos und der Mediceer zusammen.
Luca Pitti konnte einen königlichen Bau errichten, weil
in ihm etwas wenigstens von jenem Florentiner Geiste wehte,
dem die Welt Dante, Brunellesco selbst und Michelangelo
verdankte: Stolzer Freiheitssinn, unbeugsamer Wille, den keine
Macht auf Erden zum weichen bringt — weder Papst noch
Pöbel! Noch nie wurde in einem Werk der Architektur
das gegen fremde Übergriffe stolz Abwehrende deutlicher aus-
gedrückt als hier.
Und doch wiederum auf keinem Bau der Erde sind die
Rechte auch nur des kleinsten Gliedes vollständiger ausgedrückt!
Nicht ein Stein in der ganzen Front ohne seine eigene Bosse,
umgrenzt vom Meisselschlag wie mit einem Habeas Corpus,
dem nicht seine volle Individualität belassen. Daher willig ge-
fügt, durch die majestätischen Verhältnisse schön geregelter Ord-
nung, in Reih und Glied und Bogen, lagern die Steine Felsen
gleich um so fester, jeder als lebendiges Glied des Ganzen.
Ein Palast, zugleich Sinnbild der Alles vereinigenden, aber
das Einzelne nicht erdrückenden Macht.
SCHLUSSBETRACHTUNG UND NACHTRAG.
M Ende der Einleitung zu der Monographie Brunel-
lescos sowohl wie gelegentlich des Palazzo Pazzi2)
hatten wir auf die Schlüsse, die wir am Ende dieser
Studie und als Ergebnisse derselben über Brunellesco zu geben
können hofften, hingewiesen. Hierzu wäre es nötig gewesen,
ein oder zweimal die Gesamtwerke Filippos einer neuen prüfenden
Übersicht zu unterwerfen, und dieselben mit den Werken derjenigen
Meister zu vergleichen, deren Thätigkeit ganz oder teilweise zwischen
die Jahre 1440 und 1470 fällt. Der Umstand jedoch, dass
ein beträchtlicher Teil des Textes anderen Händen anvertraut
wurde, hat mir die Gelegenheit genommen diese beabsichtigten
Vergleiche vornehmen zu können.
Indem ich die Leser um Verzeihung bitte, dass es mir
nicht besser geglückt ist, die nun schon vor acht Jahren gemachten
Versprechen zu halten, gebe ich der Hoffnung Ausdruck, sie mögen
einerseits in der Arbeit, die Herr von Fabriczy soeben über Brunel-
lesco veröffentlicht hat, einige Ergänzungen, und anderseits in
dem Texte meiner Nachfolger, in diesem Werke und namentlich
im Gesamtüberblick am Schluss desselben, die Antwort auf alle
Fragen finden, die am Beginn dieser Arbeit durch meine Feder
versprochen wurden. Ich beschränke mich auf die Andeutung
folgender Punkte:
Ultima maniera brunellescos und pa-
LAZZO PAZZI. Es ist mir nicht geglückt festzustellen, ob
in dem Stile Brunellescos eine Entwicklung stattgefunden hat, die
vergleichbar wäre mit derjenigen, die wir bei Bramante als dessen
Ultima Maniera bezeichnet haben3), eine Maniera, die nicht
nur die Vorbilder für einen Teil der Fortschritte, die wir in den
Werken der Meister der folgenden Generation, welche ich als die
Periode Abertis und Desiderios zu bezeichnen versucht bin, ent-
1) Herzog Cosimo I. kaufte den Palast im Namen seiner Gattin Eleonore von
Toledo am 3. Febr. 1549 von Buonaccorso di Luca Pitti. Ammanati, gestorben 1592,
baute den Hof. Nach 1620 wurden zu jeder Seite des Mittelbaues drei Fenster und die
niedrigeren Teile der Fassade von Giulio Parigi begonnen, vollendet von seinem Sohne
Alfonso. Die vorspringenden Flügel mit Arkaden entstammen einer noch viel späteren
Zeit. Der links vom Beschauer wurde 1764 von Franz L, der rechts 1783 von Pietro
Leopoldo, durch Ruggieri begonnen. Im Jahre 1640 hing der Mittelbau des
Palastes L/8 braccio über und wurde von Alfonso Parigi mittelst Ankern wieder
ins Lot gebracht.
2) Seite 3 und 4.
3) The School of Bramante; Transactions of the Royal Institute of British
Architects, vol. VII. N. S. London 1891. S. 93 ff.
66