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Stegmann, Carl von [Editor]; Geymüller, Heinrich von [Editor]
Die Architektur der Renaissance in Toscana: dargestellt in den hervorragendsten Kirchen, Palästen, Villen und Monumenten nach den Aufnahmen der Gesellschaft San Giorgio in Florenz; nach Meistern und Gegenständen geordnet (Band 1): Filippo di Ser Brunellesco — München: Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., 1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.53653#0042
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FILIPPO DI SER BRUNELLESCO

damals die Zeit, dem Vorkommen weiter nachzugehen und auch
spätere Besuche der Kirche liessen nicht die nahe liegende Ver-
mutung entstehen, dass die Kapellen früher nach aussen rund waren.»
«Erst im vorigen Jahre kam bei einer genaueren Betrach-
tung des äusseren Mauerwerks diese Vermutung zum Durch-
bruch und gab Anlass, eingehendere Untersuchungen nach dieser
Richtung anzustellen. Diese hatten zunächst das Ergebnis, die
Hohlräume zwischen den Kapellennischen aufzufinden. Einzelne
dieser Hohlräume, z. B. jener in der Grundrissskizze — siehe
hier Fig. i — mit a bezeichnete, fanden sich durch kleine Thüren
vom Inneren der Kirche aus zugänglich und die hier, mit Hilfe
von Kerzenlicht, angestellten Prüfungen der Mauern ergaben, dass
die Nischenmauern älter und nach aussen sauberer ausgeführt
waren als das geradlinige Stück, welches den Hohlraum nach
aussen abschliesst. Es fand sich aber auch das alte, der Nischen-
form folgende, Sockelsims mit einem Profil, welches ganz der
Profilierungsweise Brunellescos entsprach. Ebenso fand sich das
oben abschliessende Sims noch in einzelnen Teilen erhalten mit
einer ebenfalls Brunellesco entsprechenden Profilierung. Das Sockel-
sims zeigt die Bankform und einen stumpfen derben Karnies als
Unterglied. Aber auch die Merkmale für die ursprüngliche äussere
Abdeckung der Halbkuppeln der Kapellen sind unter dem jetzigen
Pultdach noch teilweise vorhanden und lassen auf eine Art Kegel-
dach schliessen. Diese Dachform entspräche auch jener, welche
Brunellesco angewendet hat bei den halbkreisförmigen Ausbauten
am Tambour der Domkuppel. . . . Das Kegeldach muss so an-
genommen werden, dass eine Ziegelabdeckung unmittelbar auf der
kleinen Halbkugel auf lag, nur an einzelnen Stellen untermauert.»
«Es ist der Grund der Umänderung wohl schwerlich mehr
festzustellen; vielleicht waren es neben praktischen Gesichtspunkten
auch ästhetische, welche diese Umgestaltung herbeiführten. Zu
Brunellescos Zeit hat die Veränderung nicht stattgefunden, da
sowohl die Geschichte des Baues, soweit dieselbe bekannt ist, als
auch die vollständig veränderte Profilierung der Simse an den
geraden Abschlusswänden dagegen sprechen. Jedenfalls hat einer
der Architekten, welche nach Brunellescos Tode und nach dem
Brande der Kirche den Aufbau leiteten und die auch einen grossen
Teil der inneren Profilierungen wesentlich umbildeten, hier seiner
subjektiven Neigungen Folge gegeben und vielleicht nicht mit
Unrecht. Die Profilierungen an den Fenstergewänden der Ka-
pellen und des Mittelschiffes entsprechen noch der Kunstweise
Brunellescos oder doch deren Nachahmungen.»
Schon im August 1887 hatte der Florentiner Architekt
E. Marcucci einen Restaurationsversuch des Brunellescoschen Planes
veröffentlicht, in welchem er die äussere Rundung der Kapellen
konstatiert — dagegen vermutet er, zwischen diesen und an den
Ecken des Baues, Strebemauern wie am Dom in Pavia, wo sie
für einen ganz durchgeführten Gewölbebau am Platze sind, hier
aber nicht vorhanden waren. Nachträglich, wie mir Herr von Steg-
mann mitteilt, fand es sich, dass das Bekrönungsgesims der runden
Kapellen auch an der geraden Mauer und um die Ecken herum-
lief; ein Simsstück hiervon wurde an der mit a bezeichneten
Stelle (Fig. 1) gefunden und gemessen. Auch die Neigung der

alten Kegeldächer konnte festgestellt werden. Im Schnitt der
Kirche, Fig. 2, an der Kapelle rechts ist die Lage des alten
Kranzgesimses und des alten Sockels punktiert gezeichnet und
sind diese Details ferner auf Bl. 19 dargestellt.
Wenn die Feststellung der Thatsache, dass die Rundung
jeder einzelnen kleinen Kapelle auch aussen wiederkehrte, für die
Absichten Brunellescos, und die Gestalt der Kirche von grossem
Interesse ist, so hat diese Entdeckung auf dem Gebiete der Kunst-
geschichte noch grösseren Wert. Nun erst wird es möglich,
den Einfluss, den Brunellesco durch diese Schöpfung ausgeübt,
zu ermessen und an Gebäuden nachzuweisen, wo man bis jetzt
nicht daran dachte ihn zu suchen. Man darf hier zunächst an eine
Anzahl Kirchen in Norditalien denken, unter jenen, wo die aussen
sichtbare Rundung zahlreicher kleiner Kapellen ein bezeichnendes
Merkmal ist, wie z. B. S. Giovanni zu Parma, die Carmine zu
Padua, S. Sepolcro in Piacenza, besonders aber der herrliche Dom
von Pavia, in welchem trotz der genialen Umänderungen manche
Verwandtschaft der Grundrisse jetzt noch erkennbar ist.
Aber auch in Entwürfen und Zeichnungen damaliger Zeit
ist der Einfluss dieser Kapellenbildung fühlbar; z. B. im Entwurf
Fra Giocondos für S. Vittore al Corpo in Mailand1) und wenn
man den Entwurf desselben Meisters für S. Peter betrachtet2), so
muss man, äusser an S. Marco in Venedig nicht nur an die alte
Kapellengestalt bei St0. Spirito denken, sondern auch an die späteren
geradlinigen Fluchten, durch welche diese Rundungen verdeckt
werden.
Endlich in jener Serie von Rundbauten Fra Giocondos,
die wir unter seinen Zeichnungen als Serie degli edifizi circolari
beschrieben haben, weisen mehrere eine Anzahl von kleinen halb-
runden Kapellen auf, deren Kuppeln aussen sichtbar und deren
Gesimse an den geraden Mauern weitergeführt sind. Ihr Charakter
erinnert lebhaft an den der Kapellen von St0. Spirito.3) Wir äusser-
ten die Ansicht, dass diese Serie nach einem älteren Meister, wie
z. B. Francesco di Giorgio kopiert sei. Später in unserem Buch
über Du Cerceau4), haben wir den Zusammenhang mancher Werke
dieses Künstlers mit Fra Giocondo und Bramante und zwar gerade
der Temples mit den Edifizi circolari betont, und die Möglichkeit
ausgesprochen, dass einige darunter auf Zeichnungen noch älterer
Meister, wie Rossellino und Alberti, zurückzuführen sein dürften.
Seitdem haben wir mehrere von denselben Kompositionen, welche
ebenfalls den Charakter von Kopien an sich tragen, unter Cronaca
zugeschriebenen Zeichnungen und im Fragment des Trattato dell'
Architettura des Bramante, das wir kürzlich entdeckt haben, wieder-
gefunden. Nun ist offenbar, dass diese Reihe von Zeichnungen,
welche das Interesse von Meistern wie Bramante, Fra Giocondo,
Francesco di Giorgio, Du Cerceau u. A. m. im vorgeschrittenen
Alter noch erregen konnte, eines besonderen Rufs geniessen
musste. Als deren vermutlicher Urheber gesellte sich jetzt zu
Alberti der grosse Name Brunellesco. Das zahlreiche Vorkommen
der kleinen aussen halbrunden Kapellen, wie die nun an St0. Spirito
entdeckten, gestattet vielleicht endlich den letzten Schritt zu thun,
und die Entscheidung mit Wahrscheinlichkeit zu Gunsten Brunellescos
eintreten zu lassen.

1) E. di Geymüller, Cento disegni di Fra Giocondo. Pag. 30.
2) Die ursprünglichen Entwürfe zu St. Peter. Bl. 41.

3) Siehe Cento disegni, op. cit. pag. 24. Es sind die Nummern 1688 u.
1688: 1697 und besonders die Basilika Nr. 1697.
4) Les Du Cerceau, leur vie, leur oeuvre, Paris 1887, pag. 115—117, 200.

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