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Badische Kunst: Jahrbuch d. Vereinigung Heimatliche Kunstpflege, Karlsruhe — 1.1903

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Schmitthenner, Adolf: Der erste Reiter: eine Geschichte aus uralter Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.52611#0016
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mich an ihren Leib. Sie aber hob das Haupt und sah in die Ferne.
Ich folgte ihrem Blick und schaute weit hinaus in die Heide. Und
von Ferne kam es heran wie stürmende Wolken, und der Boden zitterte
und dröhnte. Es waren Pferde, Pferde, unzählige; die Mähnen flatterten
und die Hufschläge donnerten, und es schnaubte und wieherte und
raste an mir vorüber. Die fliegenden Haare streiften ihren Leib und
mein Haupt. So jagten sie vorbei, und die Mutter sah ihnen nach und
deutete mit der Hand und lachte mich an und sagte zu mir: dort! dort!
Die Pferde jagten den Berg hinan und verschwanden hinter dem Gipfel.
Noch eines, ein letztes war zu schauen; das war hinter den andern zurück-
geblieben und brauste nun wie der Wind die Anhöhe hinauf. Da stieg die
Sonne hinter dem Berg empor, und das Pferd tauchte in ihre strahlende Glut,
und ich sah es nicht mehr. Aber auch die Mutter sah ich nimmer.
Es war finster und heiss in der Höhle, und du ächztest und stöhntest,
und auf einmal schrieest du. Nun weiss ich, warum die Mutter nimmer
da war: sie war an dein Lager hinübergeschritten, dir zu helfen, und
hat dich von der Gewalt des anderen gerettet.
Eine Weile schwiegen beide. Mitunter schaute der Sohn mit
scheuen Augen zu dem Vater hinüber.
Was willst du von mir?
Vater, wer hat die Mutter erschlagen?
Ich .... nicht, sagte der Vater leise. Ich glaube, dass es der
andere getan hat.
Der, den du erschlugst?
Ja. Er wollte sie mitnehmen. Sie war sein Weib gewesen, ehe
sie das meine wurde.
Der Sohn atmete beklommen.
Wie hast du sie gewonnen, Vater?
Ich habe sie ihm aus der Hütte geraubt.
Ging sie willig mit dir, Vater?
Sie hat geschrieen und geweint und mich gebissen. So trug ich sie
weit fort von ihrem Geschlecht und weit fort von dem meinen, hierher,
wo weit und breit keine Menschen sind. Fünf Tage war sie traurig
und wollte nicht essen und weinte viel, und ich musste sie hüten,
sonst wäre sie mir entlaufen. Am sechsten Tage ass sie und trank sie,
und am Abend lächelte sie; am anderen Morgen lachte sie, und als die
Sonne im Mittag stand, wurde sie mein Weib.

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