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landeinwärts in das Hügelgelände sieht, vor allem aber drängt sich im Vor-
dergründe die beleuchtete große Eichenbaumgruppe unserer Betrachtung auf,
in der das unglückliche Opfer der fürstlichen Zagdlust — wie aufhorchend, mit
langgestrecktem halse sitzt. Oie Art, wie sich hier die Hellen Zweige in phan-
tastischen Krümmungen von dem dunklen Grunde lösen, wie der ganze Baum
dadurch ein förmliches Gesicht gewinnt, und durch das teilweise Sich-Heraus-
heben und das teils wieder im Ounkel-Verschwinden das Geäst ein fast gespen-
stisches Aussehen annimmt, könnte bereits an die Stämme auf dem „Rübezahl"
Moritz von Schwind? erinnern, hier spüren wir wieder den unmittelbaren
hauch der nahenden Romantik, zu der die Genre-Episode aus dem uncien
re^ime im reizvollen Gegensatz steht. Rokoko und Romantik in friedlichem
Nebeneinander. Oie Menschen sind ja wohl die gleichen geblieben, aber die
Zeit der Taxushecken ist vorbei, die Vorliebe für den englischen park beginnt.
Man ist der französischen Spielerei müde. Oer hessische Landgraf, den wir
hier vor uns sehen, ist zwar — ein echter Kunstmäzen seines Jahrhunderts
— während einer Vorstellung im Theater gestorben, aber das Spiel, das er
so unmittelbar vor seinem Tode angehört, war keine Schäfermaskerade, keine
italienische hanswurstiade mit Harlekin und Lolombine und auch kein mytho-
logisches Stück von der Einschiffung nach Lgthera oder dem Liebesschmachten
einer Ariadne, man hatte an dem Abend, da der Landgraf in seiner Loge ver-
schied, den „Kaufmann von London" gegeben, die strenge Sittentragödie,
die Lessing zum Muster seiner Miß Sarah Sampson diente.
Seekah hat das Ende seines Fürsten nicht mehr erlebt. Er ist wenige Mo-
nate vor ihm gestorben und hat so jenen schroffen Wechsel im Ton, den der
Regierungsantritt des militärisch gesinnten Ludwigs IX. zur Folge hatte,
nicht mehr zu erfahren brauchen.
Aber auch jene Enttäuschung, daß man in der Stunde der Entscheidung,
als das Neue sich vom Alten loszulösen suchte, an der eigenen Kraft zweifelte
und die Norm der Antike zu Hilfe rief, ist ihm durch seinen frühen Tod erspart
geblieben.
Bamberger, I. C. Seekatz.
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landeinwärts in das Hügelgelände sieht, vor allem aber drängt sich im Vor-
dergründe die beleuchtete große Eichenbaumgruppe unserer Betrachtung auf,
in der das unglückliche Opfer der fürstlichen Zagdlust — wie aufhorchend, mit
langgestrecktem halse sitzt. Oie Art, wie sich hier die Hellen Zweige in phan-
tastischen Krümmungen von dem dunklen Grunde lösen, wie der ganze Baum
dadurch ein förmliches Gesicht gewinnt, und durch das teilweise Sich-Heraus-
heben und das teils wieder im Ounkel-Verschwinden das Geäst ein fast gespen-
stisches Aussehen annimmt, könnte bereits an die Stämme auf dem „Rübezahl"
Moritz von Schwind? erinnern, hier spüren wir wieder den unmittelbaren
hauch der nahenden Romantik, zu der die Genre-Episode aus dem uncien
re^ime im reizvollen Gegensatz steht. Rokoko und Romantik in friedlichem
Nebeneinander. Oie Menschen sind ja wohl die gleichen geblieben, aber die
Zeit der Taxushecken ist vorbei, die Vorliebe für den englischen park beginnt.
Man ist der französischen Spielerei müde. Oer hessische Landgraf, den wir
hier vor uns sehen, ist zwar — ein echter Kunstmäzen seines Jahrhunderts
— während einer Vorstellung im Theater gestorben, aber das Spiel, das er
so unmittelbar vor seinem Tode angehört, war keine Schäfermaskerade, keine
italienische hanswurstiade mit Harlekin und Lolombine und auch kein mytho-
logisches Stück von der Einschiffung nach Lgthera oder dem Liebesschmachten
einer Ariadne, man hatte an dem Abend, da der Landgraf in seiner Loge ver-
schied, den „Kaufmann von London" gegeben, die strenge Sittentragödie,
die Lessing zum Muster seiner Miß Sarah Sampson diente.
Seekah hat das Ende seines Fürsten nicht mehr erlebt. Er ist wenige Mo-
nate vor ihm gestorben und hat so jenen schroffen Wechsel im Ton, den der
Regierungsantritt des militärisch gesinnten Ludwigs IX. zur Folge hatte,
nicht mehr zu erfahren brauchen.
Aber auch jene Enttäuschung, daß man in der Stunde der Entscheidung,
als das Neue sich vom Alten loszulösen suchte, an der eigenen Kraft zweifelte
und die Norm der Antike zu Hilfe rief, ist ihm durch seinen frühen Tod erspart
geblieben.
Bamberger, I. C. Seekatz.
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