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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0188
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—sN 180 —




nehmen und

Mdcr-KätM.

Auslösting folqt im nächsten Heft.

meinem Gelds gespielt. Gleich auf der Stelle
holst Du mir die Uhr. Wart', Schlingel! ich
will Dir mit meinem Gelde spielen!"
Der strenge Befehl des Meisters ward wohl
von dem Lehrburschen, aber nicht von dessen
Mutter respektirt. Diese gab die Uhr nicht her-
aus. Der Schuhmacher aber begnügte sich da-
mit nicht, sondern rannte auf das Stadtgericht
und klagte. Die Wiener Polizei, berühmt ivegen

Auflösung des Lildcr-tläthscls im fünften Heft.
Nach qethaner Arbeit ist gut ruhen.

winne in Aussicht standen, l .
bestand in einer Staatskarosse mit zwei stattli-i dem Knieriemen aufzählte,
'chen, reichgeschirrten Meklenburgern,
Kutscher aus dem Bock und zwei
Livreebedientcn auf dem Wagen¬
tritt. Im Innern der Bude wa¬
ren werthvolle Bilder der vene-
tianischen Schule, Marmorvasen,
antike und moderne Statuen, sil¬
berne Schaalen, Trinkgefäße von
Muscheln und Korallen, in Gold
gefaßt, Schmucksachen aller Art,
Armbänder, Uhren, Ringe und
Schmuckkästchen mit allerhand Nip¬
pes und Niedlichkeiten ausgelegt
und aufgestellt. Zum Vertrieb der
Loose waren drei Wochen «erstat¬
tet worden. Die müßigen Spa¬
ziergänger des Congresses waren
die besten Abnehmer der Loose,
die sie an die Damen verschenkten,
mit Wunsch und Hoffnung, die
Nummer des großen Looses ihnen
verehrt zu haben. Am lebhaf¬
testen aber wurden Geschäft und
Gedränge am letzten Tage, an
welchem die Ziehung der Gewinne
geschehen mußte. Der Ausrufer
auf der einen Seite, auf der an¬
dern Seite ein Trompeter in phan¬
tastischer Kleidung, verkündeten,
daß nur noch zehn Loose unver¬
kauft geblieben seien, unter denen
jedenfalls das große Loos sich noch
befinden werde. Alles drängte sich
heran, um noch eines dieser Glücks-
loose zu erhalten, durch welchen
Schwindel es dem geriebenen Ita¬
liener gelang, noch mehrere Hun¬
dert Loose an den Mann zu bringen.
Ein Schusterjunge,- welchen sein Meister aus¬
geschickt hatte, um für einen Gulden Band zu
kaufen, war neugierig in dieses Gedränge ge-
rathen und so bis zum Eingänge der Bude vor¬
geschoben worden. Der Ausruf: „Für einen
einzigen Gulden Schein Wagen und Pferde,
Uhren, Ringe, Perlen, Geschmeide und alle Herr¬
lichkeiten der Welt gewinnen zu können," war für
das Ohr des Schusterbuben verlockender Sirenen¬
gesang, und ohne sich zu bedenken, kaufte er sich
für seinen Gulden ein Loos. Gleich darauf nahm
die Ziehung ihren Anfang. Und siehe! unter
den allerersten Treffern befand sich die Nummer
des Looses, für welches der Schusterbube, der
leichtsinnige Franz, den Gulden, den ihm sein
Meister zum Einkauf von Band anvertraut, da¬
rangesetzt hatte. „Nummer 2222 gewinnt eine
goldene Repetiruhr mit goldener Kette und sechs
Petschaften, an Werth 500 Gulden Münz!" —
Der Gewinn wird dem Glücklichen auch wirklich
gegen Abgabe des Looses eingehändigt, und un¬
ter dem Geleit einer jubelnden Straßenbrut zieht
Franz zunächst nach der Wohnung seiner armen
Mutter, um ihr sein Glück zu verkünden. Diese,
eine kluge Frau, leiht sich von der Frau Nach¬
barin sogleich einen Gulden und schickt damit
den Sohn nach dem Bandladen, um dem Meister
zu bringen, wonach er ihn ausgeschickt.
Unterdessen waren aber mehrere Stunden
vergangen, und die Kunde von dem Glück des
Lehrburschen war bereits bis in das Kabinet
des Kaisers, aber auch bis in die Werkstatt des
Schustermeisters gedrungen, welcher den guten
Franz, der ihm fast athemlos rknd mit freude¬
strahlendem Gesicht sein Glück verkündigte, mit

Das große Loos ! Scheltworten empfing und den Glückwunsch mit ihres kurzen Verfahrens, nahm vorläufig die Uhr
' '"s'"'"'. „Die Uhr gehört j in Beschlag und führte den Burschen in's Ge-
galonirtem mein!" rief der Meister; „denn Du hast mitifüngniß. Dadurch erhitzten sich die Gemüther
aber nur noch mehr. Auf offenem
Markte, in allen Werkstätten und
Läden, ebenso in allen Salons,
selbst au den Tafeln des Con-
gresses hörte man von nichts An-
derem sprechen, als von dem glück-
lich-unglücklichen Schusterburschen
und von dem Ausgange des son-
derbaren Prozesses. „Wem wird
wohl die Uhr zugesprochen wer-
den? Dem.Meister, mit dessen Geld
sie gewonnen wurde, oder dem
Lehrling, welcher durch Verun-
treuung des ihm anvertrauten Gul-
den in ihren Besitz gelangte?"
Die Neugierde wegen Wiederher-
stellung Polens und wegen Thei-
lung Sachsens trat ganz in den
Hintergrund, so lange der Prozeß
des armen Franz noch unentschie-
den schwebte. Einige Damen der
höchsten Kreise wollten sogar den
Kaiser Franz bestimmen, zu Gun-
sten seines Namensvetters einen
Machtspruch zu thun, allein der
gestrenge Monarch erklärte, mit Be-
rufung auf seinen Wahlspruch:
.justitia tünclruuoutum reZnorum
(die Gerechtigkeit ist der Grund-
stein der Reiche), „Bei uns muß
halt die Justiz ihren Laus haben!"
— Die schöne und unternehmende
Herzogin von Sagan bedauerte,
daß dieser interessante Prozeß nicht
öffentlich verhandelt werde, wobei
sie dann die Rolle der Porzia über-
nehmen und die Verteidigung des Beklagten
als verkleideter Rechtsanwalt führen würde.
Bei uns muß halt die Justiz ihren Laus
haben!" hatte der Kaiser gesagt, und sie hatte
auch halt wirklich ihren Lauf. Von dem hoch-
weisen Magistrats-Kollegium wurde endlich die
Sentenz bestätigt, welche dahin lautete: Der Lehr-
ling Franz wird vor die Glücksbude aus den
Graben geführt und erhält daselbst fünfundzwan-
zig Ruthenstreiche. Die Uhr verbleibt ihm und
der Meister hat nur Anspruch auf die Wieder-
erstattung des Gulden.
Unter großem Zulauf der Straßenjugend
wurde diese Sentenz vollzogen, denn die Justiz
mußte halt ihren Lauf haben. Die Fenster der
in der Nähe des Gerichtsplatzes gelegenen Häu-
ser waren um theuren Preis vermiethet und mit
der eleganten Damenwelt besetzt. Zu Gunsten
der schönen Zuschauerinnen hatte die galante Po-
lizei jedoch verordnet, daß der junge Malifikant
nach Empfang der ersten Hälfte der Streiche mit
dem Rücken nach der entgegengesetzten Häuser-
reihe gewendet werde, damit die Zuschauerinnen
auf jener Seite nicht um ihr theuer erkauftes
Vergnügen gebracht würden.
Nachdem der glückliche Franz seine Hiebe
weg hatte und dadurch in den vollgültigen recht-
lichen Besitz seiner goldenen Repetiruhr nebst
goldener Kette und Petschaften öffentlich einge-
setzt war, beruhigten sich die erregten Congreß-
Gemüther, nicht wenig gehoben von dieser ge-
lungenen Illustrativ,) der großen Idee: „Die
Justiz muß'halt ihren Laus haben!"
 
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