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2

DasBmhfüvWlir

Besll

rode bei sich oder um sich zu sehen, konnte er noch ein ganzes
Lebensalter genießen. Wenigstens in den ersten Tagen wünschte er
ein vollkommen freier und unabhängiger Mann zu sein. Umständlich
steckte er sich eine Zigarre an und erhob sich.
Er begann einen Nundgang um den in der Zimmermitte stehen-
den Tisch zu machen und redete laut mit sich selbst: „Das hätte meiner
lieben Base Negine so passen können, mir gleich während der ersten
zehn Minuten ins Haus zu schneien und den Allerweltsbesserwisser
zu spielen! Sie fing ja schon bei der Beerdigung an, mir tausend
gute Ratschläge zu geben und sich ungebeten als mein Vormund
aufzuspielen. Alle Hochachtung vor ihrer wirtschaftlichen Tüchtigkeit!
In Grinderode, wo sie seit langen Jahren Mutterstelle an meinem
Neffen Hans-Albrecht und meinem Patennichtchen vertreten hat,
macht sie anscheinend wirklich alles vortrefflich, und kein Mann hätte
die Wirtschaft besser zu führen verstanden — aber daß mir einer in
meinen Kram 'reinredet, das hab' ich nie geliebt."
Der Major blies ein paar starke Rauchwolken vor sich hin und
fuhr fort: „Gleich ihre ersten, neugierigen — oder sagen wir, da
sich's um 'ne Dame handelt, wißbegierigen Fragen machten mich
seekrank. Diese, milde gesagt, höchst merkwürdige Anteilnahme, ob
ich meine ,liebe Kölschen/ als Wixtschaftsdame behalten würde, war
entschieden verdächtig. Und ihre zarten Anspielungen, daß ich es doch
den Kreisen der Nachbarschaft schuldig sei, mir hier das Leben ganz
anders einzurichten als in München, das war beinahe taktlos. Sie
verbesserte sich zwar schnell und sagte so was wie von der unbedingten
Notwendigkeit einer größeren Lebensführung — aber ich kenne sie
doch, die gute Base Negine; feine Witterung hat sie ja schon immer
gehabt. Sollte mich darum auch gar nicht besonders wundernehmen,
wenn ihr irgend ein günstiger Wind leise zugefächelt hätte, daß ich
mich wegen Ursel Kölsch mit ganz besonderen Absichten trage, an
denen die Herrlichkeit, jetzt als Besitzer in diese abgelegenen Wald-
schluchten verschlagen zu sein, nicht das geringste ändern soll."
„Bestimmt nicht!" wiederholte er vor dem Kamin stehen bleibend.
„Zehn Jahre saß ich als Pensionist in München und brachte es nicht
zu dem großen Entschluß, weil sich immer wieder tausenderlei
Bedenken einstellten, weil ich vor lauter Rücksichten nie dazu kam,
entschlossen zu sagen: so und nicht anders wird das gemacht.
Jetzt, da ich Herr aus eigenem Grund und Boden bin und mich die
Eisenbahn hundert Kilometer von allen gesellschaftlichen Verpflich-
tungen trennt, die der Verkehr mit meinem alten, lieben Regiment
nun einmal mit sich brachte, jetzt soll ich hier das feige Spiel von
neuem beginnen? Soll mir neue gesellschaftliche Daumenschrauben
anlegen, mich freiwillig ins Geschirre spannen lassen? Nicht um
einen Wald von Affen!"
Das Helle Licht der Geweihkrone fiel auf den langen Pfeiler-
spiegel. Heinrich v. Queri warf seinem Spiegelbild einen wüten-
den Blick zu, der aber von Rechts wegen nicht ihm, sondern seiner
Base Negine v. Walnstein und den leidigen Rücksichten auf die gesell-
schaftlichen Verpflichtungen galt.
„Nicht um eine Welt!" wiederholte er und strich sich über die
letzte Haarsträhne, die ihm des Lebens Sommer gelassen hatte. „Es
geht höllisch auf den Herbst zu," fuhr er fort. „Wenn ich meine
silberne Hochzeit noch auf dieser Erde erleben will, wird es Zeit,
daß ich nun mal mit Volldampf aufs Standesamt lossteuere und
in aller Form Rechtens vor Ursel hintrete. Sie ist zwar die person-
gewordene Bescheidenheit, was schon aus ihrer Lammsgeduld her-
vorgeht, mir noch immer so treue Kameradschaft zu halten, der ich
nie das erlösende Wort fand. Nie würde sie es übers Herz bringen,
auch nur den leisesten Druck auf meine Würde als Hagestolz auszuüben;
aber was gesagt werden muß, muß gesagt sein: holdseliger bin ich nicht
geworden im Gang der Jährchen; der Spiegel des guten Ohms
Eusebius ist kein Schmeichler, er zaubert mir weder eine wallende
Mähne vor, noch überpudert er mir mit unschuldiger Blässe meine
Nase. Von der Wespentaille, auf die ich als Fähnrich so stolz war, ist
nicht die Spur eines Schattens mehr zu entdecken, im Gegenteil; die
Gürtung verrät einen beachtenswerten Speckansatz. Na ja, die ver-
wünschten Krähenfüße um die Augen fehlen auch nicht, sie gehören zum
Bild. Wahrhaftig, einschmeichelnde Anmut drückt mich nicht mehr;
fackle ich noch lange, da kann mir's passieren, daß selbst Ursel Kölsch
mir einen Riesenkorb gibt. Selbst sie, und das will etwas heißen."
Nein, es durfte keine Zeit versäumt werden; die ehrenwerte
Rechne — im engeren Kreise „Tante Reppchen" genannt — sollte
vor eine große Überraschung gestellt werden, und die übrige Ver-
wandtschaft mit ihr. Glücklicherweise war der Kreis der nächsten
Angehörigen nicht groß; außer dem Freifräulein Negine lebten auf

Groß-Grinderode nur der Neffe Hans-Albrecht und die Nichte Anne-
marie. Die beiden würden ihm sicherlich keine Steine in den Weg
legen. Annemieze, wie der Major sein Patennichtchen zu nennen
liebte, würde eines Tages heiraten und damit, aller Voraussicht nach,
aus der Gegend fortkommen. Und Hans-Albrecht, dieser unverbesser-
liche Stubenhocker und Bücherwurm, kümmerte sich erst recht nicht
um die Weltgeschichte. Blieb des Namens Queri nur noch der
„Amerikaner" — der Vetter Eotthart, der vor einem Menschenalter
über den großen Teich gegangen war. Der würde sich gleichfalls
nicht lange besinnen, ihm seinen vetterlichen Segen herüberzukabeln.
Dieser gute Mann hatte ja unter den veränderten Lebensauf-
fassungen einer neuen Welt längst alle Vorurteile überwunden und
zum Leidwesen von Base Negine eine simple Smith zum Weibe
genommen, eine recht begüterte Dame, die ihm eine Stange Gold
als Mitgift ins Haus gebracht hatte. Seit Jahren war er Witwer
und hinterließ außer einem Töchterchen keinen Leibeserben.
Unwillkürlich richteten die Blicke des Majors sich nach einer ge-
rahmten großen Photographie, die auf dem Schreibtisch des ver-
storbenen Oheims stand und dieses Töchterchen darstellte. Das Mäd-
chen hieß Esther gleich seiner Mutter Smith; es mußte wahrhaftig
ein ganz prächtiges, entzückendes Mädelchen sein mit dem langen
Blondhaar, das bis auf die Schultern fiel, und den großen, wunder-
klaren Kinderaugen.
Der Major rückte das Bild in das richtige Licht und suchte nach
einer Familienähnlichkeit; doch davon war wenig zu entdecken.
Er brummte vor sich hin: „Schließlich auch etwas viel verlangt von
solchem Kinderbild; man weiß ja, wie solche Aufnahmen gemacht
werden. Ich möchte wetten, daß der Mann von Uruguay, als er
an den Ball der Gummistrippe drückte, genau so sein ,Bitte, recht
freundlich!^ rief, wie seine Kollegen diesseits der großen Pfütze."
Heinrich v. Queri-Hollenbach hob das Bild den prüfenden Augen
noch näher. „Höchstens hier das kleine, schelmische Grübchen könnte
man als Familienähnlichkeit ansprechen. Wahrhaftig, das ist ein
Querischer Zug, das äußerliche Anzeichen unserer glücklichen Ver-
anlagung. Sollte mich freuen, wenn die kleine Krabbe eine frohe
Natur ist, denn das bleibt nun mal das beste Geschenk des Lebens,
und in dieser Hinsicht hat sich noch keiner von uns zu beklagen brauchen.
Onkel Eusebius hat der Humor bis zur Sterbestunde nicht verlassen
— aus jedem der Briefe von Vetter Eotthart klingt er heraus —,
und ich selber war im Dienst und im Kasino, wenn die Stimmung auf
den Gefrierpunkt sinken wollte, der erklärte Stimmungsmacher und
seh' noch jetzt als alter Knabe so vergnügt ins liebe Dasein wie vor
dreißig oder vierzig Jahren. Selbst bei Annemieze ist eingetroffen,
was ich zur Taufe als stillen Wunsch ihr dargebracht habe: Gott
möge ihr vor allem ein heiteres Gemüt erhalten; sie gehört zu uns
Queris, die nach ihrer Natur froh sind. Nur mein Herr Neffe, Hans-
Albrecht, ist merkwürdigerweise gänzlich aus der Art geschlagen und
grübelt über seinem Nietzsche und Schopenhauer und wie die großen
Weltschmerzler alle heißen mögen. Nicht umsonst sagt man: Aus-
nahmen bestätigen die Regel!"
Noch einmal betrachtete der Major die Photographie des Töchter-
chens seines Vetters Eotthart genauer und suchte sich vorzustellen, wie
sich das Kind verändert haben mochte, seit es zur Jungfrau heran-
gewachsen war. Er mußte mit seinen Vorstellungen zufrieden sein,
denn er lächelte still in sich hinein.
Er stellte das Bild wieder hin und dehnte sich behaglich im Arm-
stuhl, blies blaue Ringe in die Luft und dachte an das brave Fräulein
Ursula Kölsch, das sich freiwillig dazu angeboten hatte, die Last des
Umzuges ganz allein zu tragen; die Gute wußte ja, wie sehr er jeder
Unruhe aus dem Wege ging. Sie verschonte ihn mit all der greulichen
Plackerei und Unordnung, die er nicht ertragen konnte. In ge-
wissem Sinne war er ein Pedant; das war gar nicht zu leugnen.
Alten Soldaten steckt das nun einmal so in den Knochen, und die
Jahre bessern da nichts. Auch der Oheim Eusebius war in grillenhafter
Ordnung alt und grau geworden, das schien aus jedem Gegenstand
des Arbeitszimmers entgegenzuleuchten.
Ursel würde ihre Freude daran erleben, wenn sie kam und sah,
wie hier alles seinen verbrieften Platz hatte; sie kannte ja Schloß
Buchtenhagen noch gar nicht, denn zur Beerdigung war sie selbst-
verständlich nicht mit hierhergereist. Dafür würde er sie nun nicht
mehr lassen. Nun und nimmermehr! Plötzlich faßte er einen schnellen
Entschluß. Das war das richtigste; laut sagte er wieder: „Ich muß
sofort an den alten Kraußer schreiben, daß er den Pakt aufsetzt und
die nötigen Papiere besorgt. Kommt dann Ursel Kölsch in acht
Tagen hier an, dann überrasche ich sie — und die Fräulein Base
 
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