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26

DasBuchfüvAlle

Heft 2

aller: zehn Fingern zugreifen wollte. Det Mensch übersah die Trag-
weite der Bestimmung noch gar nicht; über „Hamlet" faselte er,
statt sofort losznlegen: „Na, was sagst du zu der Bescherung?!" Das
war wieder mal ganz Hans-Albrecht; und diesen Bücherwurm stachelte
nun Tante Reppchen auf. Na warte! Noch gab es ja Gerichte, die
durch solch unmoralisches — jawohl unmoralisches — Testament
einen Strich machten. Seelenverkäuferei war das!
In seiner Unrast eilte er selbst an den Fernsprechapparat im Erd-
geschoß und nahm dem Leibjäger den Hörer aus der Hand.
„Fräulein — hier Major Queri-Buchtenhagen! Nu machen Sie
doch, bitte, mal etwas Dampf hinter meine Verbindung mit Ampfing!
Mir ist jede Minute kostbar."
Eisiges Schweigen; als er energisch die Kurbel in Bewegung
setzte, antwortete einer in tiefstem Baß: „Lassen Sie doch das un-
sinnige Klingeln, Herr, wenn ich bitten darf! Ich habe Ihnen nun
schon zehnmal gesagt, daß die Leitung besetzt ist. Ich läute an, wenn's
so weit ist."
„Unsinniges Klingeln, hat er gesagt!" Der Major ließ den Hörer
sinken. „Muß ein angenehmer Grobian sein, den ihr hier auf dem
Amt habt. Mit dem Mann verhandeln Sie mal vorläufig weiter,
Heberlein."
Ruhelos durchwanderte er wieder die Schreibstube. Das Ver-
mächtnis hatte er schon vor dem Morgenkaffee wieder durchererziert.
Neues Licht hatte es nicht in sein Dasein getragen. Jetzt drehte er
.die Photographie der Nichte Esther gegen das Fenster, setzte das
Bild aber ebenso schnell wieder fort. Dann rechnete er aus, daß
dies Kind jetzt annähernd dreinndzwanzig Jahre alt sein müsse; was
wollte da dieses Kinderbild noch sagen? Zum Kuckuck! Was sollte das
Mädelchen überhaupt im Testament des Oheims? Ahnte Esther schon
etwas von der abgekarteten Geschichte? Und welcher Art mochten
die Unterhandlungen gewesen sein, die der überseeische Vetter mit
Onkel Eusebius gepflogen hatte? Das alles waren Dinge, über die
bestenfalls der Justizrat Auskunft geben konnte, der ja, nach dem
Brief des Alten zu urteilen, besondere mündliche Anweisungen haben
sollte.
Gottlob! Da klingelte es am Apparat. Heinrich Queri rannte
den Leibjäger beinahe um; Ampfing hatte sich gemeldet.
„Ja, wo sind Sie denn nun?" rief der grobe Kerl vom Postamt.
„Na warte!" knirschte der Major und fragte, ob der Herr Justizrat
selber am Fernsprecher wäre. Er sei nicht da, hieß es; womit gedient
werden könne? Der Kanzleivorsteher war allein im Hanse.
„Ich komme mit dem nächsten Zug, verstanden?"
„Sehr angenehm, Herr Major —"
„Bestellen Sie es dem Herrn Justizrat —"
„Das wird schwer halten!"
„Sagen Sie ihm, in der bewußten, dringlichen Angelegenheit —"
„Bedaure, Herr Major, ich kann ihm nichts sagen, der Herr
Justizrat ist vor einer halben Stunde abgereist."
„Was soll das heißen? Wann kommt er wieder? Wo ist er?
Meine Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Wie? — Was? —
Jawohl, Fräulein, natürlich spreche ich noch. Wie? Lassen Sie mich
mit Ihren Zwischentönen und mit Ihrer doppelten Tare in Frieden!"
Da war der Grobian schon wieder.
Endlich meldete sich wieder Ampfing; der Kanzleivorsteher konnte
über die Reise des Justizrats keine weitere Auskunft geben, als daß
er mit dem Rucksack in die Berge sei. Am Osterdienstag werde er
voraussichtlich zurück sein . . .
„Schluß!" donnerte der Major. Also auch das noch! War denn
alles in der Welt verhert? Ging der alte Kraußer mir nichts, dir nichts
auf Osterferien, wo es hier auf — na, mindestens auf jeden Tag
ankam. Von den dreihundertfünfundsechzig Tagen, die das Testament
als Frist stellte, waren durch das Nachsenden des Briefes schon zwei
und durch die Reise des Notars weitere sechs verloren; acht volle
Tage und sechs, in denen nichts geschehen konnte. Ein Briefwechsel
nützte nichts, noch weniger eine Weltreise nach Montevideo — oh, er
hatte in dieser langen vergangenen Frühlingsnacht an alles gedacht;
eine Reise da hinüber verschlang Monate.
Voll Ingrimm stürmte er die Treppe hinauf und verlangte, man
solle den Jagdwagen anspannen; Reitpferde gab es nicht in: Stall.
Er wollte nach Grinderode hinüber und mit dem Leidensgefährten
Hans-Albrecht unter vier Augen sprechen. Beileibe nicht in Gegen-
wart der Base Rechne v. Walnstein!
Als er fir und fertig zum Hause hinaustrat, klang ihm Hufschlag
entgegen; frisch und rosig, sich leicht im Damensattel wiegend, sprengte
Annemarie durch die Einfahrt in den Hof; von weitem rief sie:

„Guten Morgen, Onkelchen! Willst du ausfahren? Dann begleite
ich dich! Ist es nicht ein schöner Morgen?"
Sie schüttelten sich die Hände. „Schöner Morgen? Na, ich habe
noch nicht Zeit gehabt, mich um das Wetter zu kümmern. Famos
siehst du aus, Miezel!"
Sie beugte sich herab. „Armer Onkel, was quält dich denn schon
am frühen Morgen? Und wo soll die Fahrt hingehen?"
„Zu euch, Zu deiner brüderlichen Liebe."
„Hu! Mit welchem Gesicht du das sagst! Ich dachte, du seist
jubelfroh, und ich käme gerade recht, nm dir erstens einen recht grünen
Donnerstag zu wünschen, und zweitens, um dich zu fragen, ob du
dich nicht über das Nachtragstestament gefreut hast; hast du es schon?"
„Seit gestern. Ein Malefizdings . . ."
„Aber, Onkel Heinrich! Hundertfünfzigtausend Mark! Kannst du
dir eine schönere Morgengabe wünschen?"
„Na, bitte, nu spotte noch!"
„Ich spotte nicht, Onkel! Hans-Albrecht wirst du nicht in Grinde-
rode treffen, er ist nach Ampfing geritten zu ..."
„Zu Justizrat Kraußer? Da wird er an verschlossene Türen pochen;
hätte es machen sollen wie ich und vorher telephonieren."
„Kein Gedanke! Zu seinem Buchhändler ist er; er sucht irgend
ein Buch, von Eduard v. Hartmann, glaub' ich."
Onkel Heinrich schüttelte den Kopf. „Versteh' ich nicht!"
„Ihn läßt das Testament ganz kühl; Tante Reppchen ist außer
sich darüber. Du hast also an Hans-Albrecht keinen ernstlichen Mit-
bewerber; Tante Reppchen ärgert sich schon jetzt über das Geld, das
ihr durch seine Gleichgültigkeit verloren gehen soll — für Grinderode
natürlich, denn sie denkt ja nur an die Wirtschaft und trägt sich mit
Vergrößerungsplänen, zu denen ihr die Summe höchst gelegen käme."
„Siehst du wohl!" Der Baron half seiner Nichte aus dem Sattel.
Da seine Fahrt zwecklos war, lud er Annemarie ein, mit hinauf-
zukommen; sie willigte gern ein und zog ihren Fuchswallach selbst
in den Stall.
Der Major sah ihr mit unverhohlener Bewunderung zu; an dem
Mädel war ein Junge verloren gegangen, in allem war sie das gerade
Gegenteil von ihrem älteren Bruder Hans-Albrecht. Sie immer die
Flinke, Muntere, eine fidele Hummel — er ein langweiliger Philister.
„Na," dachte er, „da mache ich eben aus der Not eine Tugend und
rede mir mal meinen ersten Grimm vor Annemieze vom Herzen
herunter; am Ende erfahre ich von ihr mehr, als ich aus Hans-Albrecht
herausholen könnte."
Fünf Minuten später saßen sie sich im Geweihzimmer des ersten
Stockes gegenüber; der Major schob ihr eine weiche Decke in den
Rücken: „Mieze! Du bist sicher wieder galoppiert, und dann holst
du dir hier den Schnupfen."
„Ha—tschi ...!" machte sie. „Wie du siehst, ist bereits alles
da. Aber nun sprich dich offen aus; ist es wahr, was uns Tante
Reppchen gestern auf der Nachhausefahrt sagte? Bist du auch schon
fest entschlossen, die arme Esther nun und nimmer Zu heiraten?"
„Liebes Kind! Eins versprich mir mal — so sehr ich jeden Humor
zu schätzen weiß und, Gott sei Dank, selbst zu besitzen glaube —,
diese Geschichte wollen wir doch ernsthaft behandeln; es ist wahr-
haftig kein Aprilscherz. Ich muß dir gestehen, ich war zuerst empört,
und aus allerlei Gründen; aber wir wollen mal von vorne anfangen.
Seit wann weiß Hans-Albrecht von der Sache?"
„Seit vorgestern morgen."
„Siehst du; das sind ganze drei Tage Vorsprung! Ich erfuhr
es erst, als Tante Reppchen hier abfuhr. Daß ich seitdem wie auf
Rosen gebettet geschlafen hätte, kann ich nicht behaupten. Was dir
Rechne sagte, entspricht nur halb den Tatsachen. Natürlich ist alles
von den Ereignissen überholt; ich muß mich jetzt erst mal zurecht-
finden, um zu wissen, was ich zu tun habe; jawohl, Miezel, da gibt's
gar nichts zu lachen — zurechtfinden, habe ich gesagt. Willst du durch
dein Lachen vielleicht andeuten, daß ich von vornherein kein ernst-
licher Bewerber für Esther sein könne?"
„Durchaus nicht. Ich dachte nur — na ja, alle Welt spricht doch
davon, daß du das Fräulein Kölsch heiraten willst, Onkel Heinrich —"
„Was heißt alle Welt, alle Welt heißt gar nichts; nichts, sage ich
dir." Der Major war aufgestanden und ging vor Annemaries Stuhl
mit großen Schritten auf und ab. „Das heißt weiter nichts, als daß
Tante Reppchen darauf schwört, und das erst ganz neuerdings.
Früher setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung, wenn jemand eine
sogenannte unebenbürtige Ehe eingehen wollte."
Er lachte bitter auf. Annemarie aber sagte ganz ruhig: „Dies-
mal habe ich meine Weisheit nicht von Tante Reppchen allein;
 
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